Richtig streiten will gelernt sein
„Ich will mehr Geld“ – „Geht nicht!“ – „Dann bleib ich z’haus.“ Ein Streitgespräch zwischen Chef und Arbeitnehmer, wie es nicht stattfinden sollte. Und doch vorkommt. Wie zuletzt der Streit von Ryanair mit der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit, der zum europaweiten Pilotenstreik eskalierte.
Streiten will gelernt sein. Österreich hat diesbezüglich Nachhilfebedarf. „Wir sind in einer Streitkultur angekommen, wo von Vertretern der Regierung, der Opposition und den NGO mit so viel Verschärfung und Unsachlichkeit geredet wird, dass es schwer ist, die dahinter liegenden Probleme zu lösen“, stellte WIFO-Chef Christoph Badelt kürzlich im KURIER-Interview fest.
Debattierkultur: Kaum Tradition
Diese Beobachtung teilt Marvin Grünthal, Debattiertrainer und Vorsitzender im Debattierklub Wien, einer kleinen Community jener Menschen, die das Debattieren sportlich betreiben. So trägt der Klub etwa am Sonntag an der TU Wien das Finale der Campus-Debatte aus. „Die Debattierkultur hat in Österreich kaum Tradition. Verglichen mit dem angelsächsischen Raum stecken wir in den Kinderschuhen.“ Das sei an zahlreichen Politikerdebatten und Moderationen ersichtlich.
Mit politischen Debatten kennt sich Heidi Glück aus: Zwischen 2000 und 2007 stand sie dem damaligen Kanzler Wolfgang Schüssel als Pressesprecherin und Strategieberaterin zur Seite. „Wir haben derzeit eher eine Streitunkultur“, konstatiert sie. Ein möglicher Grund sei, dass soziale Medien Menschen dazu verleiten, sich die eigene Meinung bestätigen zu lassen, anstatt sich mit anderen Standpunkten auseinanderzusetzen. Das Phänomen beschränke sich nicht nur auf Politisches. „Gerade in Österreich wird nicht kritisch genug hinterfragt. Antworten, die keine sind, werden hingenommen“, sagt Debattenprofi Grünthal.
Wie es besser geht?
„Wollen Sie in einer Debatte überzeugen, sollten Sie sich im ersten Schritt auf Ihre Ziele fokussieren: Wo wollen Sie hin und welche Mittel sind dazu notwendig? “, rät Marietta Gädeke. Die ehemalige Deutsche Meisterin im Debattieren berät heute Einzelpersonen und Firmen in Kommunikationsfragen. Zu ihren Kunden zählen etwa BMW, PwC und die Deutsche Bundeswehr. Im April erscheint ihr neues Buch „Pro und Kontra – die Debating-Methode“ (Beltz Verlag). Die sportliche Debatte, wie Grünthal und sie sie in Wettbewerben austragen, sei dabei nur bedingt mit Konfrontationen im echten Leben zu vergleichen, wo, ergänzend zu Sachargumenten, Empathie eine große Rolle spiele, um zu überzeugen. Solide Vorbereitung sei aber immer essenziell. „Dazu gehört auch, die rote Linie des anderen mitzudenken“, so Strategieberaterin Glück.
Entgegenkommen
Sind etwa die Fronten zwischen Vorstand und Betriebsrat verhärtet, weil Mitarbeiter abgebaut werden sollen, sei es für die Unternehmerseite ratsam, den Mitarbeitervertretern ein Gegenangebot zu machen: „Oft wird an einer Stelle abgebaut, anderswo aber ausgebaut. Hier könnte sie Umschulungen anbieten.“ In solchen Fällen sei die Debatte anfangs aber oft emotional aufgeladen, gibt Gädeke zu Bedenken: „Für die beste Lösung müssen Sie dann erst zum Kern des Konflikts vordringen. Das gelingt, indem Sie, wie bei einer Zwiebel, Befindlichkeiten schichtweise abtragen.“
Killer-Phrasen à la „Das haben wir immer so gemacht“ kontert die Debattiermeisterin bevorzugt mit Gegenfragen, wie „Warum sollten wir es diesmal wieder so machen?“. „Bewusste Provokation können Sie auf der Metaebene abfangen, indem Sie fragen, warum sich der andere gerade so verhält. Meist diskutieren Sie ja auch nicht für ihn, sondern für ein Publikum, etwa Ihren Chef.“
Pause machen
Steckt die Diskussion fest, hilft eine Verhandlungspause. „Gönnen Sie sich Abstand und Zeit. Gehen Sie an die frische Luft. Da kommen oft die besten Ideen“, sagt Glück. Ein Ratschlag, den die Ryanair-Geschäftsführung besser beherzigt hätte. Erst nach langen Verhandlungen mit den Gewerkschaftern einigte man sich auf neue Tarife. Die schwierige Konsenssuche kommt Ryanair teuer: Für die ausgefallenen Flüge muss sie Kunden nun entschädigen. Das könnte die Airline alleine in Deutschland bis zu 38 Millionen Euro kosten.
Mut zum Debattieren mit Chef und Kollegen
Saskia Höfer, PR-Beraterin und Alumna des Debattierklubs Wien, im Interview über die Bedeutung von Streitgesprächen in Unternehmen.
KURIER: Wie wichtig sind Streitgespräche mit dem Chef?
Saskia Höfer: Dem Chef die Meinung zu sagen, ist immer mit Überwindung verbunden. Man ist in der schwächeren Machtposition. Trotzdem muss man Grenzen setzen, sonst kann man ausgebeutet werden. Gerade bei Gehaltsverhandlungen ist es wichtig, von der Behauptungs- in die Begründungsebene zu gehen. Beim Debattieren lernt man dafür gewisse Tricks.
Die da wären?
Wenn mir zum Beispiel jemand ein Argument entgegenwirft, das mich völlig aus der Bahn werfen könnte, kann ich sagen: „Gerade dann ist es besonders wichtig.“ Wenn ich mein Mindset auf „Gerade dann“ neu ausrichte, kann ich viel erreichen.
Wie ist ein gutes Streitgespräch im Arbeitsleben umzusetzen?
Man muss darauf achten, dass es nicht persönlich wird und versuchen, auf dem Sachohr zu hören und sich in den anderen hineinzuversetzen. Man muss sein Mindset so ausrichten, dass man gemeinsam eine Lösung erreichen will.
Also hat das Debattieren die Lösung als Ziel?
Das ist das Paradoxe: Es gibt zwei Seiten, Pro und Contra – die werden sich zu keinem Zeitpunkt einig. Das Debattieren kann aber als Ventil fungieren – man powert sich aus und lässt den Dampf in einem sicheren Rahmen ab. Man kann das Gespräch abschätzen und steuern – das ist lösungs- orientierter. Daher ist es besser, in ein solches Gespräch mit kühlem Kopf hineinzugehen. Es hilft, es zuvor einmal durchzugehen, wie eine Art Drehbuch und zu überlegen, in welche Richtung es gehen könnte.
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