„Rationalität ist eine Lüge“

Für Andreas Zeuch ist Intuition ein wichtiger Teil der Entscheidung – aber auch kritisch zu hinterfragen.
Ob wir wollen oder nicht, wir entscheiden intuitiv, sagt Andreas Zeuch. Das sollten wir besser nutzen.

Andreas Zeuch bringt Intuition in Unternehmen. Er trainiert Manager und Mitarbeiter, um ihre Entscheidungsfähigkeit zu verbessern – und Kopf und Bauch zusammenzuführen. In Wien war der Deutsche bei der Veranstaltung „Zukunft:Jetzt“ der Boston Consulting Group am Podium zu Gast.

KURIER: Wann haben Sie zuletzt beruflich auf Ihre Intuition gehört?
Andreas Zeuch: Ein Kunde von mir wollte, dass ich zur Leitbildentwicklung einen Vortrag halte. Ich habe das nicht gemacht, das hätte nicht funktioniert. Stattdessen habe ich ein Unternehmenstheater mit den Mitarbeitern gemacht, die anstrengendste Nummer, die ich je hatte – und genau das Richtige.

Wie kamen Sie zu diesem Thema?
Ich habe als Musiktherapeut gemerkt, dass ich intuitiv entscheide, welche Interventionen ich wann bei Patienten setze. Das kam aus dem Bauch heraus. Dann habe ich begonnen, mich in meiner Doktorarbeit mit Intuition zu beschäftigen.

Sind die Manager offen für Ihren Ansatz?
Ich habe das Buch „Feel it“ vor vier Jahren geschrieben, wirklich durchgesickert ist das Thema erst heuer. Die Firmen öffnen sich zunehmend dafür.

Wären Sie vor zehn Jahren dafür belächelt worden?
Ja, klar.

Wieso?
Weil immer noch die Lüge vom homo oeconomicus, vom rationalen Menschen, verbreitet wird. Die paradoxen Pseudorationalisten pochen auf Rationalität und wollen Emotionen draußen lassen. Noch heute findet man in den Lehrbüchern: Wenn ich Zahlen in eine Entscheidungsmatrix eintrage, und ich entscheide mich für den höchsten Score, dann ist das logisch. Die Einschätzung dieser Fakten ist aber hochgradig intuitiv. Sie wird nur im Nachhinein mathematisch prozessiert.
Wir rationalisieren intuitive Entscheidungen also im Nachhinein?
Ja, das menschliche Gehirn will Sinn erzeugen. Experimente zeigen, dass intuitive Entscheidungen im Nachhinein oft mit falschen Modellen erklärt werden. Das wird zum Problem, wenn man diese falschen Modelle in Zukunft anwendet. Viele Menschen sagen zwar privat ja zu Intuition, aber beruflich nein – denn dort wäre es tödlich, wenn man seine Entscheidung nicht mit Zahlen und Fakten belegen könnte. Daher ist es wichtig, dass die Unternehmenskultur Intuition zulässt.

Im Buch „Feel it!“ erzählen Sie von einem Mann, der wegen eines Hirntumors nicht fühlen und dadurch nicht mehr entscheiden konnte.
Ja, ohne Emotionen und Gefühle können wir nicht mehr entscheiden – oder wir entscheiden vollkommen sinnfrei.

Der Entscheidungswissenschaftler Enrico Diecidue sagt, intuitive Entscheidungen seien nicht nachvollziehbar und nicht zu rechtfertigen.
Wir haben bei Entscheidungen immer intuitive Prozesse laufen. Da kann er wollen, was er will, das ist Nonsens. Er spricht aber auch einen Punkt an, der zeigt, warum Intuition als professionelle Kompetenz nicht angesehen ist: Intuition ist ein unbewusstes Urteil, das wir im Nachhinein nicht erklären können. Wenn ich mich intuitiv fehlentscheide, kann ich nur schwer herausarbeiten, wo der Fehler lag.

Wieso ist Intuition in Unternehmen heute wichtig?
Wie Experimente zeigen, können wir unbewusst wesentlich mehr Daten verarbeiten als bewusst. Daher wäre es ökonomisch gesehen Schwachsinn, diese effizientere Art der Informationsverarbeitung nicht in Entscheidungsprozesse einzubeziehen – vor allem, weil die Anforderungen immer komplexer werden. Intuition sollte man ins Entscheidungskalkül einbeziehen, aber man sollte sie auch nicht heiligsprechen.

Die innere Stimme hat also nicht immer recht?
Es ist nicht immer Intuition, es können auch unbewusste Projektionen sein. Beispielsweise bevorzuge ich als Personalist einen Bewerber, weil meine vermeintliche Intuition mir sagt, er ist kompetent. In Wahrheit erinnert er mich an meinen tollen Bruder. Um Intuition zu professionalisieren, muss man sie selbstkritisch hinterfragen.

Wie trainiert man Intuition?
Jeder hat Intuition, viele nehmen aber ihre Signale nicht wahr. Ich hatte einen Kunden, der bei Auftragsklärungen eine unangenehme Rückenverspannung bekam. Das war ein Stopp, den Auftrag nicht anzunehmen. Oder er wurde freudig aufgeregt – ein Ja zum Auftrag. Das war eine gute Entscheidungshilfe für ihn. Die eigene Wahrnehmung zu schulen hilft. Ein Königsweg scheint auch Meditation zu sein.

Intuitionsfinder Andreas Zeuch

Der deutsche Musiktherapeut, NLP-Trainer und Mediator ist als Berater und Entscheidungs- und Intuitionstrainer für Unternehmen tätig. Er schrieb seine Doktorarbeit zum Thema Intuition und Entscheidung. Zeuch hat das Buch „Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ (Wiley 2010, € 24,90) geschrieben und diverse Artikel und Podcasts verfasst.

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