Autos drängen sich über den überfüllten Währinger Gürtel und passieren das Geschäftslokal von Karin Meier-Martetschläger. So mancher Fahrer macht vielleicht Halt an ihrer Adresse. Dann, wenn es finanziell knapp geworden ist. Seit fast 50 Jahren führt die Familie Martetschläger im neunten Bezirk in Wien eine Pfandleihanstalt, die sich auf das Verpfänden von Autos und Lebensversicherungen spezialisiert hat.
Seit Corona geht der Bedarf steil nach oben, sagt Karin Meier-Martetschläger, die 2005 von der Mutter die Pfandleihe übernahm. Wie viele Kunden sie hat, verrät die Geschäftsfrau nicht, aber es sind „extrem viele“. Ob die Teuerung dem Pfandleihgeschäft aktuell in die Karten spielt und warum es gesellschaftlich anerkannt ist, sich einen Kredit aufzunehmen, aber nicht seine Besitztümer zu verpfänden, erzählt sie im KURIER Interview.
KURIER: Die Wirtschaftskrise trifft viele hart, die Inflation hält sich hierzulande bei acht Prozent. Spielt das dem Pfandgeschäft in die Karten?
Karin Meier-Martetschläger: Die Nachfrage nach Pfanddarlehen findet immer zeitversetzt statt. Zuerst versucht jeder, nach dem Motto „irgendwie wird’s schon gehen“, zu wirtschaften. Nur irgendwann geht es nicht mehr. So war es auch bei der ersten Teuerungsrate. Die, die belehnen gekommen sind, sind nicht aufgrund der ersten hohen Stromrechnung gekommen. Aber jetzt ist es so weit. Andererseits haben wir auch einen Rechtsanwalt, der seine Lebensversicherung im oberen sechsstelligen Bereich belehnt, weil bei seinen russischen Klienten der Geldfluss nicht mehr funktioniert. Fakt ist: Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Ihre Kunden sind aus allen Schichten?
Eine Pfandleihanstalt ist immer der Spiegel der Gesellschaft. Wir haben Arbeitslose aber auch Staatsanwälte. Nur: Geld ist leicht aufgenommen, aber eine Rückzahlung muss man sich leisten können.
Schafft man nach einer Rückzahlung den Absprung?
Sicher 45 Prozent unserer Kunden sind Stammkunden. Für manche sind wir die zweite Bank, weil wo sollen die Leute hingehen? Der Zugang zu Geld ist für Private sehr schwierig geworden. Wird jemand delogiert, ist es besser, er kommt zu mir, als er zieht unter die Brücke.
Gibt es Momente, in denen bei Ihnen die Alarmglocken schrillen?
Wenn einer sagt, Rückzahlen ist kein Problem. Dann können Sie davon ausgehen, es wird ein Problem.
Warum bieten sie nur die Belehnung von Autos und Lebensversicherungen an?
Wir haben eine Pfandscheingebühr, die bei sieben Euro liegt. Jedes Mal, wenn jemand verlängert, muss ein neuer Pfandschein ausgestellt werden. Das ist ein fixer Kostenbestandteil. Wenn ich sieben Euro bei Zehntausend in Rechnung setze, ist das vertretbar. Wenn ich ein Hundert-Euro-Darlehen habe und jemand muss sieben Euro zahlen, sind das sieben Prozent.
Aber wie gelingt es den Menschen, ihre Pfand-Schulden überhaupt zu begleichen? Woher ist das Geld, das zuvor ja auch nicht da war?
Manche haben dann einen Bankkredit, andere haben einen Bausparvertrag, warten auf eine Sonderzahlung oder können die Mutter fragen. Es muss für viele kurzfristig funktionieren – kurzfristig ist alles unter vier Monaten.
Wenn einer sagt, Rückzahlen ist kein Problem. Dann können Sie davon ausgehen, es wird ein Problem.
Kredite sind teuer und die Vergabe restriktiver geworden, wird die Pfandleihe da attraktiver?
Im Gegensatz zur Bank habe ich einen fixen Tarif, der zwingender Bestandteil meiner Geschäftsordnung ist. In Niedrigzinsphasen ist der natürlich genauso hoch wie in Hochzinsphasen. Jetzt, wo die Zinsen steigen, sind wir konkurrenzfähig, ohne höhere Zinsen sind wir das nicht einmal ansatzweise. Wenn jemand aber zum Beispiel eine Delogierung oder Mahngebühren mit dem Geld bezahlt, ist es bei uns allemal günstiger, als wenn die Person zusätzlich Gerichts- und Anwaltsgebühren zu begleichen hat. Aber auch da gilt, dass unsere Kunden vergleichen müssen. Auch, wenn man einen Bankkredit hat, muss man immer fragen: Was kostet der?
Fragen Sie eigentlich nach, wofür das Geld verwendet wird?
Nein, ich frage nur, ob sie es wirklich brauchen. Man unterscheidet ja auch zwischen einem Bankkredit und einem Pfanddarlehen insofern, dass beim Bankkredit immer die Person haftet, beim Pfanddarlehen immer das Pfand. Die Bank kann daher durch die ganze Regulatorik manche Kreditwünsche gar nicht mehr erfüllen.
Laut aktueller KSV-Analyse gab es im ersten Halbjahr 2023 in Österreich 4.549 eröffnete Schuldenregulierungsverfahren. Das entspricht 25 Privatkonkursen pro Tag und einem Plus von 5,3 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Entwicklung sei im Rahmen, heißt es seitens des KSV, jedoch sei mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. Man geht von insgesamt 9.200 privaten Pleiten bis Jahresende aus. Die Verschuldung in Österreich liegt bei durchschnittlich 107.000 Euro pro Schuldner. Hoch ist die Zahl der Lohnpfändungen. Hier waren es laut Schuldenreport 2023 im vergangenen Jahr fast 560.000. Aktuell gelten 15 bis 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung als armutsgefährdet. Das Referenzbudget, das eine Familie mit zwei Erwachsenen und einem Kind benötigt, sind monatlich 3.130 Euro.
Wäre es nicht manchmal besser, gleich zu veräußern, als zu verpfänden?
Meine Worte. Aber da schlägt bei manchen die mangelnde Finanzbildung durch.
Sie betonen, dass es sich beim Pfand nur um eine kurzfristige Überbrückungshilfe handelt. Muss man die Menschen vor sich selbst schützen, sich nicht zu übernehmen?
Ja. Ich weiß nicht, wann die Menschen hier falsch abgebogen sind. Mir wurde von klein auf beigebracht, mir mein Geld einzuteilen. Die Leute haben das aber leider verlernt. Die Bildung findet auch nicht in der Schule statt.
Wie sollte man die Finanzbildung angehen, denken Sie?
Kinder bekommt man nur über die Haptik. Ich muss meinem Kind zuerst das Geld in die Hand drücken, damit es weiß, jetzt wirklich zehn Euro zu besitzen. Würde ich das Geld nur überweisen, frage ich mich, wie mein Kind verstehen soll, was Geld ist? Kommt das Kind aber mit dem Geld nicht aus, kann ich ihm etwas borgen, muss aber auf die Rückzahlung pochen. Ich tue meinem Kind nichts Gutes, wenn ich sage: Passt schon.
Das Pfandhaus Erika Martetschläger wurde 1974 gegründet
7 Euro kostet die Pfandscheingebühr. Die ist jedes Mal zu zahlen, wenn ein Pfand nach einem Monat verlängert wird. Maximale Laufzeit sollte bei zwölf Monaten liegen
Bargeldgeschäfte tätigt die Pfandleihe Martetschläger nur bis 5.000 Euro
110 Berechtigungen für Pfandleihe gibt es in Österreich, davon sind einige ruhend. Tatsächlich gibt es um die 40 Pfandleiher, manche davon mit mehreren Standorten. Das Dorotheum hat 25
Das Pfand: Verpfändet man ein Auto bei der Pfandleihe Martetschläger, zahlt man 12 Prozent Zinsen, sofern man pünktlich ist. Ausbezahlt bekommt man binnen 30 Minuten 50 oder 65 Prozent des Schätzwertes, je nachdem ob das Auto garagiert wird
Der Kredit: Online können auch Kredite schnell beantragt werden, sofern man kreditwürdig ist. Ein Konsumkredit von 10.000 Euro kostet via durchblicker aktuell rund 7,2 Prozent Effektivzins
Was passiert in ihrer Pfandleihe eigentlich, wenn ein gepfändetes Auto nicht garagiert und der Besitzer mit diesem auf und davon ist?
Dann haben wir Studenten, die das Auto beginnen zu suchen. Hilft das alles nichts, ist das ein Betrug und dann muss ich die Polizei zur Hilfe nehmen. Zuerst probieren wir es aber immer im Guten. Da bin ich eine Verfechterin: Solange die Menschen mit uns sprechen, werde ich mich bemühen, eine Lösung zu finden. Glaubt einer, mit der Vogelstrauß-Politik ist er gut beraten, beißt er sich an mir die Zähne aus.
Und wie oft kommt das vor?
Das ist ganz selten. Wenn wir die Polizei um Hilfe bitten, ist in den allerseltensten Fällen das Auto ins Ausland verfrachtet worden. Das ist nicht einmal ein halbes Promille, so selten kommt das vor. Wir haben keine Ausfälle, weil das Auto die heilige Kuh des Österreichers ist. Wenn man auf alles verzichtet – auf das Auto verzichtet man nicht. Denn sonst hat man dem sozialen Umfeld zu erklären, warum man auf einmal keines mehr hat.
Weil das Thema Pfandleihe so schambesetzt ist?
Es findet niemand etwas dabei, zu sagen: Morgen habe ich einen Termin bei der Bank. Aber es wird niemand zu Ihnen beim Abendessen sagen: Morgen habe ich einen Termin in der Pfandleihanstalt.
Woher kommt’s?
Das ist historisch gewachsen. Es ist einfach negativ besetzt. Ich bemühe mich wirklich, dass wir ein positives Image bekommen.
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