Pakistan: "Bildung ist ein Pass"

Maryam Akram, geboren 1988 in Lahore, Pakistan, hat Recht studiert, unterrichtet Studierende und Kinder
Bildung ist in Pakistan ein Privileg. Maryam Akram will das ändern.

Maryam Akram wählt jedes Wort bedächtig, keines stolpert aus Versehen heraus oder ist anders gemeint – obwohl Englisch nicht ihre Muttersprache ist. Wenn sie sagt, "Vielleicht wird jemand mein Leben bedrohen, wenn ich mich für mehr Dialog einsetze", ist das bittere Realität. Bildung ist alles für sie, aber keine Lebensversicherung.

Diese junge, zierliche Frau ist in einem Land aufgewachsen, in dem Bildung Frauen oft verwehrt wird. In einem Land, das geprägt ist von Gegensätzen. Wo Kinder betteln, weil sie nichts zu Essen haben und andere in Prunk aufwachsen. Wo mancherorts Frauen mit Kopftuch als Taliban beschimpft und andere schon als Mädchen verheiratet werden. Wo Blasphemiegesetze die Todesstrafe bei Gotteslästerung androhen und wo im vergangenen Jahren 2451 Menschen durch terroristische Anschläge starben.

Zweifellos zählt Maryam Akram zu den Privilegierten. Ihre Eltern wollten, dass sie studiert. So wie ihre drei Brüder auch. Vor zwei Jahren machte sie ihren LL.B – ihren Bachelor of Law – und ist seither Tutorin an einer Universität in Lahore, der zweitgrößten Stadt der islamischen Republik. Zudem unterrichtet sie Kinder für eine NGO. Kinder, die sonst zu den 5,5 Millionen Kindern in Pakistan zählen würden, die nicht lesen und schreiben können.

Die 26-jährige Maryam Akram war im Rahmen der VICISU 2014, der Vienna International Christian-Islamic Summer University, in Österreich. Christen und Moslems waren für drei Wochen im Stift Altenburg untergebracht, um über Religion, über Unterschiede und den Frieden zu reden.

KURIER: Sie haben an der Uni studiert. Wie kam es dazu?
Maryam Akram: Sowohl mein Vater als auch meine Mutter haben mich ermutigt zu studieren. Sie haben immer zu mir gesagt: ,Bildung ist ein Pass.‘ Sollte in Zukunft etwas schiefgehen, werde ich immer auf eigenen Beinen stehen können.

In Pakistan ist Bildung für Frauen bei Weitem nicht selbstverständlich.

Nein. Es gibt ein sehr starkes Stadt-Land-Gefälle. In den Städten ist es eher üblich.

Sie haben am Pakistan College of Law studiert. Ist das teuer?

Sehr. Mein Studium, das internationale Programm der University of London kostet 500.000 Rupien (3800 Euro). Ich habe mich für das internationale Programm entschieden, weil das nationale Bildungssystem nicht gut ausgebaut ist: In einer Vorlesung sitzen 300 bis 400 Studierende. Im internationalen Programm waren wir weniger als 50 Studenten pro Fach. Außerdem ist es wissenschaftlicher. Es lässt mehr Freiraum, aber ist sehr viel zu lernen.

Wie konnten Sie das Studium bezahlen?

Mein Vater war Banker und danach in der Regierung tätig – er verdient sehr gut. Er hat all sein Geld für unsere Bildung ausgegeben. Auch meine Brüder haben studiert.

Wieso Jus?

Mein Großvater war Rechtsanwalt, daher wollte mein Vater, dass ich Jus studiere. In Pakistan entscheiden meist die Eltern, was die Kinder studieren sollen.

Machten ihre Eltern keinen Unterschied zwischen Ihnen und ihren Brüdern?

Nein. Nie. Ich habe mit 18 begonnen zu studieren, dann eine Pause gemacht, weil ich bei meinem Großvater gelebt habe. Vor zwei Jahren habe ich meinen L.L.B. abgeschlossen. Meine Familie ist sehr offen, eigentlich kann jeder machen, was er will. Ich bin etwa auch nicht mit dem Hidschab aufgewachsen. Ich trage ihn, weil es meine Entscheidung ist. Das hat zu Beginn vielen Menschen in meiner Umgebung nicht gefallen. Denn wenn man ein Kopftuch trägt, gilt man schnell als extrem. Eine Frau hat mich aus dem Auto angeschrien, nannte mich Taliban. Wenn man den Islam praktiziert, ist man ein Angriffsziel, wenn man ihn nicht praktiziert ist man ein Angriffsziel. Wir sind eine geteilte Gesellschaft geworden. Früher war Pakistan ein sicherer Hafen für jeden. Jetzt habe ich Angst. Wenn ich mal Familie habe, wo sollen wir leben?

Wollen Sie ins Ausland gehen?

Ich habe überlegt ins Ausland zu gehen. Aber bei der VICISU habe ich realisiert, dass wir in Pakistan keinen Raum für Diskussionen haben. In Stift Altenburg kam eine Frau auf mich zu und fragte mich, wieso Muslime Menschen anderer Religionen im Irak töten. Sie fragte mich, weil ich ein Kopftuch trage und es ist eine sehr relevante Frage. Ich würde in Pakistan gerne den Dialog starten. Wir brauchen das. Wir müssen als Gesellschaft näher zusammenwachsen, dann können wir Bedrohungen leicht standhalten.

Was war Ihre Antwort auf die Frage der Frau?

Im Koran steht: Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als ob er die ganze Menschheit tötet. Sie war ein wenig beruhigt und sagte: ,Vielleicht gibt es Hoffnung.‘

Sie haben einen Blog, pakistanifaces.tumblr.com, wo Sie mit Menschen ins Gespräch kommen – auch über Bildung.

Ja. Die Menschen arbeiten sehr hart, damit ihre Kinder in die Schule gehen können. Aber es betteln trotzdem so viele Kinder auf der Straße. Sie sollten in der Schule sein, aber wie soll ein Kind ein Buch öffnen und sich bilden, wenn es nichts zu essen hat? Ich wollte immer etwas für diese Kinder machen. Meine Mutter sagte: "Wenn du etwas geschafft hast, dann hilf Menschen, die nicht deine Möglichkeiten hatten. Das sollte Zweck deines Lebens sein."

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Ihrem Land die Stimme erheben können?

Viele Menschen in meinem Land haben keine Bildung. Ihre Stimme wird nie gehört werden. Wenn ich meine Stimme erhebe, bin ich ein Ziel: Vielleicht wird jemand mein Leben bedrohen, versuchen mich zu töten. Aber wenn man nichts tut, wird es schlimmer. Davor fürchte ich mich.

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