Onboarding: So sollten Firmen mit neuen Mitarbeitern umgehen
Aller Anfang ist schwer – vor allem, wenn es der erste Tag im neuen Job ist. Man ist nervös. Was soll man anziehen? Wie soll man sich verhalten ? Wie werden die neuen Kollegen sein? Als der oder die Neue im Team ist der Druck groß, der Anspruch an sich selbst hoch: Man möchte sich von der besten Seite zeigen und vor allem keinen Fehler machen.
Die ersten Tage und Wochen im neuen Job sind aber nicht nur für Mitarbeitende eine anstrengende und gleichzeitig kritische Phase. Auch ein Unternehmen bestimmt in dieser Zeit mit, welchen Eindruck es bei neuen Mitarbeitern hinterlässt. Und dieser entscheidet maßgeblich darüber mit, wie schnell sich Neuankömmlinge zurechtfinden, einarbeiten und – auch bleiben möchten.
Persönliches geht verloren
Onboarding lautet der Fachbegriff in Personalerkreisen dafür und rückt seit einiger Zeit wieder mehr in den Fokus. Und zwar nicht nur weil die Pandemie das übliche Prozedere, wie Bewerbungsgespräche, Vertragsunterzeichung, Vorstellungsrunden oder Einschulungen zwangsdigitalisiert und erschwert hat.
Sondern auch, weil auf der persönlichen Ebene durch die bildschirm-starke Zeit viel verloren geht. Das Einbinden von neuen Mitarbeitern in die Firmenkultur über gemeinsame Mittagessen, das Schaffen von Zugehörigkeitsgefühl über Firmenrundgänge und Begrüßungsrituale, diese vielen kleinen Rädchen im Aufnahmeprozess stehen nun still.
Chefs haben zentrale Rolle
„Führungskräfte müssen daher entsprechend geschult werden, um neue Mitarbeiter digital willkommen zu heißen“, erklärt Elisa Pietrasch, Senior Consultant und Expertin für HR-Digitalisierung und Transformation im Beratungsunternehmen Clevis. „Denn gerade Führungskräfte nehmen im Onboarding-Prozess eine zentrale Rolle ein – sie bestimmen, in welcher Frequenz in den Teams kommuniziert wird, indem sie Meetings organisieren.“
Chefs haben damit auch einen indirekten Einfluss auf die soziale Integration. „Zudem verantworten sie das fachliche Onboarding und damit die Einarbeitung in die noch neuen Aufgabenbereiche, kommunizieren die Ausgestaltung der Arbeit sowie ihre Wünsche und Erwartungen an den Mitarbeiter“, so Pietrasch.
Junge möchten abgeholt werden
Dass Führungskräfte sich hier nicht aus der Verantwortung eines gelungenen Onboardings ziehen können, belegen Umfragen: An der Spitze der häufigsten Austrittsgründe steht mit 19 Prozent Unzufriedenheit mit der Führung, zeigt eine Studie von Deloitte.
Überdies scheiden mit 23 Prozent überdurchschnittlich oft Berufseinsteiger wieder aus dem Unternehmen aus. Onboarding sollte also ernstgenommen werden, betont die Expertin. „Es legt den Grundstein für eine gute Zusammenarbeit.“ Insbesondere mit jüngeren Gruppen am Arbeitsmarkt, wie Praktikanten und Uniabsolventen, die zu den begehrten Nachwuchs-Fachkräften gehören.
Das belegt auch die aktuelle Ausgabe des „Future Talents Reports“ von Clevis, in der Vertreter der Generation Y und Z (zwischen 1984 und 2010 Geborene) u. a. über ihre Onboarding-Erfahrungen befragt wurden. Ergebnis: Vor allem die soziale Interaktion kommt zu kurz. „Wer zum ersten Mal aus der Theorie im Studium in die Praxis der Arbeitswelt einritt, will bei diesem Übergang gut betreut und sicher abgeholt werden“, erklärt die stellvertretende Studienleiterin Janine Zimmermann.
Welcome Day und Chat-Gruppen
„Gutes Onboarding beginnt bereits vor dem ersten Arbeitstag. „Dazu gehört das Bereitstellen von Laptops und Arbeitshandy, Unterlagen mit wichtigen Informationen, aber auch Willkommensgeschenke wie das Zuschicken gebrandeter Taschen und Kleidungstücke.“ Die soziale Interaktion können Firmen mithilfe von digitalen Tools kompensieren.
„Stellt eine Firma zum Beispiel mehrere Mitarbeiter ein, bietet sich ein virtueller Welcome Day an oder das Organisieren einer gemeinsamen Chat-Gruppe“, so Zimmermann. Dies fördere die Gruppenbildung und erste Vernetzung unter den Mitarbeitern. Immerhin ist den meisten Firmen die Bedeutung der Aufnahme und Einarbeitung von Mitarbeitern – zumindest in Deutschland – klar. 95 Prozent der im Report befragten Nachwuchs-Fachkräfte gaben an, ein Onboarding bekommen zu haben.
Kostspielige Fehler
Auch in Österreich sei die Bedeutung über diesen Prozess stärker im Bewusstsein der Firmen angekommen, meint Anita Stadlmann, Personalexpertin und Partnerin des HR-Netzwerks Wolkenrot. Denn Onboarding sei weit mehr als das Bereitstellen von Willkommensgeschenken. „Es vermeidet kostspielige Fehler.“
Ein Abgang ist teuer: Laut einer Studie von Deloitte liegen die durchschnittlichen Kosten bei rund 14.900 Euro pro Stelle und sind mit der Anzahl der notwendigen Nachbesetzungen zu multiplizieren. „Hinter dem Einstellungsprozess steht viel Arbeit: Eine Stellenausschreibung, die Such- und Auswahlstrategie geeigneter Kandidaten, sowie die Zeit, die in die Einschulung investiert wird“, so Stadlmann.
Eine Frage der Kultur
Ob und in welcher Form das Onboarding abläuft, hat aber auch indirekte Effekte auf die Unternehmenskultur selbst. Wenn sich ein Arbeitgeber überlegt, wie er Bewerbungsprozesse führt und Neueinsteiger aufnimmt, macht er sich automatisch auch Gedanken über die eigenen Werte, Normen und Verhaltensweisen.
„Die Unternehmenskultur entsteht aus der Summe aller Personen. Es sind die Menschen, die sie prägen. Daher ist es im Recruiting-Prozess wichtig, die eigene Kultur zu zeigen. So findet man auch eher neue Mitarbeiter die zu einem passen“, erklärt Stadlmann.
Unternehmen im Wandel
Gerade die Neuzugänge in Firmen haben eine sehr sensible, weil unvoreingenommene, Antenne für ihre Umgebung. „Kultur, oder besser kulturelle Merkmale erschließen sich uns am leichtesten, wenn sie uns fremd sind“, schreibt auch Peter Fischer, Betriebswirt, Psychologe und Autor von „Zukunftsfaktor Unternehmenskultur“.
Er beobachtet: Firmen setzen sich zunehmend mit ihrer Unternehmenskultur auseinander, möchten alte Werte gegen neue tauschen, für einen zeitgemäßeren, modernen Auftritt. Der Treiber dahinter: Geschwindigkeit. Um immer schneller werdenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen gerecht zu werden, vollzog sich in vielen Firmen ein Kulturwandel.
Innovation, Autonomie, Schnelligkeit
„Vor zehn Jahren waren Unternehmenskulturen noch stark von der Nationalkultur, Branchen und ihren jeweiligen Produkten geprägt“, erklärt Fischer. „Vor allem deutsche Unternehmen waren stark auf Perfektion und Hierarchie getrimmt.“ Mit der Digitalisierung und dem Erstarken der Tech-Branche, allen voran mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Platzhirsche Apple, Microsoft und Google, wurden plötzlich andere Werte wichtig: Schnelligkeit, Innovation, Autonomie, Kundenerfolg.
„Diese Werte ziehen sich heute über alle Branchen hinweg“, so Fischer. Selbst alt eingesessene, traditionelle Firmen versuchen sich umzupolen. Die gnadenlose Wettbewerbssituation übe Druck aus, zwinge Firmen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. Der Haken: Kooperativität, flache Hierarchien oder Geschwindigkeit passen nicht in jedes Firmenbild.
„Unternehmenskultur lässt sich nicht einfach kopieren und übertragen“, erklärt Fischer. „Ein Kulturwandel sollte gemeinsam mit den Mitarbeitern erarbeitet werden, sonst fühlen sich nicht mehr alle zugehörig.“ Kultur erfülle nämlich eine wichtige Funktion: „Sie schafft Identifikation und gibt Mitarbeitenden eine Heimat.“ Und diese beginnt ja bekanntlich schon beim Eintritt in das Unternehmen.
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