Österreichs Jobmarkt hat Schwächen – wer diese am meisten spürt
Seit 2016 sinkt die Arbeitslosigkeit in Österreich. Das ist positiv. Mehr Menschen sind in Beschäftigung, können ihren Lebensunterhalt besser bestreiten, sich etwas leisten. Weniger Menschen müssen vom Sozialsystem unterstützt werden. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote nach nationaler Definition bei 6,8 Prozent.
Diese Quote wird monatlich erhoben, sie zeigt jedoch nur einen kleinen Teil eines großen Bildes. Der Arbeitsmarkt ist bunt und vielschichtig, es gibt viele Wechselwirkungen zu anderen Bereichen. Welchen, das zeigt der Arbeitsmarktmonitor. Er vergleicht Werte des österreichischen Arbeitsmarkts mit Werten anderer EU-Länder. Der aktuelle wurde soeben vom WIFO und der Arbeiterkammer veröffentlicht und zeigt: Österreich hat einen Arbeitsmarkt, der gut funktioniert.
In vier der fünf untersuchten Felder liegt Österreich über dem EU-Schnitt: Bei der Untersuchung, wie gut wir einzelne Personengruppen integrieren (etwa Langzeit- oder Jugendarbeitlose) und bei der Umverteilung durch den Sozialstaat (die Schutzleistungen sind hoch) sind wir im Spitzenfeld. Bei der Verteilung der Erwerbseinkommen und beim Punkt, wie viel Leistungskraft die Menschen in Österreich überhaupt haben, können wir mit den besten Ländern, wie Irland, Luxemburg, Schweden oder Dänemark mithalten.
Vier Schwächen – und ihre Lösungen
„Gleichzeitig gibt es Defizite“, sagt Adi Buxbaum, Referent der Abteilung Sozialpolitik bei der AK Wien. Gemeinsam mit Sonja Ertl hat er auf Basis der EU-Arbeitsmarktdaten für den KURIER vier Schwächen und vier Lösungen herausgearbeitet:
1. Gleichstellung
Wir haben Gleichstellungsdefizite. Die hohe Teilzeitquote von Frauen und der Gender Pay Gap (Anm. Einkommensungleichheit zwischen Frauen und Männern) sind ein Problem.
2. Ältere Arbeitnehmer
Wir schaffen es nicht, ältere Arbeitnehmer gesund und altersgerecht am Erwerbsleben teilhaben zu lassen.
3. Bildungsstand der Bevölkerung
Die Bildungsdurchlässigkeit ist ausbaufähig, der Anteil der Bevölkerung mit Uni-Abschluss zu niedrig.
4. Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz
Wir haben zu wenige gesunde Jahre und überdurchschnittlich viele tödliche Arbeitsunfälle – 2,9 auf 100.000 Menschen.
Man kann also sagen: Es geht uns gut, aber es gibt Bereiche mit Potenzial. „Bei den Ausgrenzungsrisiken schneidet Österreich relativ schlecht ab. Anderen Ländern gelingt es besser, hier Risiken zu minimieren“, sagt die Studienautorin des Arbeitsmarktmonitors vom WIFO, Ulrike Huemer. Hinzu kommt: „Auf dem Arbeitsmarkt gibt es einen prognostizierten Turnaround.
Die Konjunktur-Surf-Phase ist vorbei, jetzt müssen wir selber paddeln. Das reale Wirtschaftswachstum wird unter zwei Prozent erwartet – in den vergangenen Jahren lag es bei 2,6 und 2,7 Prozent“, sagt Buxbaum. Zeit, Maßnahmen zu setzen. Aber welche?
Höhere Investitionen in Kinderbetreuung und Pflege
Das Problem des Gender Pay Gaps sei großteils hausgemacht: Kinderbetreuungseinrichtungen sind, vor allem am Land, häufig so organisiert, dass Frauen mit Kindern nicht Vollzeit arbeiten gehen können – sie werden in die Teilzeit getrieben. Nicht nur, aber auch dadurch, verdienen sie weniger : Österreich hat den fünft höchsten Gender Pay Gap in der EU. „Man muss sich schon fragen: Warum ist die Zuschreibung, dass Frauen zu Hause bleiben, heute noch so dominant? Warum überwiegt in Österreich das Eineinhalb-Verdiener-Modell?“, sagt Buxbaum.
Um die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu reduzieren, braucht es Anstrengungen der Gesellschaft – man kann das Thema nicht den Paaren überlassen.
„Natürlich finden sich Frauen damit ab, bei den Kindern zu bleiben, sie machen das meist gern. Um die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu reduzieren, braucht es Anstrengungen der Gesellschaft – man kann das Thema nicht den Paaren überlassen“, sagt Carina Altreiter, Soziologin mit Schwerpunkt Arbeit und soziale Ungleichheit an der Uni Wien.
Mögliche Hebel: Investitionen in Kinderbetreuung, Ganztagsschulen, Pflege. Auch könnte das AMS-Budget bewusst in Richtung Gleichstellung gesteuert werden oder die Einkommen generell transparent werden, so die Arbeiterkammer.
Verpflichtende Älteren-Quote für Unternehmen
Ältere Personen am Arbeitsmarkt – im Mai ist die Zahl der Arbeitslosen unter ihnen leicht gestiegen – sind in Österreich unterrepräsentiert. Die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen beträgt lediglich 51,3 Prozent – weit unter dem EU-Schnitt. Die AK schlägt vor, etwa ein Bonus-Malus-Modell in Form einer verpflichtenden Älteren-Quote für Unternehmen oder Präventionsfonds gegen Erkrankungen im Job einzuführen.
Stehen Arbeitnehmer nicht bedingungslos zur Verfügung, gelten sie als unwillig, unbequem und werden auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht.
„Wir haben wenig Sensibilität, wenn es um Altersdiskriminierung geht“, sagt Carina Altreiter von der Uni Wien. „Arbeitnehmer müssen heute aktiv und ohne andere Verpflichtungen sein. Stehen sie nicht bedingungslos zur Verfügung, gelten sie als unwillig, unbequem und werden auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht.“ Die Arbeitnehmer geraten immer mehr unter Druck – ein Teufelskreis: „Man presst die Menschen aus, bis sie ein Fall fürs Sozialsystem sind. Die Leistungen wiederum werden gestrichen, weil alles zu teuer wird“, veranschaulicht Altreiter.
Mehr auf die psychische Gesundheit achten
Dieser Umstand mündet in den nächsten Bereich, in dem Österreich laut Arbeitsmarktmonitor schlecht abschneidet: Der Gesundheit der Arbeitnehmer. Wir haben zu wenige gesunde Jahre im Erwerbsleben und in der Pension. „Man ist froh, im Spiel zu bleiben, einen Arbeitsplatz zu haben, aber man zahlt dafür einen hohen Preis – mitunter die eigene Gesundheit.
Nur sechs von zehn Menschen können es sich heute vorstellen, bis zur Pension in ihrem aktuell ausgeübten Beruf zu bleiben.“ Die Psyche der Arbeitnehmer wird in einer anspruchsvollen Dienstleistungsgesellschaft stark beansprucht, aber bei Weitem nicht so gut gewartet, wie Maschinen in den Fabriken. Immer höher, weiter, schneller – das endet für viele in Frühpension oder im Krankenstand.
Ausbau von FH-Plätzen vorantreiben
Und schließlich: Je gebildeter ein Mensch ist, desto eher kann er selbstbestimmt arbeiten. Deshalb sei es wichtig, die Bildungsdurchlässigkeit im Land zu verbessern – etwa durch einen Ausbau von FH-Plätzen.
Je weiter unten in der Hierarchie und austauschbarer Menschen arbeiten, umso weniger können sie ihre Arbeit und ihren Freiraum gestalten.
„Je weiter unten in der Hierarchie und austauschbarer Menschen arbeiten, umso weniger können sie ihre Arbeit und ihren Freiraum gestalten. Dadurch entsteht eine dauerhafte Schieflage, die sich auf die Psyche schlägt“, so Adi Buxbaum von der AK. Die Uni-Wien-Soziologin Altreiter mahnt, diesen Faktor ernst zu nehmen: „Wirtschaft und Gesellschaft bilden langfristig eine Einheit. Betriebe tragen Verantwortung.“
Ob sie die wahrnehmen und wie der Chef des AMS, Johannes Kopf, die Lage am Arbeitsmarkt sieht, lesen Sie im großen Interview hier:
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