Neid ist allgegenwärtig
Das höhere Gehalt, das schnellere Auto, die klügeren Kinder, die Erfolge des Kollegen, die glückliche Partnerschaft – Neid kennt viele Gründe, sich zu zeigen. Er ist ein ständiger Begleiter, so alt wie die Menschheit – und noch viel älter. US-Anthropologe Christopher Boehm sagt, dass Neid das Zusammenleben bestimmter Affenarten seit sieben Millionen Jahren prägt – und damit auch die menschliche Entwicklung beeinflusst hat.
Viele Jahrtausende später hat sich der Mensch hier nicht verändert. Neid ist allgegenwärtig. Und trotzdem wird ungern darüber gesprochen. Denn Neid gilt als abscheulich, als Übel, das im Hinterhalt lauert, das jeder kennt, dessen Bekanntschaft jeder von sich weist. Wer neidet, ist boshaft und zerstörerisch – oder schützt sich selbst mit Entwertung. Mit Aussagen wie "Der hat es weit geschafft. Aber der geht auch über Leichen", oder: "Das Auto ist viel zu protzig. Ich würde mich genieren."
Die Besten
Warum ist es so schwierig zu akzeptieren, dass ein anderer mehr kann, mehr hat? Weil Neid in der Natur des Menschen liegt. Es ist laut Christopher Boehm ein Werkzeug der Evolution. "Neid ist unausweichlich, gehört zum Leben wie alle anderen Gefühle", sagt auch Ulf Lukan, ein anerkannter Psychoanalytiker in Graz. Übertroffen zu werden schmerzt. Es folgt Wut, es folgt Verlangen. Neid ist ein Gefühl, dass die meisten schon in der Kindheit erfahren. Psychoanalytiker Ulf Lukan konnte verfolgen, dass Personen, die als Kinder (subjektiv) Ungerechtigkeit erlebt haben, ein Leben lang vom Gefühl begleitet werden, dass ihnen ein Recht vorenthalten geblieben ist. "Gerechtigkeit in der Familie ist eine Voraussetzung, dass man nicht in schwierige Situationen mit dem Neid kommt und daraus Missgunst wird."
Denn Neid kann zerstörend wirken, wie ein Experiment an der University of Warwick zeigt: Obwohl keiner der Probanden einen Vorteil davon hatte, bei einem harmlosen Glücksspiel die Gewinne der anderen zu schmälern, taten es die meisten: "Zwei Drittel der Kandidaten haben sich an dieser Kapitalvernichtung beteiligt. Das Ungetüm ist uns mitten durchs Labor stolziert", sagte Andrew Oswald, einer der Wissenschafter.
Ein Vergleich, der zu unseren Ungunsten ausfällt
Martin Limbeck ist einer der bekanntesten Business-Trainer in Deutschland. Vor wenigen Tagen ist sein Buch „Warum keiner will, dass du nach oben kommst“ im Redline Verlag erschienen. Es ist eine Geschichte über den Neid – und darüber, dass man sich oft selbst im Weg steht. Limbeck stammt aus einer gutbürgerlichen Familie und arbeitete sich nach oben. Er sagt: „Ich habe zu oft auf die falschen Leute gehört, die mich eigentlich nicht vorbeilassen wollten.“ Limbeck erzählt von einem Kollegen, der missgünstig wurde, weil sich sein Buch schlechter verkaufte – so seine Version.
Eben das ist das Wesen des Neids: Er ist eine Reaktion auf den Vergleich mit anderen, bei dem wir schlechter aussteigen. Zumindest in unserer Fantasie. Der Neider sieht bei einem anderen, was er gerne hätte oder wäre – und vermutet dort mehr Glück und Zufriedenheit. „Da ist fast magisches Denken drinnen: Hätte ich das, was der andere hat, wäre ich glücklicher. Dabei wissen wir ja meist nicht einmal, wie es dem anderen damit geht, welche Opfer er dafür gebracht hat“, erklärt Ulf Lukan. Dass es oft nicht um die Gegebenheiten geht, sondern nur darum, wer im Vergleich besser abschneidet, zeigt eine Studie der Cornell University: Die Probanden durften ihr Einkommen abhängig vom dem der anderen bestimmen. Mit zwei Wahlmöglichkeiten: 100.000 Dollar im Jahr für sich selbst, während alle anderen 85.000 Dollar verdienen. Oder aber: 110.000 Dollar für sich selbst, während alle anderen 200.000 Dollar bekommen. Die meisten Teilnehmer wählten die erste Möglichkeit – unerträglich war ihnen, weniger als die anderen zu haben.
Jämmerlich am Neid ist, dass er meist in der Nähe auftritt – unter Kollegen, Freunden oder in der Familie. „Irgendwelchen Idolen in der Ferne, die für mich fast auf einem anderen Planeten leben, denen neiden wir den Luxus nicht“, sagt Ulf Lukan. Der Vergleich ist umso eindrucksvoller, je ähnlicher man einander ist. Ein Konkurrenzverhältnis verschlimmert das Neidgefühl noch weiter. Doch in welcher Intensität der Neid sich zeigt, hängt maßgeblich vom eigenen Selbstbewusstsein ab.
Neid treibt auch an
„Unter den sieben Todsünden ist der Neid die einzige, die überhaupt keinen Spaß macht“, schrieb der US-Essayist Joseph Epstein. Wozu ist Neid überhaupt gut? Er macht unglücklich, boshaft und missgünstig, im übelsten Fall wirkt er zerstörerisch.
Doch Neid ist eben nicht gleich Neid: Neid ist auch eine Triebfeder. Der US-Anthropologe Christopher Boehm ist überzeugt, dass Neid geradezu ein Werkzeug der Evolution ist. Denn Neid sei der Antrieb, mit seinem Los unzufrieden zu sein, „seine Position verbessern zu wollen und die Hierarchie infrage zu stellen – sodass schließlich, trotz aller Kooperation, doch der Wettbewerb bestimmt, wer seine Gene verbreiten darf.“ Neid ist eben nicht nur übel, und hat deshalb seinen schlechten Ruf und die Verleumdung nicht verdient.
Neid macht besserDer Vergleich mit anderen kann ungemein motivierend wirken: Da überprüfen wir die eigene Position und loten die eigenen Stärken und Schwächen aus – verändern vielleicht unsere Lage, wechseln den Job und entwickeln eigene Fähigkeiten weiter. Nur über den Vergleich mit anderen lernen wir auch über uns selbst: „Es wird oft behauptet, sich nicht zu vergleichen. Sie sagen: ,Ist mir doch wurscht, was der andere hat.‘ Doch das funktioniert so nicht. Wir vergleichen uns permanent. Wir würden nichts über uns selbst wissen, würden wir uns nicht vergleichen“, sagt Ulf Lukan.
Eine weitere wichtige Funktion von Neid ist, dass er Ungerechtigkeiten aufzeigt. „Manchmal werden berechtige Anliegen und Ungerechtigkeiten so tatsächlich desavouiert. Beispiel Reichensteuer: Hier wird den Fürsprechern der niedrige Trieb des Neides vorgeworfen“, sagt Lukan. Anderen Neid zu unterstellen ist eine rhetorische Waffe – die auch der zu junge, zu schöne, zu intelligente KarlHeinz Grasser gern gebrauchte.
Ulf Lukan plädiert dafür, Neid nicht zu tabuisieren, sondern ihm eine Legitimation einzuräumen. Zu Lernen, damit umzugehen, ihn zu kontrollieren. Ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstreflexion sind jedoch Voraussetzung. Denn irgendeiner ist immer besser, jünger, gescheiter, schöner, beliebter.
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