Nach welchen Werten handeln Sie?

Werte müssen in Unternehmen gelebt werden, sonst sind sie völlig entbehrlich. Doch nach welchen Werten handeln wir heute? Kann es in unserer heterogenen Arbeitswelt überhaupt Werte geben, die für alle gelten?
Nach Skandalen, im Wahlkampf, generell in Krisenzeiten werden Werte verstärkt diskutiert. Wir haben einen Gründer, eine Managerin und einen Unternehmer befragt, wie es um die Werte in der Arbeitswelt steht.

"Scheiß auf Werte", sagt Sepp Zotter. Das verstört. Werte – auf ihnen basiert die Gesellschaft, sie ermöglichen das Zusammenleben, sie sind für alle Individuen eines Kollektivs gültig. "Gemeinsame Werte", so heißt es in der Wertefibel für Neo-Österreicher des Innenministeriums, "geben der Vielfalt Zusammenhalt." Welche Werte in Österreich gelten, wurde dort ebenso definiert: Es sind 18, von denen einige, wie Respekt und Gerechtigkeit, hier in Violett zu lesen sind. Werte, die in dieser unspezifischen Form wohl in weiten Teilen der Welt ihre Geltung haben.

Immerhin: Sie sind ein erster Anhaltspunkt. Doch welche tatsächlich gelten, welche gelebt werden, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Dass sie auf der Webseite www.staatsbuergerschaft.gv.at in der Werte-Fibel definiert oder als sogenannte "Core Values" in jedem Stockwerk von Unternehmen plakatiert sind, reicht lange nicht aus. Denn: was nutzen sie, wenn sie nur hohle Phrasen sind? Eben dazu sagt Zotter: "Scheiß drauf." Der Unternehmer, der soeben als Entrepreneur of the Year 2015 geehrt wurde, setzt auf Taten statt auf hochtrabende Worte (siehe Interview rechts).

Wie sensibel und veränderbar Werte sind und wie schnell sie in Zeiten der Gewinnmaximierung vergessen werden, zeigt der VW-Skandal. Das Debakel rund um das einstige Symbol für Stabilität, Integrität und Vertrauen war eine tiefe Enttäuschung– weil niemand erwartete, dass ein Fels in der Brandung in Wahrheit nur eine Kulisse aus Pappmaché war. Dass die VW-Firmenbosse trotzdem kassieren, regt genauso auf wie das Bonzen-Gehalt des zukünftigen Wiener Vizebürgermeisters.

Die Nebenwirkung von Aufregern wie diesen: Im besten Fall reinigen sie, indem sie eine Debatte anstoßen.

"Wenn allen klar wäre, welche Werte es gibt, würden wir nicht über sie reden. Aber wenn wir über sie sprechen, bedeutet dass, das sie sich verändern und dass hinterfragt wird, ob diese Wertveränderungen wünschenswert sind oder nicht", sagt der Wissenschaftler Philipp Ikrath. Ähnlich dynamisch sieht es der Arbeitskreis der Industriellenvereinigung zum Thema Werte und Wirtschaft: "Das Wertereservoir einer Demokratie basiert nicht auf vermeintlich ,ewigen‘ Werten, sondern muss im gesellschaftlichen Dialog immer neu erarbeitet werden".

Grundwerte und Akzeptanzwerte

Ein wenig entknotet sich das Thema, wenn die Werte differenziert betrachtet werden: Ikrath erklärt, dass man zwischen ideellen Grundwerten (wie etwa Gleichheit) und Pflicht- und Akzeptanzwerten (wie Pünktlichkeit, Gehorsam, Sicherheit oder Anpassung) unterscheiden muss. Handlungsleitend seien wahrscheinlich eher die Pflicht- und Akzeptanzwerte. Was wir derzeit erleben, ist laut Ikrath "das Phänomen, dass sich zunehmend alle Lebensbereiche dem Druck der Wirtschaft und dem Druck, zu funktionieren, anpassen müssen." Er nennt romantische Beziehungen als Beispiel: "Man investiert heute in eine Beziehung, sucht in einer Partnerbörse, auf dem Partnermarkt." Und weiters die Politik: "Die erste Frage ist immer, kann man sich das leisten: Die Flüchtlinge, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie", so Ikrath.

Der Ausweg: bewusst machen, hinterfragen, reflektieren, welche Werte wichtig sind – am besten ohne Zeigefinger und moralischen Fingerzeig. Stichwort: Toleranz.

Interessant ist, dass genau dieser Wert laut der aktuellen deutschen Shell-Jugendstudie wieder an Bedeutung gewinnt: 82 Prozent der Jugendlichen finden "die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und zu respektieren" wichtig. Die Umfrage gilt auch in Österreich als Trendbarometer. Demnach schätzen die Jugendlichen Familie und Freunde, wollen fleißig und ehrgeizig sein. Macht und hoher Lebensstandard haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. Zunehmend steht für die Jungen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund. Sie wollen zudem mehr Flexibilität. Die Debatte um Werte wird sich weiterdrehen: Denn neue Rahmenbedingungen erfordern die erneute Reflexion der Werte.

KURIER: Sie wurden vor einer Woche vom Beratungsunternehmen EY zum Entrepreneur of the Year gekürt. Welchen Werten haben Sie das zu verdanken?
Josef Zotter:
Es geht darum, dass die Leute gerne bei uns arbeiten. Auch wenn wir ein Schoko-Laden-Theater und einen essbaren Tiergarten haben, am Ende ist es ja auch hier Arbeit. Wir müssen es schaffen, dass die Firma wie Urlaub für die Leute ist.

Wie setzen Sie das um?
Das fängt da an, wo man als Chef sitzt: Weit oben oder unter den Leuten. Aber eigentlich geht es nur um zwei Dinge: Die Aufgabe eines Unternehmers ist, die richtigen Leute in den richtigen Positionen zu haben. Egal wofür sie sich beworben haben. Und zweitens: Frisch gekochtes Bio-Essen ist für alle Mitarbeiter gratis. Das kostet uns zwar einen Haufen Geld, aber das sparen wir an Krankenstandstagen ein und die Leute sind viel fitter. Wir essen alle gemeinsam an einem riesigen Tisch – mit den Kindern aus dem Betriebskindergarten. Ich habe schon sehr lange einen Satz unter meinen eMails stehen: „Die Maximierung der Menschlichkeit ist wohl der größte Gewinn.“ Das sagt alles. Wir sind ein reiner Biobetrieb, betreiben nur fairen Handel, wirtschaften ökologisch und sind damit erfolgreich. Das sind unsere Unternehmenswerte. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit den Werten – man muss es eben irgendwie vorleben. Wir haben eine Flüchtlingsfamilie in einer Zotter-Wohnung untergebracht. Auch das ist ein Unternehmenswert: Wir können nicht hundert nehmen, aber wir können einen Teil beitragen.

Sie haben einen Shop in Schanghai eröffnet – China ist bekannt für oft unmenschliche Arbeitsbedingungen. Wie steht es dort um Werte?
Wir sind eines der ersten bio- und fairen Unternehmen in China. Das nutzen wir auch aus – deswegen kommen viele Kunden zu uns und das Interesse der Medien und der Politik ist groß. Es geht immer wieder darum, ein Vorbild zu sein. Aber klar braucht es Zeit, bis sich etwas ändert. Wir versuchen eben etwas beizutragen.

KURIER: Microsoft hat weltweit rund 117.000 Mitarbeiter. Kann es allgemeingültige Werte für diese große, heterogene Gruppe geben?
Dorothee Ritz:
Ja, das kann es. Ich bin seit 2004 bei Microsoft und die Grundwerte sind es, wieso ich mich hier so wohl fühle. Schon im ersten Bewerbungsgespräch bekommt man diese Werte mit.

Welche Werte sind zentral?
Wir haben absolute Grundwerte, etwa Honesty und Accountability. Wir sind stolz auf unseren Gründer Bill Gates und seinen philanthropischen Ansatz. Würden wir diese Werte nicht leben, dann wären wir unglaubhaft. Es ist uns sehr ernst mit Diversity und Compliance. Compliance hat mit persönlicher Integrität zu tun, mit Respekt, mit Vertrauen und mit Zuverlässigkeit. Außerdem hat Microsoft in den vergangenen Jahren eine moderne Arbeitsweise etabliert: Da geht es um Themen wie Vertrauensarbeitszeit, ergebnisorientiertes Arbeiten, große Flexibilität. Dann sind etwa Werte wie Eigenverantwortlichkeit und Transparenz wichtig. Zu großer Freiheit gehört auch die Transparenz der Leistung. Ein großes Thema für uns und für viele andere Unternehmen ist, wie man eine Innovationskultur etabliert. Unser CEO Satya Nadella sagte, dass in unserem Business nicht Tradition belohnt wird, sondern Innovation. Das ist für Deutsche und Österreicher mal eine Ansage. Einer unserer Kernwerte ist, dass belohnt wird, wer lernt, wer mutig ist, wer Dinge wagt und versucht.

Wie stellen Sie sicher, dass diese Werte gelebt werden?
Wenn so viele Menschen diese Werte leben, haben sie auch ein Umfeld, dass sich selbst reinigt. Schwieriger wird es bei starker Belastung und wenn der Mitarbeiter nicht mehr entscheiden kann, was das Wichtigste ist. Da bin ich als Führungspersönlichkeit gefragt.

Sie als Vorbild?
Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst.

Microsoft ist in den USA mit einer Klage wegen Benachteiligung einer Frau konfrontiert.
Ich kann zu dem speziellen Fall nichts sagen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir bei der Beurteilung unserer Mitarbeiter sehr genau und transparent sind. Es gibt immer enttäuschte Leute.

KURIER: Sie und Michael Doberer haben das Vergleichsportal Durchblicker vor fünf Jahren gegründet. Wann muss man sich in einem Start-up Gedanken über Werte machen?
Reinhold Baudisch: Als Gründer startet man einfach mal los. Ganz automatisch muss man aber immer wieder strategische Entscheidungen treffen. Dann gibt es natürlich nicht nur einen Weg. Wenn man später reflektiert, wieso man sich für eine Richtung entschieden hat, kommt man drauf, dass es wohl mit Werten zu tun haben muss. Wir haben begonnen, uns diese Werte bewusst zu machen und zu leben.

Welche Werte sind zentral?
Wir haben die Werte unseren drei Stakeholder-Gruppen zugeordnet: Bei den Anbietern legen wir enormen Wert auf strikte Unabhängigkeit, Äquidistanz und Professionalität. Bei den Usern zählen wir auf Einfachheit, Objektivität und wollen die beste Beratung bieten, die wir geben können. Im Team sind die „Oldies, but Goldies“ Fairness und Respekt enorm wichtig. Auch das Thema Meritokratie ist bei uns zentral. Es gibt Hierarchien, aber es ist wurst, von wem eine Idee kommt. Es soll der Fähigste etwas beitragen und nicht der mit der längsten Betriebszugehörigkeit. Mittlerweile haben wir 35 Mitarbeiter und eine mittlere Führungsebene. Da reicht es nicht mehr, dass nur wir Gründer die Werte im Kopf haben. Wenn Werte nur hohle Phrasen sind, hat man ein Problem. Sie müssen Teil der Unternehmenskultur sein.

Welche Maßnahmen setzen Sie?
Wir haben einen internen Tag der offenen Tür, eine ausgeprägte Feedback-Kultur, jedes zweite Monat unser Management- und Innovation-Breakfast und wir fördern bewusst Widerspruch. Jeden zweiten Donnerstag wird gemeinsam gekocht. Und wir haben einen Chief Happiness Officer. Unsere Mitarbeiter sind das Allerwichtigste, unser einziges Asset abseits der Reputation.

Vom Start-up zum Wachstumsunternehmen: Wird es mit wachsender Größe schwieriger, Werte zu transportieren?
Je größer die Firma wird und je mehr Organisationsebenen man man hat, desto schwieriger wird es. Mein Respekt vor Managern ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Es ist eine große Challenge, ich bin hier noch ein Lehrling.

Kommentare