Nach Feierabend abschalten lernen
In der Freizeit berufliche Anrufe und Mails beantworten? Sicher nicht. Die Franzosen dürfen seit Jahresbeginn getrost weghören und wegsehen. Ein weltweit einzigartiges Gesetz gibt Arbeitnehmern in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern das Recht, in der Freizeit abzuschalten. Konkret bedeutet das: Schickt der Chef eine eMail und der Arbeitnehmer antwortet nicht darauf, dürfen ihm daraus keine Nachteile erwachsen. Diese Anti-Stress-Verordnung soll dafür sorgen, dass es weniger Burn-out-Fälle gibt. Denn Psychologen warnen schon seit Jahren vor einer Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit.
Und in Österreich?
Weniger klar ist die Erreichbarkeit nach Dienstschluss in Österreich geregelt. Zwar gilt alles, was Mitarbeiter in ihrer Freizeit für die Firma tun, als Arbeitszeit und Überstunden müssen bezahlt werden. Allerdings hat ein Viertel aller Arbeitnehmer in Österreich einen All-in-Vertrag, mit dem alle Überstunden automatisch abgedeckt sind. Eine klare Regelung wie in Frankreich existiert in Österreich derzeit nicht.
Viele Arbeitnehmer können nach getaner Arbeit nicht abschalten – auch wenn der Chef sie gar nicht stört. "Viele nehmen beruflichen Themen und den Arbeitsalltag mit nach Hause", sagt Ruth Freund, Projektleiterin und Psychologin mit Schwerpunkt Arbeitspsychologie von fit2work. Die Gedanken rotieren um das Arbeitspensum, das noch vor einem liegt. Viele Menschen sind Tag und Nacht erreichbar. Für den Körper bedeutet das, niemals in einen Zustand der Entspannung zu kommen. Die Folge sind häufig Schlafstörungen. Und hier beginnt der Teufelskreis. Während nächtens berufliche Probleme im Kopf rotieren, werden Stresshormone ausgeschüttet. Dabei brauchen wir den erholsamen Schlaf so dringend: Denn wenn wir schlafen, werden Stresshormone abgebaut. Deshalb ist es so wichtig, die beruflichen Probleme dort zu lassen, wo sie hingehören: Im Job. Häufig wird auch die wenige freie Zeit kaum genützt. Statt die wenigen Stunden nach Dienstschluss für sich zu nutzen, ärgert man sich immer noch über einen Vorfall im Job. Außerdem lässt sich nicht aus dem Kopf verbannen, was morgen alles zu tun ist. Wer rund um die Uhr im "Stand-by"-Modus läuft, kann sich nicht mehr richtig erholen.
Die Tipps
"Um die Arbeits- von der Freizeit zu trennen, muss man eine Entscheidung treffen", betont Freund. Zunächst einmal muss man sich für feste Arbeitszeiten entscheiden. Dazu zählt, das Handy auch einmal auszuschalten und keine eMails zu checken. Denn ein entspannter Feierabend ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Für eine gute Work-Life-Balance empfiehlt die Arbeitspsychologin außerdem die Einhaltung von Ritualen.
Am Ende jedes Arbeitstages könnte man:
- Den Arbeitsplatz aufräumen: Das hat auch den Vorteil, dass man am nächsten Tag gleich starten kann
- Die Hände waschen
- Das Büro lüften
- Wenn man zu Hause ankommt, empfiehlt es sich, noch ein paar Schritte zu gehen, sich zu bewegen und frische Luft zu schnappen
- Die Kleidung, die man im Büro getragen hat, wechseln. Dann hat man gleich einen anderen Hut auf, nicht mehr den des Angestellten
"Aber auch grundsätzliche Änderungen können dafür sorgen, dass Stress erst gar nicht entsteht", sagt Lisa Tomaschek-Habrina, Psychotherapeutin und Businesscoach. Sie empfiehlt:
- Verzichten Sie bewusst auf Multitasking
- Lernen Sie, auch einmal "Nein" zu sagen
- Legen Sie regelmäßig kurze Pausen ein und arbeiten Sie nicht monoton vor sich hin: Alle eineinhalb Stunden sollte man zehn bis 15 Minuten lang etwas anderes tun: aufstehen, in einen anderen Raum gehen
- Der Berg an Arbeit erdrückt Sie? Machen Sie eine Prioritäten-Liste und verschieben Sie Dinge, die nicht dringend fertig werden müssen
- Es macht keinen Sinn, stundenlang über Fehlentscheidungen zu grübeln. Schauen Sie nach vorne und freuen Sie sich über Gelungenes
- Wenn das Telefon dauernd klingelt und man immer wieder aus der Konzentration gerissen wird, kann es helfen, Telefon-Sprechstunden einzuführen.
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