"Monotonie bei der Arbeit ist Gift"

Neurowissenschaftler Henning Beck
Das Gehirn will abgelenkt werden. Großes Glück für blinkende Handys, Pech für den Arbeitgeber. Die Lösung: Aktive Ablenkung, erklärt Neurowissenschaftler Henning Beck. Damit lässt sich sogar die Welt verändern.

KURIER: Ablenkungen gibt es, seitdem es Arbeit gibt – ein Zitat aus Ihrem neuen Buch "Irren ist nützlich". Sind die Ablenkungen heute nicht viel attraktiver als je zuvor?

Henning Beck: Werbebanner, das Handy, Pop-ups – unsere Gesellschaft ist heute überladen von solchen Verführungen. Diese Dinge sind gerade so konzipiert, dass sie ablenken sollen. Da hat sich ja jemand etwas Cleveres überlegt. Sie tricksen die Filtermechanismen aus, die störende Ablenkungen normalerweise unterdrücken. Wenn es blinkt, läutet, was auch immer – das ist das, was unsere Sinnesverarbeitung sucht.

Wir sind also zur Ablenkung verdammt?

Im Prinzip schon, denn Ablenkung hat zwei Gesichter: Sie ist auch Inspiration. Wir brauchen Ablenkung, um über den Tellerrand schauen zu können. Nur ist eben nicht jedes klingelnde Smartphone ein Quell der Inspiration.

Wann lassen wir uns besonders ablenken?

Im Gehirn haben wir zwei Filtermechanismen: Einerseits ein Sekretariat unseres Denkens, den Thalamus. Dort wird entschieden, was ins Bewusstsein kommt und was nicht. Die allermeisten Sinnesreize werden herausgefiltert, etwa ob man die Brille aufhat. Aber wenn sich ein Reiz ändert – die Brille verrutscht, das Handy blinkt –, dann kommt es in unser Bewusstsein. Die zweite Abwehrreihe ist das Arbeitsgedächtnis. Dort wird zwischengespeichert und warmgehalten. Wenn ich das Arbeitsgedächtnis überlaste oder die Kapazität gering ist, spätestens dann sucht es sich etwas Neues, lässt sich ablenken.

Laut Tests ist man nach spätestens 30 bis 45 Minuten an der Kapazitätsgrenze.

Ja, in etwa. Aber das ist individuell. Kein Gehirn ist daran interessiert, dass alles immer gleich bleibt. Weil Langeweile und Monotonie Gift für unsere Gehirnfunktionen sind.

Wer an etwas konzentriert arbeitet oder etwas lernen will, soll das laut Ihrem Buch in Häppchen tun, dann innehalten, Notizen machen oder kurz mit den Kollegen sprechen, damit das Gehirn sortieren kann. Ist das die Zauberformel?

Wissen wird im Gehirn in der Pause erzeugt. Die besten Ideen kommen den Menschen nicht, wenn sie daran arbeiten, sondern beim Duschen, beim Spazierengehen, beim Autofahren. Es kann schon reichen, wenn man aufs Klo geht oder eben kurz mit den Kollegen spricht. Die Botschaft ist: Die Leute, die die Welt verändern, spulen nicht permanent ein Schema ab. Die kreativsten Leute nützen die Ablenkung, um Probleme zu lösen.

Das heißt: Handy wegsperren, bis man für die Ablenkung bereit ist?

Ich muss meine Sinnesfilter so unterstützen, dass ich nicht ständig aus dem Rhythmus gerissen werde. Das Handy weglegen, Mails nur zu gewissen Zeiten bearbeiten. Es ist wichtig, dass man die Ablenkung konkret als Arbeitsmittel einsetzt. Wer während der Arbeit die Aufgaben variiert, hat die Abwechslung schon innerhalb der Tätigkeit.

Arbeitsrechtlich müssen in Österreich nach sechs Stunden Arbeit 30 Minuten Pause eingelegt werden. Sinnvoll?

Ja, wenn damit Verständnis für Pausen geschafft wird. Die Pause hat in Hochleistungsgesellschaften leider einen schlechten Ruf. Dabei verlangt jede geistige Tätigkeit Pausen. Nur in den Pausen können wir geistig verdauen und aus Informationen echtes Wissen machen. Je anspruchsvoller die Arbeit ist, desto wichtiger ist die Pause. Die macht den Unterschied. Es ist wie bei einem Hochleistungssportler: Er läuft zu seiner Hochform auf, weil er zur richtigen Zeit Pausen macht, nicht weil er durchtrainiert.

Lässt sich jeder von etwas anderem ablenken?

Die grundlegenden Muster sind bei allen gleich. Es geht um Veränderungen in unserem Aufmerksamkeitsstrom. Individuell ist, dass wir zum Beispiel aufhören, wenn wir unseren Namen irgendwo hören oder Schlüsselwörter.

Sie schreiben, es macht für die Konzentration eigentlich keinen Unterschied, ob man in einem Großraumbüro arbeitet oder in einem Einzelzimmer. Das kann ich kaum glauben.

Das kommt auch auf das Großraumbüro an. Allerdings: Das eine Superumfeld, das wir gerne hätten, gibt es nicht. Jede Arbeitsphase braucht eine andere Umgebung. Die cleversten Arbeitsumfelder kriegen den Wechsel zwischen den Modi Konzentration, Entspannung und menschlichem Austausch gut hin.

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