Mitarbeiter werden fordernder – wie Betriebe damit umgehen sollten

Mitarbeiter werden fordernder – wie Betriebe damit umgehen sollten
Arbeitnehmer werden zusehends selbstbewusster. Arbeitgeber müssen sich bemühen, ihren Mitarbeitern entgegenzukommen, um sie zu halten. Wie gehen Firmen damit um?

Seit zwei Jahren sorgt ein Virus für allerlei Phänomene, die sich nicht so einfach erklären lassen. Wie sich unser Leben unter Einfluss einer Pandemie weiter entwickelt, darüber rätseln Forscher und Forscherinnen immer wieder von Neuem.

Was seit März 2020 ebenfalls grundlegend diskutiert wird, ist die Frage, wie wir eigentlich arbeiten wollen. Und viele Beschäftigte haben da ihre ganz eigenen Vorstellungen entwickelt.

"The Big Quit"

In den USA hat das für eine Entwicklung gesorgt, die mittlerweile unter den Begriffen „The Great Resignation“ oder „The Big Quit“ bekannt geworden ist. Beschrieben wird damit, wie Millionen von Menschen in den USA freiwillig ihre Arbeit an den Nagel hängen, oder Jobangebote ausschlagen.

Zwischen Mai und September 2021 waren es mehr als vier Millionen US-Amerikaner und Amerikanerinnen pro Monat, im Dezember 2021 sogar 4,5 Millionen. Was ist da los? Erklärungsversuche gibt es viele.

Es ist die Pandemie, die zu einer Neuausrichtung im Leben geführt hat. Der Arbeitsdruck, der sich gerade in systemrelevanten Jobs noch einmal erhöhte. Fehlende Sicherheit, fehlende Perspektiven, der Wunsch nach einem besseren Arbeitsumfeld, mehr Geld, mehr Wertschätzung.

In Österreich keine Auffälligkeiten

Dass die große Kündigungswelle auch nach Österreich überschwappt, glaubt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), aber nicht. Die größten Bewegungen am Arbeitsmarkt hätten sich zu Beginn der Krise gezeigt, als viele Betriebe als erste Reaktion eine große Zahl an Arbeitskräften entließen.

Dann aber habe die Kurzarbeit den Arbeitsmarkt eingefroren. „Empirisch können wir seither keine markante Zunahme von Zu- und Abgängen in und aus Beschäftigungsverhältnissen feststellen. Im Vergleich zu den USA können wir in unseren Daten allerdings nicht unterscheiden, ob die Kündigung vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber ausgeht.“

Dass immer mehr Beschäftigte dem Tourismus aufgrund mangelnder Perspektive den Rücken kehren würden, um sich neu zu orientierten, sei ebenfalls noch keine grundsätzliche „Verhaltensänderung“, so Mahringer. „Die Fluktuation war hier immer schon groß, die Verbleibsdauer von Arbeitskräften in der Branche gering.“

Demografischer Wandel

Der Experte sieht vielmehr ein anderes Problem auf die Wirtschaft zukommen: Das Wachstum des Arbeitskräfteangebots nehme in Österreich ab, so Mahringer.

„Der demografische Wandel sorgt in einigen Bereichen für eine Verknappung. Und schlechte Arbeitsbedingungen können langfristig dazu beitragen, dass sich die Wechselwilligkeit erhöht, wenn Arbeitnehmer mit einem Wechsel bessere Arbeitsbedingungen erzielen können.“

Schon jetzt rächen sich Unterbezahlung oder instabile Arbeitsverhältnisse in Branchen wie dem Tourismus: Sie finden kaum Mitarbeiter, das Kontingent an Saisonkräften aus Drittstaaten musste zuletzt sogar erhöht werden.

Pandemie als Katalysator

Sinnforscherin und Psychologin Tatjana Schnell glaubt, dass mit der Pandemie viele Arbeitnehmer in eine Sinnkrise geraten sind. „Die Krise wurde zu einem Wendepunkt, viele Menschen änderten ihre Prioritäten und begannen Berufliches neu zu werten“, so Schnell. Dieses Umdenken äußert sich hierzulande nicht als Big Quit, sondern in einem erstarkten Selbstbewusstsein.

Erkennbar etwa an den härteren Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Wirtschaft– besonders hervorzuheben im Handel. Oder an den Streiks der Kindergärtnerinnen und Pflegekräfte, die für bessere Löhne auf die Straßen gingen.

Auch in der Karriereplanung und Jobsuche agieren Arbeitnehmer immer bestimmter – gerade in Bereichen, wo ohnehin ein Mangel an Fachkräften herrscht. Bieten Firmen nicht das passende Gehalt, die Option einer 30-Stunden-Woche oder Homeoffice-Tage, wird sich gar nicht erst beworben.

Karten werden neu gemischt

Es scheint, als werde das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu gemischt. Und wir stecken mitten im Prozess. Bisher können Arbeitsmarktforscher die Bewegung noch nicht in Daten messen. „Sie findet aber in den Köpfen statt“, sagt Deloitte-Partnerin Anna Nowshad.

Unternehmen kommen damit immer mehr unter Handlungsdruck. Denn Mitarbeiter zu finden, und langfristig zu halten, ist auch eng an die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit gekoppelt, sagt Psychologin Schnell. Die Sinnfrage werde aber oft missverstanden.

„Arbeitgeber geben oft Werte vor, die sie dann nicht einhalten. Bei Mitarbeitern führt das zu Zynismus und innerer Kündigung.“
 

von Tatjana Schnell

Professorin an der MF Specialized University in Norwegen

„Es geht nicht darum, dass man mit der Arbeit die Welt retten will. Das ist eine Überfrachtung des Berufs.“ Vielmehr gehe es darum, dass die Arbeitsbedingungen sinnvolles Arbeiten ermöglichen, u. a. dass die Arbeit einen positiven Nutzen für andere hat und dass sie in mein Leben passt. „Damit kann im Prinzip jeder Job sinnvoll sein.“

Vorstellungen decken sich nicht mit Realität

Umfragen zufolge aber scheinen Arbeitnehmer ihre Vorstellungen – sei es bessere Bezahlung, mehr Freizeit, mehr Wertschätzung, flexiblere Arbeitsmodelle – bei ihrem Arbeitgeber nicht vorzufinden. Rund die Hälfte würde in den nächsten Monaten deswegen ihren Job wechseln.

„Das zeigt, dass viele Firmen offenbar kaum oder an den falschen Stellen investiert haben“, so Nowshad. „Jene die sich vor der Krise mit Mitarbeiterführung und Entwicklung auseinandergesetzt haben, tun sich mit der Mitarbeitersuche leichter.“

„Mitarbeiter zu halten wird wichtiger, als neue zu finden. Firmen sollten die Fragen
die sie im Recruiting stellen, auch intern anwenden.“
 

 

von Anna Nowshad

Partnerin bei Deloitte Österreich

Doch um diese auch halten zu können, müsse sich auch auf der Führungsebene viel ändern, sagt Organisationsforscherin Antoinette Weibel. „Es geht auch um die Frage: Wie entwickeln wir Führungskräfte? Das Thema neue Mitarbeiterführung wird in Zukunft noch ein größerer Brocken werden.“

Drei Betriebe, die es anders machen

Der Online-Supermarkt "gurkerl.at"

Online-Supermärkte und Zustelldienste haben in Österreich zuletzt einen großen Boom erlebt. Gurkerl mischt seit Dezember 2020 am Markt mit und wächst seither rasant. Dafür braucht das Unternehmen auch genügend Mitarbeiter – und versucht sich unter  zahlreichen  Mitbewerbern mit ähnlichen Wachstumsplänen als attraktiver Arbeitgeber zu behaupten.  

Mitarbeiter werden fordernder – wie Betriebe damit umgehen sollten

Maurice Beurskens, CEO von Gurkerl

Die Herausforderungen der Branche

„Eine  ist sicher die wachsende Konkurrenz am Markt“, sagt CEO Maurice Beurskens. „Aber die größte Schwierigkeit liegt  darin,  Fachkräfte zu finden, die mit unserem hohen Tempo und dem rasanten Wachstum Schritt halten können und auch bleiben. Denn das Auftragsvolumen steigert sich wöchentlich.“ 

Um dem gerecht zu werden, haben die Personalverantwortlichen alle Hände voll zu tun. Rund 850 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt Gurkerl mittlerweile, laut eigenen Angaben sollen es bis Jahresende rund 1800 sein. 

„Unser Auswahlverfahren ist dreistufig, beide Seiten wissen am Ende, ob Werte und Philosophie zueinanderpassen“, so  Beurskens. Für das Einarbeiten der Mitarbeiter nehme man sich Zeit. „Je nach Ebene und Position dauert unser Onboarding zwischen zwei und sechs Wochen.“  

Das soll zum Bleiben motivieren

Zeitgerechtes Zustellen der Waren beim Kunden, Temperaturen im Lager zwischen vier und sechs Grad – Beurskens weiß, dass die Arbeit in der Logistik viel abverlangt. „Damit die Leute bleiben, muss man als Arbeitgeber auch etwas für die Mitarbeiter tun. Wir organisieren Foodtrucks, Test-Stationen, es gibt Weihnachtsboni, Extra-Urlaubstage und Gehälter über dem Kollektivvertrag.“

Flache Hierarchien würden schnelle Karriereschritte ermöglichen. Wichtig sei aber auch die Kommunikation und dass man ein Gefühl des Miteinanders schaffe. „Am 23. Dezember mussten über 4.000 Bestellungen abgearbeitet werden. Ich habe ab vier Uhr morgens mitgeholfen, die Büros waren geschlossen. Alle waren unten im Lager und haben geholfen.“  

A1 Telekom Austria

Umfragen zufolge plant jede dritte Firma in Österreich, mehr als  zehn neue Tech-Fachkräfte einzustellen. Diese  wiederum haben  ganz konkrete Vorstellungen davon, wie sie arbeiten wollen: Gut bezahlt,  flexibel in den Arbeitszeiten, mit möglichst viel Work-Life-Balance.  

Mitarbeiter werden fordernder – wie Betriebe damit umgehen sollten

A1-Personalchef Fred Mahringer

Die Herausforderungen der Branche

Wenn der Branche rund 10.000 Fachkräfte fehlen, zeigt es den Gefragten, wie wertvoll sie sind. Der Mangel an Fachkräften in der IT- und Tech-Branche hat aus  einem Arbeitgeber-, einen Arbeitnehmermarkt gemacht. Fred Mahringer, HR-Chef der A1 Austria formuliert es so: „Der Teich,  in dem wir fischen, wird kleiner, aber Fischer gibt es immer mehr.“

Da die Personalsuche zeit- und kostenintensiv ist – eine Stellenbesetzung dauert laut Mahringer im Schnitt drei Monate – setzt das Telekom-Unternehmen vor allem auf  Mitarbeiterbindung. „Wir wissen aus internen Umfragen,  dass Mitarbeiter  seit der Pandemie anders auf ihre Arbeit blicken. Es wird mehr Teilzeit-Arbeit nachgefragt, auch der Wunsch nach Auszeiten wie Sabbaticals wird größer, sowie mehr Eigenverantwortung. Wir können da nicht Nein sagen, sonst würden wir keine Leute finden. Daher haben wir auch keine hohe Fluktuation.“

Das motiviert  zum Bleiben

„Für uns ist es wichtig, an den Mitarbeitern dran zu bleiben und Führung eng an die Unternehmenswerte zu knüpfen“, so Mahringer. „Man muss einhalten, was man verspricht.  Wie ernst es der Arbeitgeber mit seinen Werten hält, zeigt sich oft in einzelnen Momenten.

Können Frauen in Teilzeit wirklich Führungspositionen einnehmen? Ist es tatsächlich einfach, intern zu wechseln, oder im Homeoffice zu arbeiten? Wie wir als Arbeitgeber in solchen Momenten handeln, vergessen Mitarbeiter nicht. Im Guten, wie im Schlechten.“

Sophie Martinetz, Gründerin von Women in Law und Future Law

Hoher Arbeitsdruck, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Karrieren, Überstunden, veraltete Vorstellungen von Arbeit und  Leistung  – Kanzleien haben laut Sophie Martinetz, Gründerin der Plattformen Future Law und Women in Law, durchaus mit ihrem Image als Arbeitgeber  zu kämpfen. „Die Mitarbeitersuche wird immer schwieriger“.

Mitarbeiter werden fordernder – wie Betriebe damit umgehen sollten

Sophie Martinetz

Die Herausforderungen der Branche

In der Anwaltschaft aber auch in der Steuerberatung ist noch etwas verwurzelt, was in der Pandemie in vielen Bereichen aufgelöst wurde: die Präsenzkultur.  Zwar saßen auch Anwälte und Steuerberater im Homeoffice. Doch nach wie vor dominiert in vielen Kanzleien der Präsentismus als Leistungskriterium.

Hinzu kommt der Druck der sogenannten „verrechenbaren Stunden“, die ein Anwalt für seine Kunden arbeitet und anhand derer man seine Produktivität misst. Ein enges Arbeitskorsett, was bei jungen Nachwuchsanwälten und Beratern auf Ablehnung stößt. „Die Digitalisierung bringt eine Veränderung der Tätigkeiten.

Dass sich Kanzleien  von der verrechenbaren Stunde befreien, ist ein Mythos. Sie merken aber, dass die Mitarbeitersuche immer schwieriger wird. Der Nachwuchs will nicht von acht Uhr morgens bis 22 Uhr im Büro arbeiten. Zudem wird  die Arbeit digitaler und IT-Mitarbeiter ticken  wieder anders.“

Das soll zum Bleiben motivieren

Bei Stellenausschreibungen hört Martinez mittlerweile auf ihr junges Team. „Letztens haben wir über Instagram ausgeschrieben und eine neue Mitarbeiterin eingestellt. Diese hat sich genau deswegen bei mir beworben.“ 

Sie räume ihren  Mitarbeitern  auch viel Gestaltungsraum und selbstbestimmtes Arbeiten ein. „Damit muss man allerdings auch umgehen können.“ Im Gegenzug dafür sei ihr eine gewisse Leistungsbereitschaft wichtig,  man könne niemanden „mittragen“. Sie biete nicht nur Vollzeitstellen an, sondern auch Teilzeitjobs mit 25 oder 30 Stunden, „das muss natürlich zur Tätigkeit passen. Einen Vollzeitjob kann man  nicht auf 30 Stunden übertragen.“  

 

 

Kommentare