Mit Energie in den 12-Stunden-Tag: Der perfekte Tagesablauf
Stellen Sie sich vor, Sie sind Ende 20 und ein zukünftiger Weltliterat. Ihre Zeitgenossen wissen von Ihrem Genie aber nichts. Weil Sie von etwas leben müssen, haben Sie einen eintönigen Job bei einer Unfallversicherung angenommen. Tagsüber teilen sie die versicherten Betriebe in Gefahrenklassen ein. Nachts sitzen Sie manisch am Schreibtisch und bringen Grandioses zu Papier.
Erschöpft muss Franz Kafka gewesen sein, nachdem er in der Nacht auf 23. September 1912 seine heute weltberühmte Erzählung „Das Urteil“ geschrieben hatte. Der Text: ein Meisterwerk. Auch Kafkas Zeitgenosse Sigmund Freud hat gerne nachts geschrieben, sechs Stunden Schlaf waren oft genug. Ganz anders Albert Einstein – er schlief bis zu zwölf Stunden. Die Relativitätstheorie habe er teils vom Bett aus entwickelt, heißt es.
Für sein Buch „Musenküsse“ hat der Amerikaner Mason Currey den Alltag berühmter Kreativer in ihrer größten Schaffensperiode nachrecherchiert. Ob ihr Erfolg tatsächlich mit ihrer Tagesgestaltung zusammenhing? Gibt es den perfekten Tagesablauf? Nun, da mit dem 12-Stunden-Tag täglich bis zu vier Überstunden möglich sind, ist die Frage nach der optimalen Zeiteinteilung für maximale Produktivität aktueller denn je.
Was wir wann und wie lange machen, um den Arbeitstag erfolgreich zu meistern, ist individuell verschieden, meinen Experten. Eine Anleitung für den optimalen Arbeitsalltag gibt es demnach nicht. Ein paar allgemeingültige Tipps aber schon.
Guten Morgen!
„Nach dem Aufwachen schon die eMails checken, ist der größte Fehler, den viele morgens machen“, erklärt Regina Nicham, Leiterin für Arbeitspsychologie der Firma Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement. Sie rät, sich in der Früh Zeit für ein Morgenritual zu nehmen, das Aufwach- und Arbeitsphase von einander trennt. Beste Vorbilder? Sigmund Freund, der sich morgens ausgiebig seinem Bart widmete oder Thomas Mann, der im Alter den Tag bevorzugt mit einem heißen Bad startete.
Fokussierten Vormittag!
„Trennwände, Ohrstöpsel und ähnliche Maßnahmen helfen Arbeitnehmern, Konzentration zu finden“, sagt Neurologe und Speaker Volker Busch. Er empfiehlt sogenannte Fokuszeiten: klar definierte Zeiten, in denen Mitarbeiter ihrer Arbeit nachgehen, ohne durch Meetings oder Termine gestört zu werden.
Mach mal Pause!
„Ohne Pausen sind wir körperlich und geistig weniger leistungsfähig“, sagt Arbeitsmediziner und Professor für Physikalische Medizin am AKH Wien Richard Crevenna. Etwa alle ein bis eineinhalb Stunden für einige Minuten Pause zu machen, rät auch Organisationspsychologin Nicham. „Das Dokument zum Kollegen bringen, einen Kaffee machen oder kurz aus dem Fenster schauen – kleine Ablenkungen schärfen die Konzentration.“ Zu Mittag macht fettiges Essen müde und soll vermieden werden. Ein Spaziergang im Freien kurbelt die Energie neu an. Das wusste schon Ludwig van Beethoven.
Frohen Feierabend!
Freizeit solle ein Gegensatz zum Job sein, sagt Neurowissenschaftler Busch. „Wer den ganzen Tag konzentriert vorm Bildschirm sitzt, dem hilft lockerer Ausdauersport. Wer beruflich permanent unterfordert ist, sucht den Ausgleich besser im Wettkampfsport.“
Sport sei speziell für Menschen, die viel sitzen, essenziell, sagt auch Crevenna: „Erwachsene sollten sich wöchentlich mindestens 150 Minuten ausdauernd bewegen und zweimal Krafttraining machen, um geistig und körperlich fit zu sein.“ Selbst der eifrige Kafka fand zwischendurch Zeit für Turnübungen.
Wichtig außerdem: ausreichend Schlaf. „Die Leute sind geneigt, hier zu sparen. Das ist ein Fehler“, so Psychologin Nicham. Berichte über Berühmtheiten, die kaum schlafen, würden medial oft falsch oder verzerrt dargestellt, warnt Berater Busch.
„Wer regelmäßig weniger als sechs Stunden schläft, riskiert langfristig Schäden wie Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes und beschleunigt die Zellalterung.“ In Sachen Schlaf sind Einstein, Goethe oder Newton die besten Vorbilder: Sie alle waren bekennende Vielschläfer.
Wer erholsam schläft, wird laut Experten auch einen gelegentlichen 12-Stunden-Tag packen. Ob wir mit der Mehrarbeit jedoch dieselben Meisterleistungen wie Kafka schaffen, bleibt abzuwarten.
Neurobiologe: „Es gibt kein Patentrezept“
KURIER: Ist der richtige Tagesablauf der Schlüssel zum beruflichen und persönlichen Erfolg?
Bernd Hufnagl: Jein. Einen fixen Tagesablauf zu haben ist grundsätzlich wichtig. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, wir brauchen einen Rhythmus. Wir wollen immer zur selben Zeit aufstehen, haben über den Tag verteilt ganz persönliche Routinen. Die Alltags-Gewohnheiten helfen uns, Energie zu sparen. Gleichzeitig gibt es nicht den einen richtigen Rhythmus für alle.
Warum ist das so?
Es gibt Morgenmuffel. Und umgekehrt gibt es Menschen, die sind schon um sechs Uhr morgens agil und motiviert. Die sind dafür am Abend ab zehn zu nichts mehr zu gebrauchen. Wann wir wie leistungsfähig sind, hängt von unserem Stoffwechsel ab, der wiederum genetisch vorgegeben ist. Man kann aus einem Morgenmuffel nicht jemanden machen, der um sieben Uhr früh top drauf ist. Genetik, Alter und Gewohnheitsmuster spielen hier eine Rolle.
Den optimalen Tagesablauf gibt es nicht?
Nein, es gibt kein Patentrezept. Jeder ist anders. Wir leben heute in einer Welt der permanenten Optimierung. Das finde ich besorgniserregend. Die Menschen optimieren ihren Alltag und vergleichen sich ständig mit anderen. Dadurch haben sie das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Was macht das mit uns?
Menschen sind immer weniger in der Lage, sich zu erholen. Digitale Permanenz, also der selbst auferlegte Druck, jederzeit eMails zu checken und online zu sein, führt dazu, dass viele Menschen nicht mehr abschalten können. Wir verfallen in einen To-do-Listen-Modus, sind gedanklich immer schon bei der nächsten Sache. Dafür, die Gedanken zwischendurch einfach mal schweifen zu lassen, bleibt keine Zeit. Dabei wäre dieser Tagträum-Modus wichtig, um unsere Konzentration und Kreativität zu fördern. Denn ohne Regeneration gibt es kein Produktivsein.
Wie können wir den Ausgleich finden?
Hobbys machen glücklich, egal ob Laufen, Yoga oder Bogenschießen. Wichtig ist, dass wir dort den beruflichen und den familiären Hut abnehmen und einfach wir selbst sein dürfen. Jeder Mensch braucht Freiraum und Zeit für sich. Nur so können wir uns vom Stress regenerieren und neue Energie schöpfen.
Gerade jetzt im Herbst ist die Versuchung manchmal groß, sich nach dem langen Tag im Büro abends mit einem Glas Wein vor den Fernseher zu verkriechen. Ist das schlecht?
Ab und zu ein Abend vor dem Fernseher ist in Ordnung und kein Grund für schlechtes Gewissen. Bedenklich wird es, wenn Sie permanent ohne Energie sind oder Alkohol brauchen, um runterzukommen. Dann sollten Sie Hilfe suchen.
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