Mehr Druck auf Arbeitslose: Wohin das führt, zeigt ein Blick nach Deutschland

Mehr Druck auf Arbeitslose: Wohin das führt, zeigt ein Blick nach Deutschland
Weniger Geld, schnellere Jobvermittlung: In Österreich werden Ansätze diskutiert, die an die deutschen Hartz-IV-Reformen von 2003 erinnern. Das waren die Folgen.

363.494 Menschen waren im November ohne Job, 81.805 waren in Kurzarbeit, 100.000 Arbeitsplätze blieben unbesetzt. Der vierte Lockdown hat dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht gutgetan. Die Erholung war zu kurz.

Besonders schwer trifft es jene, die schon mehr als ein Jahr auf Arbeitssuche sind und damit als langzeitarbeitslos gelten. Im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit hat Österreich ein größeres Problem, als andere OECD-Länder. 25 Prozent der Arbeitslosen gelten als langzeitarbeitslos, Österreich liegt damit über dem OECD-Schnitt von 18 Prozent. Und das nicht erst seit Corona.

Reformen im Frühjahr 2022

Wie bringt man hunderttausende Menschen wieder in Beschäftigung? Darüber wird in Österreich seit Wochen diskutiert, auch, weil Arbeitsminister Martin Kocher eine Arbeitsmarktreform anstrebt, die im Frühjahr 2022 umgesetzt werden soll.

„Der Fokus wird symptomatisch auf Jobsuchende gelegt. Dabei treffen auch Firmen arbeitsmarktrelevante Entscheidungen.“
 

von Rainer Eppel

Wifo-Ökonom

Der Fokus in der Diskussion sei „symptomatisch auf Jobsuchende“, gelegt worden, sagte Wifo-Ökonom Rainer Eppel unlängst in einer Online-Keynote. Ein Wegfall der Zuverdienstgrenze für arbeitslose Menschen, ein absteigendes Arbeitslosengeld oder verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen – Ansätze, die Arbeitsanreize setzen sollen, sagen Wirtschaft und Arbeitgebervertreter. Ansätze, die Druck ausüben und Armut schaffen, sagen Arbeitnehmerverbände.

4 Millionen Arbeitslose

Die Ideen erinnern stark an die Hartz-Reformen in Deutschland. 1996 hatte das Land mit vier Millionen Arbeitslosen massive Beschäftigungsprobleme, „ein Großteil davon Geringqualifizierte“, erklärt der deutsche Arbeitsmarktexperte Gerhard Bosch vergangene Woche in der Gesprächsreihe „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“.

Mit den Reformen im Jahr 2003 wurde die Arbeitslosenhilfe – vergleichbar mit der österreichischen Notstandshilfe – abgeschafft. Langzeitarbeitslosen wurden die Beträge gekürzt. Wer länger als ein Jahr keinen Job findet, hat Anspruch auf rund 450 Euro plus einen Wohnkostenzuschuss. Zudem müssen die Betroffenen ihr Vermögen aufbrauchen.

Massives Beschäftigungswachstum

„Mit den Reformen wurde versprochen, dass die Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren halbiert wird und vor allem Geringqualifizierte davon profitieren werden“, erklärt Bosch. Tatsächlich zeig sich seit 2004 zeigt eine Zunahme der Beschäftigung von 5,6 Millionen Erwerbstätigen und eine Abnahme der Arbeitslosigkeit von 1,7 Millionen.

Bosch aber sieht die Erfolge differenziert. Nicht die Reformen seien der verantwortliche Jobmotor. Sondern die Innovationskraft der Industrie, sowie die „stille Revolution“ der Unternehmen.

„Firmen wurden flexibilisiert, man investierte viel in Forschung und Entwicklung, es gab mehr wettbewerbsfähige Produkte, der Export wuchs.“ All das habe langfristig zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt, was aber fälschlicherweise mit den Reformen in Verbindung gebracht werde.

Niedriglohnsektor dehnte sich aus

„Die Hartz-IV-Gesetze haben lediglich dazu geführt, dass sich der Niedriglohnsektor ausgedehnt hat – das ist unter Ökonomen, egal welcher Denkschule, unbestritten“, so Bosch.

„Behörden dürfen nicht zu Gehilfen des Niedriglohnsektors werden. Übt man nur Druck auf Arbeitslose aus, glauben sie nicht an Hilfe. Sie verlieren das Vertrauen.“
 

von Gerhard Bosch

Arbeitsmarktforscher

Im Sektor der Leiharbeit und Minijobs seien die Löhne seit 2003 sogar zurückgegangen. „Evaluationen zeigen deutlich, dass die geringen Löhne unterhalb der Niedriglohngrenze im Bereich von 5 bis 6 Euro zugenommen haben.“

Lange hieß es in Deutschland: „Work first – Arbeit zuerst“.Mit der nun amtierenden Ampelkoalition kommt es zu einer Trendwende. Verpflichtungen werden herabgesetzt, es wird weniger sanktioniert.

20 Jahre altes Gedankengut

In Österreich aber diskutiert man heute so, wie in Deutschland vor rund 20 Jahren. Die definierten Ziele des österreichischen Arbeitsministers, viele Menschen möglichst schnell in Jobs zu vermitteln, stoßen in eine ähnliche Richtung wie die alten Hartz-Reformen.

„Die Ansätze waren aus meiner Sicht ein Fehler. Menschen notfalls mit Sanktionen in Arbeit zu drängen, hat dazu geführt, dass Billigarbeit zugenommen hat und Weiterbildungen bei Geringqualifizierten gestrichen wurden.

"Langzeitarbeitslosigkeit blieb hoch"

Die Quote der Langzeitarbeitslosigkeit blieb weiterhin hoch“, so Bosch. Dies habe sich später in Form eines „massiven Fachkräftemangels“ bemerkbar gemacht. Auch Wifo-Ökonom Eppel sind die Auswirkungen von schnell vermittelter Arbeit bekannt. Wie Bosch, plädiert er für „Qualifikation vor Vermittlung“, dann könne auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden.

Zudem müssten im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit Betriebe mehr in die Pflicht genommen werden. „Betriebe treffen mit ihrer Einstellungspolitik arbeitsmarktrelevante Entscheidungen. Sie bilden aber einen blinden Fleck in der Debatte“, so Eppel. Derzeit stellt nur jeder zweite Betrieb Arbeitslose ein, nur 16 Prozent nehmen Langzeitbeschäftigungslose auf.

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