Morgensport und Auslandserfahrung: Wie kreativ Betriebe jetzt um Lehrlinge werben

Morgensport und Auslandserfahrung: Wie kreativ Betriebe jetzt um Lehrlinge werben
Immer weniger Betriebe bilden Lehrlinge aus. Doch jene, die es tun, werben jetzt mit außergewöhnlichen Angeboten auf der Suche nach jungen Talenten.

Die Zahl der Lehrbetriebe in Österreich hat ein neues Langzeittief erreicht. Das ging vergangene Woche aus einem Bericht des Wirtschaftsministeriums hervor (der KURIER berichtete). 2023 wurden insgesamt 27.083 Lehrbetriebe gezählt, 2011 waren es knapp 10.000 mehr. Doch nicht nur betriebliche Ausbildungen dezimieren sich, auch die Lehrlinge. Knapp 7.200 junge Menschen absolvierten im Vorjahr eine Lehre im Tourismus und Gastgewerbe. 2008 waren es noch doppelt so viele. Die Wirtschaftskammer entschärft den Bericht diese Woche. Betont in einer Aussendung, dass Lehrlingszahlen im Verhältnis zu den Jugendlichen stabil wären und bei rund 40 Prozent liegen.

Dennoch: Am Image der Lehre wird von allen Seiten gefeilt. Auch weil sie viel zu lange in Konkurrenz mit der akademischen Karriere stand und dabei den Kürzeren zog. Branchen und Unternehmen werden deshalb kreativ, der Lehre das gewisse Extra zu verleihen. Nicht nur mit besseren Gehältern, die laut WKO von 2011 bis 2021 um 48 Prozent gestiegen sind.

Die Gegenbewegung

Die Initiative „zukunft.lehre.österreich“ kann aus dem Stegreif zahlreiche Projekte nennen, wo die Lehre mit Bonus daherkommt. 08/15 wären die wenigsten Lehrstellen heute. Im Einzelhandel warten häufig Prämien bei ausgezeichneten Erfolgen. Bei den Austrian Airlines oder bei Fill Maschinenbau kann neben der Lehre und in der Arbeitszeit die Matura gemacht werden. Bei der Bäckerei Ströck und der Post dürfen Lehrlinge eine Woche lang selbstständig eine Filiale leiten. Und beim Kunststoffhersteller Greiner gibt es für Lehrlinge ein Morgensportprogramm, das zur Arbeitszeit zählt. Besonders ideenreich wurde außerdem die Gastronomie.

Die Premiumlehre

Die Wiener Tourismusschule Modul öffnete vergangene Woche an zwei Tagen ihre Türen zum „Lehrlingscasting“. Gesucht wurden 15 bis 20 junge Menschen (Bewerbungen sind weiterhin möglich), die Lust auf eine Ausbildung in der Gastronomie haben und dabei mehr als nur einen einzigen Betrieb kennenlernen wollen. „Premiumlehre“ nennt sich das und wurde heuer von der Wiener Fachgruppe der Kaffeehäuser ins Leben gerufen.

Projektleiterin ist Wirtschaftspädagogin Monika Brunner-Strobl, die am Telefon über das Interesse der jungen Menschen schwärmt. „Sie haben genaue Vorstellungen in welche Branchen sie schnuppern wollen“, berichtet sie. Viele junge Burschen, die Restaurantfachmann werden wollen, möchten unbedingt die Ausbildung zum Barkeeper ergänzen. Andere lockt die Auslandserfahrung, die das Projekt verspricht. 

„Das Besondere ist das Individuelle“, erklärt Brunner-Strobl. Wünscht ein Teilnehmer, in einen speziellen Betrieb zu schnuppern, wird dort angerufen und gefragt, ob Interesse besteht. Zahlreiche Kooperationsbetriebe, vom Szene-Japaner Mochi bis zum Schinkenproduzenten Thum, haben ihre Bereitschaft schon zugesichert. Was das für Lehrlinge konkret bedeutet? Sie haben neben ihrer herkömmlichen Ausbildung die Chance, von der Wirtschaftskammer anerkannte Zusatzqualifikationen zu erwerben.

Ein Kochlehrling im Café Landtmann kann einem griechischen Bauern bei der Herstellung von Olivenöl oder Wein über die Schulter schauen oder im Restaurant Wrenck die Zubereitung von veganen Speisen perfektionieren. „Ausbildende Betriebe haben den großen Mehrwert, interessierte Lehrlinge zu gewinnen“, so Brunner-Strobl. „Es ist wichtig, eine gute Beziehung aufzubauen. Werden Lehrlinge gehört, bleiben sie in der Branche.“

Bau mit Perspektive

Jungen Menschen Perspektiven aufzeigen, will unter anderen auch die Baubranche. Lehrlinge werden dort trial ausgebildet, erklärt Harald Kopececk, Geschäftsführer der Bauakademie. Bedeutet: Neben Berufsschule und Lehrbetrieb werden junge Menschen seit 40 Jahren auch in der Bauakademie geschult. Dort wird das Angebot laufend aktualisiert, an die Bedürfnisse junger Menschen angepasst. „2020 haben wir die Baulehre komplett auf neue Beine gestellt“, so Kopececk.

Darunter die E-Baulehre mit knapp 200 Online-Kursen. Und die werden laut Angabe des Geschäftsführers tatsächlich genutzt: „Wir haben mittlerweile über 150.000 Online-Zertifikate vergeben. Videos wurden über 350.000 Mal runtergeladen.“ Das Verlassen des Analogen zieht also, weshalb jetzt eine neue Digitaloffensive geplant ist, die 2025 spruchreif wird. 

„Es ist ein großes Projekt mit vielen Schnittstellen und Features.“ Außerdem sind kommendes Jahr neue Studienlehrgänge geplant (Bachelor Bauprozessmanagement), die Baulehrlinge nach der Ausbildung absolvieren können. „Das ist der große Vorteil. Wir zeigen jungen Menschen: Egal, ob sie über die Lehre oder HTL kommen, eine Matura haben oder nicht, sie können auch ein Studium abschließen, sofern sie die Kompetenz haben.“

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