Lasst die Mitarbeiter entscheiden

Gehen einen Schritt weiter: Eigentümer Christoph Haase (li.) und Geschäftsführer Markus Stelzmann lassen bei Tele-Haase ihre Mitarbeiter einfach alles entscheiden – ihnen bleibt das Vetorecht
Bei der Wiener Technikfirma Tele-Haase bestimmen die Mitarbeiter über Gehalt und Strategie.

Dan Price will seine Mitarbeiter glücklich machen. Der CEO der US-Firma Gravity Payments verzichtet auf 930.000 Euro seines jährlichen Managergehalts, um das jeweilige Gehalt seiner Mitarbeiter auf rund 70.000 Dollar jährlich anzuheben. Damit sorgte er dieser Tage international für Aufsehen.

Man muss nicht nach Übersee blicken, um aufsehenerregende Konzepte der Mitarbeiterführung vorzufinden. Es reicht der Blick ins Industriegebiet Inzersdorf. Unscheinbar fügt sich der graue Bauklotz der Technologie-Firma Tele-Haase ins Niemandsland. Doch in seinem Inneren findet heimische Pionierarbeit statt. Der Steuergeräte-Hersteller zahlt seinen Mitarbeitern heuer um insgesamt 90.000 Euro mehr Gehalt. Zwar nur ein Zehntel von dem, was Dan Price locker macht. Die Besonderheit liegt aber woanders: Entschieden haben das weder Geschäftsführer Markus Stelzmann noch Eigentümer Christoph Haase. Entschieden haben das die Mitarbeiter selbst.

Macht abgeschafft

50 Jahre lang war Tele-Haase ein Traditionsunternehmen, in dem das Management das Sagen hatte. Christoph Haase – Eigentümer in zweiter Generation und ehemaliger Art Director – war genervt vom "Beharren auf dem, was immer schon war." 2011 konzipierte er mit Stelzmann eine völlig neue Unternehmensordnung. Seit Februar 2013 steht im mittelständischen Betrieb kein Stein mehr auf dem anderen. "Wir haben das Machtkonglomerat aufgebrochen", sagt er. Hierarchien, Manager, Abteilungen – alles wurde abgeschafft. Ihre Zeit war abgelaufen. "Vor 15 Jahren wussten wir im Jänner, welchen Umsatz wir im August machen würden", sagt Haase. Heute sei das Wirtschaftsleben komplexer: "Heute wissen wir nicht, was nächste Woche passiert. Ich musste Dinge entscheiden, die ich nicht entscheiden konnte."

Heute lässt Haase nach Vorbild des brasilianischen Demokratie-Pioniers Semco ausgewählte Mitarbeiter in sechs Gremien über die Geschicke des Unternehmens abstimmen: Innovation, Umwelt, Marketing/Vertrieb, Geschäftsplan, Organisation, Qualitätssicherung. Denn bei den Mitarbeitern liege die Fachkompetenz. Auch die Konzepte werden von ihnen entwickelt. Eine Arbeitsgruppe im Gremium Geschäftsplan arbeitet beispielsweise auf Eigeninitiative an einem transparenten Bewertungssystem für gerechtere Gehälter.

Prozess statt Abteilung

Die Arbeit selbst findet in Prozessen statt: Es gibt die drei Hauptprozesse Innovation, Produktion und Sales. Und diverse Unterstützungsprozesse wie HR, Finanz-Management, IT oder Regie. Die Mitarbeiter arbeiten je nach Fähigkeiten und Bedarf in den Prozessen mit, zum Teil auch parallel."Es gibt bei uns keine Karriereleiter, sondern nur Verantwortungen", sagt Haase. Für die Mitarbeiter sind gewählte Personalverantwortliche zuständig. Haase und Stelzmann arbeiten am Prozess Regie: hier geht es um Ziele, deren Überwachung und Umsetzung.

Doch agiert die Firma bei zweiwöchigen Gremiensitzungen tatsächlich effizienter? Nicht unbedingt, sagt Haase. "Aber langfristig effektiver." Denn viel wichtiger als kurzfristige Profite seien nachhaltige Entscheidungen, wenn nötig auch über Versuch und Irrtum. Und das gehe mit mehr Köpfen besser. Damit die Gremien-Sitzungen nicht ausufern, wurden sie auf zwei Stunden beschränkt. Ein positiver Effekt sei: "Der Flurfunk hat sich stark reduziert", sagt Haase.

Stelzmann und Haase vertreten die Firma nach außen hin, intern sehen sie sich nicht mehr als Manager. Von den Entscheidungen der Mitarbeiter erfahren sie über das Intranet. Für den Fall, dass eine Entscheidung geschäftsschädigend wäre, haben sie sich aber ein Vetorecht eingeräumt. Dann wird erneut diskutiert. "Wir mussten das Veto erst einmal bei einer Personalsache anwenden", erzählt Stelzmann.

Nicht für alle Mitarbeiter war Mitbestimmung erstrebenswert. Etwa 30 haben die Umstellung nicht mitgetragen, wurden ersetzt durch solche, die besser zum neuen "Mindset" passen. Nur eines passt nicht mehr zur weltweit agierenden Firma: Der langjährige Slogan "Technik braucht Kontrolle". Der wird demnächst zu "Your smart factory".

KURIER: Was bringt es, Mitarbeiter über Unternehmensstrategien entscheiden zu lassen?
Viele internationale Studien zeigen: Demokratische Unternehmen haben meistens eine längere Lebensdauer. Die Arbeitsplätze sind sicherer, die Gehälter höher. Dort verdient der Topmanager das Siebenfache des Mitarbeiters, in neoliberalen kann es das 500-fache sein. Die Korruption ist niedriger. Die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter, ihre Identifikation mit dem Unternehmen, ihre Motivation, Dinge zu verbessern, ist viel höher, wenn sie mitbestimmen können.

Für welche Firmen macht organisationale Demokratie Sinn?
Die Mehrzahl ist klein- bis mittelständisch strukturiert. Es gibt aber auch Konzerne wie der spanische Mondragon CC mit 60.000 Mitarbeitern. Das geht nur mit entsprechender Dezentralisierung und einer repräsentativen Demokratie über gewählte Gremien. Meist findet man diese Unternehmen in technischen Branchen und in der Software-Branche, in Deutschland und den USA. Österreich ist hier leider unterrepräsentiert.

Welche Art von Mitarbeitern braucht man dazu?
Die Mitarbeiter müssen an mehr Mitsprache herangeführt werden, brauchen betriebswirtschaftliche Kenntnisse, eine hohe soziale und kommunikative Kompetenz. Die Umstellung ist oft nicht leicht. Es gibt daher auch Unternehmensberatungen, die sich auf Demokratisierung spezialisiert haben.

Ist Demokratie in Firmen die Zukunft oder bleibt sie Randerscheinung?
Weder noch. Weltweit wird über die Aushöhlung der Demokratie durch die finanzmarktgetriebene Wirtschaft diskutiert. Ich denke, dass aus einem Teil der Wirtschaft vermehrt solche Demokratisierungsvorstöße kommen werden.

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