Kongress: Behinderte Menschen reden mit
Kennan Sie den Schwarzenegga?" Die Frage aus der zweiten Reihe kommt spontan und schnell. Timothy Shriver setzt sein gelassenstes amerikanischstes Sonnyboy-Lächeln auf und sagt knapp: "Yes."
Der Ex-Schwager von Arnold Schwarzenegger, Neffe von John F. Kennedy, Boss der Special Olympics und ehemalige Lehrer hätte gern die Stühle im kleinen Festsaal der Uni Wien in einen Halbkreis aufgestellt, aber sie sind fixiert. Also sitzt er den etwa 20 Personen in den Sesselreihen frontal gegenüber.
Es ist Nachbesprechung des Keynote-Vortrags, den Shriver vor einer Stunde vor rund 400 Forschern aus aller Welt gehalten hat. Und zwar in "leichter Sprache", für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, ein Novum auf einem internationalen Forschungskongress.
Aber auch eine Notwendigkeit, sagt Germain Weber, der Dekan der Fakultät für Psychologie, der den vierten IASSIDD Europe Kongress nach Wien geholt hat (siehe unten). Über die Einbindung von Menschen mit Behinderung in Gesellschaft, Bildung und Arbeitsmarkt diskutierten 800 Forscher aus aller Welt in Dutzenden Workshops. Von den Selbstvertretern, also den Betroffenen, erhielten sie in Diskussionen und Nachbesprechungen wichtige Inputs für ihre Forschung.
Ziel: Einbindung
"Für mich war es Bedingung, dass auch Selbstvertreter Vorträge halten und mitdiskutieren können", sagt Germain Weber. Nicht nur weil es inhaltlich um "Wege zur Inklusion" für intellektuell beeinträchtigte Menschen ging. Sondern auch weil Weber gleichzeitig Präsident der Lebenshilfe Österreich ist, die Arbeits-Werkstätten für Menschen mit intellektueller Behinderung betreibt. Ihm ist Inklusion wichtig: Seit einem Jahr ist ein Selbstvertreter unter Webers Vizepräsidenten. Gerade hat der Vorstand eine Inklusionsstrategie ausgearbeitet, die die Werkstätten der Lebenshilfe revolutionieren soll.
Auch Timothy Shriver hatte vor den Forschern im Audimax von einem Paradigmenwechsel im Umgang mit behinderten Menschen gesprochen, den die Special Olympics unterstützten: weg von Pathologie hin zu Potenzial, weg von Behandlung hin zu Bestärkung, weg von Ausgrenzung hin zu Einbindung. Jetzt in der Nachbesprechung geht es darum nicht mehr. Lieber fragt Shriver die anwesenden Teilnehmer, welchen Sport sie betreiben. "Radfahren", "Skifahren", "Volleyball" sind die Antworten. Günther Leitner, ein korpulenter älterer Mann in der ersten Reihe, bringt wieder mehr Inhalt in die Diskussion, er erzählt, dass er gern Trainer einer Fußballmannschaft werden wollte. "Aber das war schwierig, für Behinderte sind die Vereine nicht offen." Mittlerweile arbeitet er ehrenamtlich im Fußballverein Rennweg. Er spricht undeutlich, langsam, dennoch hat er viel zu sagen. Dass der Kongress Betroffene einbeziehe, findet er gut, sagt er zum KURIER. Und meint: "Behinderte Menschen sollen eine Chance bekommen, selbstbestimmt zu leben und selbst zu entscheiden. Wichtig ist, dass man ihnen die notwendigen Informationen verständlich erklärt." Das will er forcieren: Nach 30 Jahren Arbeit in der Werkstätte Jugend am Werk baut er Wiens erstes Selbstvertreterzentrum für intellektuell beeinträchtigte Menschen auf. Im Herbst will er es eröffnen.
Maria Mandl-Binder, eine fröhliche Frau mit rotem Haar und selbstbewusster Stimme, hat die Nachbesprechung aus privaten Gründen besucht: Ihr Exmann war Tischtennis-Weltmeister bei den Special Olympics. "Man muss Betroffene überhaupt mehr in Veranstaltungen einbinden", meint sie. Die 33-Jährige arbeitet in der Lebenshilfe Felixdorf in der Produktion. Menschen, die intellektuell Beeinträchtigte für dumm erklären, will sie sagen: "Jeder hat doch eine kleine Behinderung, macht zum Beispiel Rechtschreibfehler. Wir behinderten Menschen wollen doch einfach nur leben und so genommen werden, wie wir sind."
Der Forschungskongress „Wege zur Inklusion“ fand von 14. bis 17. Juli an der Uni Wien statt. 800 Forscher aus 58 Ländern nahmen teil. Leitthema der von Uni Wien, Lebenshilfe und der „International Association for the Scientific Study of Intellectual and Development Disabilities“ (IASSIDD) gestalteten Tagung war die gesellschaftliche Einbeziehung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Selbstvertreter diskutierten mit und lieferten Input für die Forschung.
2008 hat Österreich die UN-Konvention mit dem Recht auf inklusive Bildung ratifiziert. Sie sieht vor, dass Schüler mit speziellen Bedürfnissen nicht mehr separat in Sonderschulen, sondern mit Rücksicht auf ihre Situation im Regelschulwesen unterrichtet werden. Im Regierungsprogramm wurde ein Ausbau von Integrationsklassen und die Weiterentwicklung inklusiver Bildung angekündigt.
Seit 1993 dürfen Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind lieber in eine Integrationsklasse einer Volksschule oder in die Sonderschule schicken, 1996 wurde dieses Recht auf Hauptschulen und AHS-Unterstufe ausgedehnt. Je nach Bundesland sind die Quoten für Integrationsklassen und Sonderschulen unterschiedlich verteilt – zum Teil liegt es an der Einstellung zum Thema, zum Teil am vorhandenen Angebot. Diverse Studien konstatieren den Integrationsklassen für behinderte und nichtbehinderte Kinder einen positiven Effekt: Die Leistungen nichtbehinderter Kinder würden nicht gehemmt, ihre soziale Kompetenz gefördert. Die betroffenen behinderten Kinder würden in ihren Lernleistungen besser abschneiden als in Sonderschulen – allerdings müssten ausreichend personellen Ressourcen vorhanden sein. In Sonderschulen gebe es den „Systemeffekt“, die Leistungen seien schlechter.
Die Regierung muss für mehr inklusive Bildung wohl auch mehr Geld investieren: Lehrergewerkschaftschef Paul Kimberger gab kürzlich bekannt, dass 4,8 Prozent der Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf benötigten, aber nur 2,7 Prozent ihn bekämen. Österreichweit würden 2800 bis 3000 Sonderpädagogen fehlen.
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