Kippeln erlaubt: Wie ergonomische Möbel für mehr Bewegung sorgen

Ergonomisches Arbeiten erfordert nicht nur passende Möbel. Auch Licht, Raumgröße und -temperatur beeinflussen die Arbeitsatmosphäre
Ergonomische Sitzmöbel sind wahre Alleskönner. Sie sollen statisches Sitzen auflockern, bequem sein und bestenfalls nicht wie ein gesunder Bürostuhl aussehen.

Der Rücken ist gebeugt, die Schultern nach vorn geschoben, der Kopf vorwärts geneigt. Wer längere Zeit sitzend vor einem Computer verbringt, nimmt früher oder später eine schlechte Haltung ein. Die Folgen sind häufig körperliche Beschwerden wie Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich oder Rückenschmerzen.

Während Arbeitgeber bei der Einrichtung von Büros ergonomische Vorgaben berücksichtigen müssen, die eine gesunde Arbeitshaltung fördern, wird in den eigenen vier Wänden oft mit bestehendem Mobiliar gearbeitet: auf der Couch, auf dem Küchenstuhl, im Bett. „Wenn man es sich zum Arbeiten kurz bequem macht, ist das nichts Schlimmes. Aber das Sofa ist keine langfristige Lösung“, sagt Laura Wiesner, Geschäftsführerin des Büromöbelherstellers Wiesner-Hager.

Rückenschmerzen von der Couch

Und vermutlich haben die meisten auch schon die Erfahrung gemacht: Selbst von der gemütlichsten Couch steht man nach zwei Stunden Laptoparbeit mit schmerzenden Rücken auf. Der Grund: Unpassende Büromöbel führen zu Fehlhaltungen, dauerhaft statisches Sitzen baut die Muskulatur ab, die Bandscheiben werden zu stark belastet.

„Sitzen muss dynamisch sein“, weiß Wiesner. „Und genau das ermöglichen ergonomische Möbel. Sie sollen nicht das dauerhafte Sitzen optimieren, sondern die Prämisse ist: Bewegen, bewegen, bewegen.“

Kippeln erlaubt: Wie ergonomische Möbel für mehr Bewegung sorgen

 „Paro 2“ der Firma Wiesner-Hager, mit verstellbaren Rücken- und Armlehnen, veränderbarer Sitztiefe und Rollen für dynamisches Arbeiten

Waren ergonomische Möbel vor ein paar Jahrzehnten noch ein Nische mit einem sehr spezifischen Publikum, so ist es heute eine umsatzstarke Branche geworden. Verschiedenste Hersteller tüfteln an Möbeln, die ein möglichst gesundes Arbeiten ermöglichen: Höhenverstellbare Tische, Rücken- und Armlehnen, Bürosessel mit beweglichen Sitzflächen, die verschiedenste Sitzpositionen ermöglichen – vom Schneidersitz bis hin zum aufrechten Anlehnen. Je bewegungsreicher das Sitzen ausfalle, desto gesünder, so Wiesner.

Kippeln beim Tippen

Der Sitzhocker „LeitnerWipp“ des Herstellers Leitner Ergomöbel etwa soll Haltungsschäden mit seiner eingebauten Kipp-Funktion mindern, die Rückenmuskulatur stärken, die Version mit dem sattelförmigen Sitz unterstützt zudem die Hüftöffnung. „Der Benutzer soll in Ruhe arbeiten können, sich dabei aber möglichst viel bewegen und seine Sitzposition ändern können“, erklärt Geschäftsführer Franz Leitner.

Kippeln erlaubt: Wie ergonomische Möbel für mehr Bewegung sorgen

Aktives Sitzen: Der Hocker „LeitnerWipp“  stärkt mit seinen seitlichen Kipp-Funktionen die Rückenmuskulatur  

Nicht nur der Markt habe sich erweitert, auch die optischen Anforderungen an ergonomische Möbel hätten sich gewandelt, fügt Co-Geschäftsführer Christian Fiala hinzu. „Während im Büro die ergonomische Funktion im Vordergrund steht, ist es zu Hause das Design. Privatkunden achten viel mehr auf die Optik.“

Auch Wiesner bestätigt: „Das Heimbüro ist Bestandteil des Wohnens geworden. Arbeitsmöbel sollen wohnlich wirken und die Einrichtung optisch und farblich ergänzen.“ Die Möbelwahl für das Heimbüro sei häufig auch mit einer Platzfrage verbunden. „Bürosessel mit Rückenlehne sind oft zu groß. Hocker lassen sich vielseitiger einsetzen und auch gut verräumen.“

Die pandemiebedingte Homeoffice-Phase hat aber auch die Gestaltung von Firmenbüros beeinflusst. „Unternehmen greifen zu wohnlicheren Möbeln, integrieren Sessel, die sich für temporäres Arbeiten eignen und setzen mehr farbliche Akzente“, sagt Wiesner. „Büros werden auch vermehrt in Zonen eingeteilt. Es gibt Orte zum konzentrierten Arbeiten und Zonen für spontane Besprechungen.“

Mehrere Einstellmöglichkeiten: Bei einem ergonomischen Sessel lässt sich die Höhe der Rückenlehne verstellen und an die Körpergröße anpassen. „Wichtig ist auch eine individuell verstellbare Lordosenstütze für den unteren Rückenbereich, damit der Rücken in der natürlichen S-Kurve bleibt und die Haltung korrigiert“,so Wiesner-Hager-Geschäftsführerin Laura Wiesner. 

Auch die Sitzfläche sollte höhenverstellbar sein und sich verschieben lassen, damit beim Sitzen eine Handbreite Abstand zwischen Kniekehle und Sitzfläche entsteht. „Das vermeidet Blutstau und eingeschlafene Beine.“ Für eine optimale Ergonomie sollte auch der Schreibtisch höhenverstellbar sein, um das Arbeiten im Stehen zu ermöglichen.

Der erste Eindruck ist nicht entscheidend: „Auch wenn das Design bei Privatkunden im Vordergrund steht – die Funktion bleibt wichtig“, sagt Christian Fiala von Leitner Ergomöbel. „Manche Materialien fühlen sich beim Probesitzen hart und unbequem an, mit der Zeit aber erwärmt sich das Material, der Sitzkomfort verändert sich.“  Der Kauf eines ergonomischen Bürosessels ist damit wie  der Kauf einer neuen Couch.  „Man muss sich länger damit auseinandersetzen, wir ermöglichen unseren Kunden daher zweiwöchige Testphasen“, so Fiala.

Steuer: Arbeitnehmer, die sich ergonomische Möbel anschaffen, können diese steuerlich als Werbungskosten absetzen. Auf der Website des Finanzministeriums heißt es: „Für die Jahre 2020 und 2021 gilt, dass insgesamt 300 Euro und davon für das Jahr 2020 maximal 150 Euro geltend gemacht werden dürfen.“ Der Arbeitnehmer muss mindestens 26 Tage pro Jahr im Homeoffice gearbeitet haben.

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