Keine Jobs zweiter Klasse für Langzeitarbeitslose über 50

Judith Pühringer ist Arbeitsmarktexpertin und Geschäftsführerin von arbeit plus, einem Dachverband für soziale Unternehmen
Wer älter als 50 ist und länger als ein Jahr keinen Job hat, findet kaum zurück in den Arbeitsmarkt. Österreichweit sind das aktuell 50.516 Menschen. Die Regierung will das Problem mit der „Aktion 20.000“ lösen. Was das ist und wer davon profitiert, erklärt die Arbeitsmarktexpertin Judith Pühringer.

KURIER: Ab Montag werden im Rahmen der „Aktion 20.000“ Jobs für Langzeitarbeitslose über 50 geschaffen, die gesellschaftlich wertvoll sind, die gebraucht werden, für die bisher aber kein Geld da war. Um welche Jobs handelt es sich konkret?

Judith Pühringer: Das wird in den kommenden Monaten in den Modellregionen herausgefunden. Ab 2018 startet die Aktion flächendeckend in Österreich. Generell sind es Jobs, die sonst nicht angeboten werden und niemanden konkurrenzieren. Es werden Jobs im gemeindenahen kommunalen Bereich, zum Beispiel in Schulen, sein. Zweitens in sozialen Unternehmen und drittens im Bereich Community Care. Bei Drittem geht es darum, zu überlegen, wie Pflege ausgebaut und ergänzt werden kann.

Können sich Menschen, die von Langzeitarbeitlosigkeit betroffen sind, explizit für die "Aktion 20.000" melden?

Der Weg geht immer über das AMS. Aber man kann sich aktiv einbringen, sich an die Bürgermeister in der Region wenden und sagen, welche Jobs sinnvoll wären.

Wie werden Menschen für die Jobs qualifiziert?

Es wird stark kompetenzorientiert gearbeitet. Es geht also nicht nur um die formale Qualifikation, sondern auch um Erfahrung. Das ist ja die große Stärke von Älteren. Vielleicht haben sie eine Qualifikation nie erlernt, aber haben Komponenten in früheren Jobs gemacht. Es geht also auch darum, Menschen zu befähigen, ihre eigenen Kompetenzen wahrzunehmen und zugänglich zu machen. Da steckt viel Potenzial drin.

Was macht Langzeitarbeitslose über 50 so schwer vermittelbar? Ist es ausschließlich das Alter?

Ja, zum Teil. Zum Teil warten sie auch zu lange zu, etwas Neues zu finden. Es ist in meinen Augen aber keine Schuldfrage. Es ist einfach die Situation am Arbeitsmarkt, ein strukturell systemisches Problem. Und es ist ein Einstellungsproblem der Unternehmer, die sagen, Ältere sind teuer, Jüngere günstig und daher besser. Das Paradoxe ist, dass Menschen vom Arbeitsmarkt mit 50 Jahren für alt erklärt werden und gleichzeitig sollen Menschen länger im Erwerbsleben bleiben.

Ist jede Arbeit besser als keine?

Es wäre zynisch und gefährlich, das zu sagen. Eine Arbeit zu haben ist extrem entscheidend, ist sinnstiftend, integrierend und existenzsichernd. Es muss um qualitätsvolle Arbeit und Bedingungen gehen. Wenn die Menschen wegen ihrer Arbeit krank werden, oder trotz Arbeit von Armut betroffen sind, wird es dramatisch. Siehe die Hartz 4-Diskussion. Man dachte Hartz 4 ist ein Sprungbrett. Doch das ist es nicht. Es hat sich ein riesiger Niedriglohnsektor gebildet, die Menschen sind stigmatisiert und werden arm gehalten. Es ist eine totale Einbahnstraße. Und das ist die "Aktion 20.000" sicher nicht.

Bei der „Aktion 20.000“ werden die Lohn- und Lohnnebenkosten für zwei Jahre übernommen. Was soll danach passieren? Der Arbeitsmarkt wird sich nicht groß verändert haben.

Die große Empfehlung ist, die Aktion auszuweiten. Es muss einen Arbeitsmarkt geben, wo Menschen unter würdigen Bedingungen arbeiten können, wenn sie am normalen Arbeitsmarkt keine Chancen haben. Es spricht aber auch nichts dagegen, dass sie danach wieder einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Aber man wird sich darüber unterhalten müssen, welche Modelle auch ohne 100-prozentige Förderung funktionieren können. Ich glaube, dass Viele übernommen werden, weil dann gesehen wird, das es sinnvolle Arbeit ist, die den Unternehmen auch etwas wert ist. Gerade soziale Unternehmen könnten aus eigener wirtschaftlicher Kraft diese Menschen beschäftigen, wenn sie über kluge politische Maßnahmen dazu befähigt würden, wirtschaftlich besser zu agieren. Im Moment stecken soziale Unternehmen in einem sehr engen Korsett, nämlich in den Richtlinien des AMS. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie keine Rücklagen bilden dürfen, wenn sie Gewinne machen. Das bedeutet weiter, es gibt keinen Anreiz die Eigenerwirtschaftungsquote höher zu legen. Über kluge Kooperationen mit der Wirtschaft könnten soziale Unternehmen die Menschen der "Aktion 20.000" dauerhaft beschäftigen, auch ohne 100-prozentige Förderung.

Welche klugen politischen Maßnahmen, wie Sie sagen, wären nötig?

Ein großer Hebel ist das Vergabegesetz, das gerade beschlossen hätte werden sollen, aber auf Oktober verschoben wurde. Leider. Wenn es dadurch möglich wäre, dass Gemeinden und Kommunen Aufträge direkt an soziale Unternehmen, die mindestens 30 Prozent am Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen beschäftigen, vergeben könnten. Eine Gemeinde könnte dann zum Beispiel sagen, die Grünraumbewirtschaftung der Gemeinde vergeben wir direkt an ein soziales Unternehmen. Das soziale Unternehmen bekommt dann die Einnahmen und kann darüber wieder die Menschen beschäftigen. Das wäre ein Kreislauf. Das Vergabegesetz als arbeitsmarktpolitisches Instrument zu sehen, tun noch nicht viele. Was dann im Raum steht ist – und deswegen ist es auch kein Lieblingsprojekt der ÖVP und der Wirtschaftskammer –, ob diese Unternehmen dann Privatunternehmen konkurrenzieren. Also ob man dann von unlauterem Wettbewerb sprechen kann.

Was ist ihre Antwort?

Da sage ich ganz pragmatisch, die sozialen Unternehmen bekommen ihre Förderung dafür, dass sie einen sozialen Integrationsauftrag erfüllen. Wenn die privaten Unternehmen diesen Auftrag erfüllen würden, dann finde ich, sollte ihnen diese Förderung auch zu Gute kommen. Es gibt aber so etwas wie ein Marktversagen, denn diese Menschen finden am regulären Arbeitsmarkt keine Beschäftigung. Also muss der Staat dafür sorgen und schüttet dafür Förderungen aus. Das finde ich nicht unlauter. Aber natürlich stellt sich gerade bei der "Aktion 20.000" die Frage, wie wir Jobs finden, die sonst sicher nicht von privaten Unternehmen angeboten würden.

Auch, damit private Unternehmen nicht aus der Pflicht genommen werden, Jobs für Ältere zu schaffen.

Ich finde es ist ganz wichtig, sie hier in die Pflicht zu nehmen. Es gibt ja auch für private Unternehmen verschiedenste Förderungen für die Beschäftigung von älteren Personen. Aber diese Möglichkeiten werden zum Teil nicht genutzt. Ich denke, die private Wirtschaft und auch die Wirtschaftskammer, täte gut daran dieses Potenzial zu sehen und zu nützen. Und: Sie könnten die Arbeit mit sozialen Unternehmen verstärken. Wir alle haben ja ein gemeinsames Thema: Wie können wir Arbeitsplätze für Ältere schaffen und wie kann man sie alternsgerecht gestalten. Ich halte die "Aktion 20.000" für eine große Chance, sich solche Dinge miteinander zu überlegen.

Wie wird vermieden, dass Menschen, die einen „Aktion-20.000“-Job haben, stigmatisiert werden?

Das sind keine Jobs zweiter Klasse. Im Gegenteil, das sind sinnvolle, wertvolle und sinnstiftende Jobs. Sie sind voll versicherungspflichtige und kollektivvertraglich entlohnte Jobs. Wir wollen solche Jobs und keine anderen.

Ist es schwierig 20.000 Jobs zu finden?

Es ist ambitioniert. Aber zu schaffen, wenn alle konstruktiv zusammenarbeiten. Diese Aktion ist ein wichtiger gesellschaftspolitischer Beitrag. Weil man bei den 50.000 Betroffenen nicht wegschaut, weil man über die Qualität von Arbeit nachdenkt und darüber, welche Jobs in der Region sinnvoll sind.

Ab Montag startet die "Aktion 20.000" in den Piloteregionen in allen neun Bundesländern. Das sind: Wien, Baden (NÖ), Oberwart (B), Deutschlandsberg/Voitsberg (St.), Linz und Urfahr Umgebung (OÖ), Pongau (S), Villach/Villach Land/Hermagor (K) und Bregenz (Vlbg.). Mit der "Aktion 20.000" werden 20.000 zusätzliche Stellen für Menschen geschaffen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind und sonst kaum zurück in den Arbeitsmarkt finden. Laut AMS-Statistik gelang es im Jahr 2015 nur 19 Prozent der Langzeitarbeitslosen wieder Arbeit zu finden. Mit der "Aktion 20.000" soll die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe bis 2019 halbiert werden. Der Bund übernimmt dafür die Lohn- und Lohnnebenkosten - bis zu 100 Prozent - für vorläufig maximal zwei Jahre. Pro Arbeitsplatz sind das durchschnittlich 27.000 Euro jährlich. Damit liegen die Kosten lediglich 10.000 Euro über den Kosten pro Langzeitarbeitslosen (aktuelle 17.000 Euro jährlich aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung). Vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2019 werden gesamt 778 Millionen Euro für dieses Programm zur Verfügung gestellt, die Vorbereitungen in den Pilotregionen laufen bereits auf Hochtouren. Die Umsetzung der Beschäftigungsaktion 20.000 erfolgt durch das Arbeitsmarktservice. Bestehende Arbeitsplätze sollen nicht ersetzt werden. Es sollen ausschließlich Jobs geschaffen werden, die ohne Beihilfen nicht realisierbar wären. Und zwar in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Unternehmen.

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