Jugend, noch immer ohne Arbeit

Jugend ohne Perspektive? Vor allem Krisenländer weisen eine hohe Jugendarbeitslosigkeit auf. EU-Gelder werden je nach Bedürftigkeit auf die Staaten aufgeteilt.
4,7 Millionen Jugendliche in der EU sind arbeitslos. Was Regierungen, Unternehmen und Jugendliche dagegen tun.

Sie sind noch keine 25 und haben ihre Ausbildung gerade hinter sich. Oder haben erst gar keine gemacht. Jedenfalls sind sie unerfahren – so sehen es die Unternehmen. Und die haben sowieso gerade Stellen abgebaut.

4,7 Millionen Jugendliche in der EU sind arbeitslos (Stand: Juni 2015). In Spanien und Griechenland ist jeder zweite arbeitswillige Junge ohne Job.

Wer den tiefen Fall verhindern will, wandert aus. Wer bleibt, resigniert. Das ist in Spanien zu sehen: Von den kämpferischen Protesten von 2011 und 2012 gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung ist nichts übrig geblieben. Junge Menschen finden keinen Job, und wenn doch, sind es nur befristete Verträge mit niedriger Entlohnung. In Griechenland ist die Lage noch eine Spur trister. Manche versuchen, ihre Lage mit der Gründung von Start-ups und Unternehmen zu verbessern. Besorgniserregend ist: Laut einer Studie rutschen immer mehr Junge in die Prostitution und den Drogenkonsum ab.

Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Die Arbeitslosenquoten unter den Jungen waren im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat in fast allen Mitgliedsstaaten rückläufig. Wichtiger als die Arbeitslosenquote ist allerdings der Anteil der NEETs (Not in Education, Employment, or Training): Jugendliche, die weder einen Job haben, noch in Aus- oder Weiterbildung sind. Gerade in Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit ist die Zahl der NEETs groß – besonders in Italien, Griechenland und Spanien.

Grund für Optimismus gibt Nestlé-Boss Peter Brabeck-Letmathe (siehe Interview rechts). Die jungen Menschen würden in Zukunft sehr wohl Jobs erwarten können – allerdings auf höherem Niveau. Genau das ist wiederum eine Herausforderung, denn dazu fehlen den Jungen oft die Qualifikationen.

Garantiert

Um die Qualifikationen zu heben und Jobperspektiven zu schaffen, verpflichteten sich alle EU-Mitgliedsländer 2013 zur Jugendgarantie nach österreichischem Modell. "Wir sehen deutlich, dass die Einführung der Jugendgarantie vor zwei Jahren zu den sinkenden Arbeitslosenquoten beiträgt", sagt Max Uebe, Leiter der Abteilung Jugendbeschäftigung in der Europäischen Kommission. Die Jugendgarantie soll den NEETs innerhalb von vier Monaten einen adäquaten Ausbildungsplatz, ein Praktikum oder einen Arbeitsplatz ermöglichen: mindestens 6,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt fließen bis 2018 in das Programm, weitere 6,3 Milliarden Euro gibt es bis 2020 für strukturelle Maßnahmen zur Jugendbeschäftigung. "Es ist gar nicht so leicht, so hohe Beträge sinnvoll und nachhaltig umzusetzen", sagt Max Uebe. Nötig sind für die Jugendbeschäftigung laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) allerdings viel mehr als die insgesamt 12,7 Milliarden Euro: 21 Milliarden Euro pro Jahr bräuchte es, um ordentliche Systeme in den EU-Ländern zu etablieren.

Mehr ist nötig

Jugend, noch immer ohne Arbeit

Die Gelder für die Jugendgarantie werden je nach Bedürftigkeit auf die Länder aufgeteilt (siehe Grafik) – für Regionen, die eine Jugendarbeitslosenquote von mindestens 25 Prozent aufweisen. Noch ist nicht alles verteilt. Die Staaten müssen sich grundsätzlich bereits investiertes Geld von der EU zurückholen. Da manche Länder wegen ihres Budgetlochs kaum investieren können, wird heuer eine Milliarde Euro vorab ausbezahlt. Wie es einigen Mitgliedsländern geht, zeigt folgender Überblick:

Griechenland Das Sorgenkind der EU führt das Ranking der höchsten Jugendarbeitslosigkeit seit geraumer Zeit an. 53,2 Prozent der Jungen waren im Juni erfolglos auf Arbeitssuche. Wegen anderweitiger EU-Finanzspritzen fällt der Zuschuss mit 171 Millionen Euro gering aus. Die Griechen haben bisher keine nennenswerten Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gestartet.

Spanien Das Land hat seine Jugendarbeitslosenquote leicht gesenkt – im Juni waren es 49,2 Prozent. Zurückzuführen ist der leichte Rückgang darauf, dass Spanien versucht, ein duales System nach österreichischem Modell aufzubauen. Die Zahl der Unternehmen in Berufsbildungsprojekten verdreifachte sich von 2013 auf 2014 auf 1570, fast 10.000 Jugendliche wurden 2014 ausgebildet. Mit der knappen EU-Milliarde (siehe Grafik) soll das Land heuer Maßnahmen für joblose Jugendliche umsetzen. Bisherige waren sie ineffizient, kritisiert die EU-Kommission.

Frankreich Fast jeder vierte arbeitssuchende Jugendliche findet keinen Job. Mit dem Programm "Emploi d’avenir" will die Regierung gering qualifizierten Jugendlichen einen geförderten Arbeitsplatz oder eine Ausbildung ermöglichen.

Portugal Trotz Wirtschaftsaufschwung findet jeder dritte arbeitssuchende Jugendliche keinen Job. Die sinkende Arbeitslosenquote ist nicht nur auf die Jugendgarantie, sondern auch auf Abwanderung zurückzuführen. 1,3 Milliarden Euro hat die Regierung mithilfe der EU bis Ende 2015 zur Verfügung.

Deutschland Das Land glänzt mit der geringsten Quote der EU von zuletzt 7,1 Prozent. Das liegt – wie in Österreich – vor allem an der dualen Berufsbildung. Die EU-Kommission kritisiert jedoch, dass für benachteiligte Jugendliche zu wenig getan wird.

Schweden Die für das sonstige Vorzeigeland recht hohe Jugendarbeitslosenquote von 20,8 Prozent im Juni kommt laut Max Uebe so zustande: "Die Hälfte dieser 20,8 Prozent sind Studierende, die keinen Nebenjob finden." Die NEETs-Rate ist in Schweden sogar niedriger als in Österreich. Ähnlich kommt die Quote auch in Finnland und Dänemark zustande. Um die Zahl der joblosen Jugendlichen einzudämmen, überlegte die schwedische Regierung 2014 eine Ausweitung der Schulpflicht bis zur Matura.

Estland Sehr gut, nämlich auf Platz drei, steht der baltische Staat da. Jugendliche erhalten maßgeschneiderte Ausbildungspläne, in Aus- und Weiterbildung wird stärker investiert.

Nestlé needs YOUth – mit dieser Initiative will der Nahrungsmittelkonzern der Jugendarbeitslosigkeit begegnen und gleichzeitig Talente ins Unternehmen holen. Ziel: 20.000 Jobs für junge Menschen bis 2016 in Europa zu schaffen. Im vergangenen Jahr wurde das Programm erweitert, in der "Alliance for YOUth" engagieren sich auch andere führende Konzerne: 50.000 Praktika und Internships wurden im ersten Jahr geschaffen.

Im Interview mit dem KURIER spricht der Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé, der Österreicher Peter Brabeck-Letmathe, über den unfairen Generationenvertrag und die Bonzengesellschaft.

KURIER: Wie geht es der Jugend in Europa?

Peter Brabeck-Letmathe: Wo?

In Österreich gibt es etwa 10 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, in Ländern wie Griechenland oder Spanien sogar rund 50 Prozent. Für Junge ist in der Wirtschaftswelt offenbar wenig Platz – was signalisiert man da einer ganzen Generation?

Das ist sicherlich eines der größten Probleme, die wir heute haben. In Europa bin ich der Meinung, dass wir es lösen können, weil wir demografisch unter Druck geraten: Wir brauchen die Jugend, weil uns die Arbeitskräfte ausgehen werden.

Dem könnte man widersprechen: Digitalisierung und Roboter vernichten Jobs.

Da stimme ich nur zum Teil zu. Bei der Industrialisierung gab es eine Delle in der Beschäftigung: Man braucht die Leute auch nachher wieder, aber auf einem neuen, höheren Niveau. Die größte Gefahr ist, dass die arbeitslosen Jugendlichen nicht in den Arbeitsprozess integriert werden und damit auch nicht die Chancen auf Fortbildung erhalten – und somit in Zukunft überhaupt keine Chance mehr haben.

Wo liegen die Versäumnisse? Wo hat man die Jugend verloren?

Es ist sicher auch ein Krisenphänomen. Aber wir kommen nicht drum herum, diese Verantwortung auf uns zu nehmen. Ich möchte aber betonen: Bei der Förderung der Jugendlichen geht es nicht um Mäzenatentum, sondern darum, dass wir die jungen Menschen morgen brauchen. Darauf müssen wir sie aber heute vorbereiten. Am Ende haben dann alle Beteiligten etwas davon.

Aus Ihrer Sicht: Was müssen Jugendliche heute leisten?

Keine Frage, Jugendliche haben heute eine viel größere Herausforderung als wir das hatten. Ich bin immer sehr beeindruckt von jungen Leuten, wie sie sich bewusst sind, was sie machen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen . Zu meiner Zeit hat man darüber nicht besonders viel nachgedacht. Man hat geschaut, dass man durch die Universität kommt, dann hat man auswählen können, wo man hin will. Die Selbstverantwortung, die es heute bei vielen Jugendlichen gibt, ist für mich beeindruckend. Deshalb sehe ich die Zukunft auch nicht so negativ.

Nicht alle haben dieses Bewusstsein, diese Selbstverantwortung.

Das stimmt und das ist auch ein Problem. Wir müssen diesen Jugendlichen klar machen, dass man sich heute nicht einfach zurücklehnen und warten kann. Sondern dass sie sich vorbereiten müssen, sie eine gute Ausbildung brauchen. Weil die Jobs kommen nicht auf dem Niveau wo wir sie heute haben, sie kommen auf dem nächsthöheren.

Wie unfair ist der Generationenvertrag geworden? Junge Menschen haben oft das Gefühl, die Älteren haben ihre Gehälter, ihre Pensionen – dort stimmt die Habenseite. Auf die Jugend wird aber wenig geschaut.

Ich glaube, es ist sehr unfair. Unser Wirtschaftssystem ist ein Bonzensystem, es finanziert die Älteren. Das funktioniert aber nur, solange genug Junge nachkommen – und das hört gerade auf. Ich glaube, zudem, die Rigidität der Arbeitsgesetze ist verantwortlich, dass Jugendliche heute keinen Job bekommen. Die Gewerkschaften verteidigen das Bestehende. Sie verteidigen die Arbeitenden und arbeiten gegen die Arbeitslosen.

Sie wollen eine Gewerkschaft der Arbeitslosen?

Hätten die Arbeitslosen eine Stimme, würden sie verlangen, dass Arbeitsgesetze gelockert werden. Dann wäre der Arbeitsmarkt flexibler und ihre Chancen besser.

Zu welchen Bedingungen? Die Einstiegsgehälter heute sind gleich hoch wie vor zehn Jahren.

Das wundert mich nicht, da ist die Krise, die Gehaltserhöhungen waren deshalb mild, auch weil es keine Inflation gab.

Was raten Sie jungen Menschen heute für den Berufseinstieg?

Mach’, was dir Freude macht. Ich werde oft gefragt, ob ich ein Workaholic bin. Dabei ist Arbeiten für mich keine Last. Wenn du etwas machst, das dir Freude macht, kannst du nicht verhindern, dass du das fünf Prozent besser machst als die anderen. Etwas freudlos zu tun, nur weil es tausend Euro mehr bringt, ist der Anfang vom Ende. Da habe ich lieber tausend Euro weniger – weil der Tausender kommt später. Bei mir hat es auch gedauert, bis ich 50 war, bis ich verdient habe. Aber dann kommt’s ordentlich.

Jugend, noch immer ohne Arbeit
Peter Brabeck, 71, leitet seit 1997 den Nestlé-Konzern.

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