Je wieder Vollbeschäftigung?
Die Zeiten, in denen es in Österreich die sogenannte Vollbeschäftigung gegeben hat, sind lange her. Zuletzt war dies in der Ära Kreisky der Fall. Bis ins Jahr 1981 gab es in Österreich eine Arbeitslosenquote von zwei Prozent, getragen vor allem von der guten Konjunktur. "Dazu beigetragen hat auch die Verkürzung der Arbeitszeit von 48 auf 40 Wochenstunden", sagt Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien. Tatsächlich gab es damals mehr offene Stellen als Arbeitssuchende. Das war auch darauf zurückzuführen, erläutert IHS-Experte Helmut Hofer, dass Frauen ihre Arbeitskraft vor allem zu Hause einsetzten – und nicht am Arbeitsmarkt. "Damals gab es mehr Selbstständige, insbesondere Bauern, und viel weniger Unselbstständige als heute", ergänzt Ulrike Huemer, Arbeitsmarktexpertin beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo).
Was ist Vollbeschäftigung?
Doch wie wird Vollbeschäftigung genau definiert und hat sie heute noch irgendwie Relevanz? "Eine klare Definition gibt es nicht", stellt Helmut Hofer, Arbeitsmarkt-Experte beim IHS, klar. Allgemein würde man darunter heute eine Arbeitslosenquote von drei bis vier Prozent verstehen. Aktuell stehen wir bei 8,2 Prozent. Einerseits gab es in den vergangenen Jahren einen massiven Anstieg des Arbeitskräfteangebots – durch Zuzug, weil Ältere länger arbeiten (Pensionsreform) und mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Andererseits ist der konjunkturelle Aufschwung verhalten. Dümpelte das Wirtschaftswachstum in den vergangenen vier Jahren zwischen 0,1 und 1,0 Prozent dahin, so haben Wirtschaftsforscher für 2016 ein Wachstum von 1,5 und für 2017 von 1,3 Prozent prognostiziert – keine steilen Trendkurven. "Für einen Rückgang der Arbeitslosigkeit müsste das Wirtschaftswachstum um mindestens 2,5 bis drei Prozent steigen", sagt AMS-Chef Johannes Kopf. Wir müssen uns an bescheidenes Wachstum und an hohe Arbeitslosenraten gewöhnen, erklärte der neue Wifo-Chef Christoph Badelt kürzlich. 200.000 neue Jobs bis 2020, wie es Bundeskanzler Christian Kern (SP) angekündigt hat, seien aber "durchaus denkbar".
Woran es hapert
Ende September standen 391.939 Arbeitslose 42.499 offene Stellen gegenüber. Das ist kein Widerspruch, denn die Arbeitslosen haben zum Teil schlicht nicht die erforderliche Qualifikation, die sie für die ausgeschriebenen Stellen benötigen. Die Hälfte der Arbeitsuchenden hat maximal Pflichtschulabschluss, mehr als ein Viertel kommen aus dem Ausland und sprechen schlecht Deutsch. Das Fachwort dazu lautet "Missmatch". AMS-Chef Kopf relativiert: Dem AMS würden laufend neue Stellen gemeldet werden. "Die 42.499 freien Stellen sind nach einem Monat großteils besetzt, Ende Oktober werden wir voraussichtlich wieder mehr als 40.000 neue Stellen anbieten."
Arbeitsmarktpolitik allein kann kaum zusätzliche Jobs schaffen. "Sie schafft etwa geförderte, zeitlich befristete Jobs für Benachteiligte, um Ausgrenzung zu verhindern. Sie hilft auch durch Qualifizierungen Stellen zu besetzen, die sonst nicht besetzt werden könnten", so Kopf. "Die Mittel für die Qualifizierungspolitik wurden um 300 Millionen Euro gegenüber 2015 erhöht", betont Marterbauer. Es läge an der Wirtschaft, neue Jobs zu schaffen.
Zu den Bereichen mit dem größten Job-Potenzial zählen für die Experten jedenfalls die Technologie, Digitalisierung, das Gesundheits- Sozial- und Erziehungswesen. "Neben der Sachgüterproduktion und dem Bau sind es vor allem auch der Dienstleistungsbereich und der Tourismus", ergänzt Kopf. Die gering Qualifizierten mit Pflichtschulabschluss werden es künftig noch schwerer haben, so die Experten. Sie müssten sich verstärkt aus- und weiterbilden, um mithalten zu können. Aktuell liegt die Arbeitslosenquote von Personen mit Pflichtschulabschluss bei 23,7 Prozent. Von jenen mit Lehrabschluss nur mehr bei 6,5.
"Kurzfristig schaut es überhaupt nicht danach aus, dass wir Vollbeschäftigung wiederbekommen", sagt Hofer. "Angesichts der anhaltenden internationalen Finanzkrise und der regen Zuwanderung auf den heimischen Arbeitsmarkt wird Vollbeschäftigung in den nächsten Jahren kaum zu erreichen sein", bestätigt auch Marterbauer. Doch die Arbeitslosenquote könnte zumindest gesenkt werden. So wirke etwa die Lohnnebenkostensenkung konjunkturbelebend, sagt Kopf. Auch Arbeitszeitverkürzung könne ein Schritt in die richtige Richtung sein. "Dazu zählen die Freizeitoption in den Kollektivverträgen der Elektro-, Papier und Metallindustrie, die sechste Urlaubswoche für alle und die Verkürzung der Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte", klärt Marterbauer auf. So eine Verkürzung ginge jedoch davon aus, dass Arbeit homogen und leicht umverteilbar sei, erklärt Helmut Hofer. Den besseren Weg sieht er in großen Reformen im Bildungsbereich – damit alle gut qualifiziert auf den Arbeitsmarkt kommen.
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