Jahrgang 2016: 100 Jahre und eine Million, Baby

In Sophies Welt von morgen: Ausbildung ist Trumpf, Arbeit ist megaflexibel und die Pension kommt später und schleichend.
Sie werden 100 Jahre alt und verdienen mehr als eine Millionen Euro netto. Neugeborene haben dann ein gutes Leben vor sich, wenn sie gut ausgebildet sind.

Wie sieht die Zukunft der 2016-Geborenen aus? Die Allianz Versicherung hat eine Prognose erstellt. Demnach werden 2016 geborene Babys leicht hundert Jahre alt. Und Millionäre. Ihr Lebenserwerbseinkommen beträgt rund 1,5 Millionen Euro brutto, oder 1,07 Millionen Euro netto. Nicht übermäßig viel, aber hoffentlich genug für ein erfülltes Leben.

Wir haben einen fiktiven – sehr positiven – Lebenslauf eines neugeborenen Babys mit Experten (siehe Textende), Studien und Trendreports erstellt.

Das ist Sofies Welt.

2022

Es ist Montag, 4. September. Sofie geht mit Schultüte und Eltern in die Schule. Aufregender, erster Tag in der Privatschule – ihre Eltern leisten sich diesen Luxus. Was auf Sofie zukommt, kennt sie schon aus der Vorschule. Dort wurden ihre Stärken gefördert, somit ein fließender Übergang von Vorschule zu Volksschule vorbereitet. Lehrer Kalić hat zwei Ziele: Sofies spielerischen Lernwillen zu fördern, sie motiviert zu halten. Und ihr beizubringen, selbstständig zu lernen. Sofies Welt verändert sich laufend, viel stärker als früher. Sie muss dauernd neue Sachen lernen, aber sie ist daran gewöhnt. Das Neue ist für sie spannendes Abenteuer.

Im Flipped Classroom ist die Schule auf den Kopf gestellt. Früher einmal hat der Lehrer den Stoff vermittelt, dann Hausübungen verteilt. Der Lehrer hat sich damals frontal an die fiktive Durchschnittsschülerin gerichtet – das war nicht individuell genug. Heute lernt Sofie selbst, in ihrem Tempo, mit Unterrichtsmaterialien, die sie auf ihrem Tablet aufruft. Lehrer Kalić ist ihr Coach, hilft, wenn sie etwas nicht versteht.

Sobald Sofie ihre Übungen kann, meldet sie sich zum individuellen Prüfungstermin und holt sich eine Beurteilung in ihr Portfolio (früher: Zeugnis). In manchen Fächern, wo ihre Schwächen liegen, bleibt sie auf den Mindestanforderungen. In ihren Glanzfächern aber – Rechnen und Sachunterricht – macht sie überdurchschnittlich viel. Dort liegen ihre Begabungen, dort bekommt sie Sternnoten.

2026

Nach der Volksschule geht Sofie ins – wieder private – Technik-Gymnasium. Dort sind ebenso viele Mädchen wie Buben, sie kann sich zu ihren Pflichtfächern ihre liebsten Wahlfächer aussuchen. Ein Unterrichtsfach heißt: Verantwortung. Hier erlebt Sofie, dass sie etwas tun kann, was in der Welt gebraucht wird. Solidarität ist Teil ihres Selbstverständnisses. 2030 entscheidet sie sich nach langen Überlegungen für die Oberstufe. Auch die hoch angesehene Lehre hätte sie interessiert. Es gibt zwar nur noch 60 Lehrberufe – früher sollen es 300 gewesen sein – diese Handwerke sind aber mittlerweile golden. Sie will trotzdem lieber weiter in die Schule gehen, später einmal studieren.

2034

markiert das Ende der Pensionsantrittswelle der Babyboomer. Österreich ist ein Pensionistenland geworden. Der Arbeitsmarkt hat in den vergangenen Jahren Hunderttausende Personen verloren, dafür gibt es jetzt 2,35 Millionen Menschen über 65. (2016: 1,57 Millionen).

Sofie hat maturiert. Mit der Reifeprüfung in der Tasche entscheidet sie sich, wie etwa 40 Prozent der Jugendlichen ihres Jahrgangs, für ein Studium. Um sich optimal auf später vorzubereiten, belegt sie außerdem Seminare, die die Gepflogenheiten Afrikas vermitteln. Auch Lateinamerika, die andere Boomregion, hätte sie interessiert.

Sie hat die Wahl zwischen wissenschaftlich ausgerichteter Universität und praxisnaher Fachhochschule – und will Letzteres. Die meisten Hochschüler, 80 Prozent, entscheiden sich für eine FH, weil sie direkt für den Arbeitsmarkt ausbildet. Sofie spezialisiert sich auf "Human Smart Tech und Robotics". Das österreichische Stipendiensystem ermöglicht es ihr, zu studieren ohne nebenbei zu jobben – einen Teil des Stipendiums zahlt sie später, wenn sie im Berufsleben steht, wieder zurück.

Während ihres Studiums macht sie Praktika im In- und Ausland und studiert ein Jahr in Großbritannien. Das können sich viele ihrer Freunde nicht leisten. Sie spricht perfekt Englisch, das kann fast jeder auf der Welt. Um andere Fremdsprachen muss sie sich wenig kümmern, weil Computer simultan übersetzen. Nur ein bisschen Arabisch hat sie sich antrainiert – das hilft später im Berufsleben sicher.

Nach vier Jahren Technik-Studium schließt sie 2038 mit dem M. Eng ab – sie ist jetzt Master of Engineering.

2039

nimmt Sofie ihren ersten festen Job an. Obwohl: Festanstellung ist 2039 anders gestaltet. Fixanstellungen gibt es zwar nach wie vor, jedoch werden sie freier und flexibler. Wegen der demografischen Entwicklung suchen Firmen händeringend nach Fachkräften. Hierzulande kommen mittlerweile auf zehn erwerbsfähige Menschen mehr als vier Pensionisten. Das Arbeitskräftepotenzial ist überschaubar. Deshalb bewerben sich Firmen künftig bei Mitarbeitern – und nicht umgekehrt. Unternehmen müssen Jungen gute Konditionen bieten und bemühen sich aktiv um sie – Stichwort Procruiting. Human Ressources wurde in den vergangenen Jahren zu einer Priorität, HR-Manager sind wichtiger Teil des Vorstands.

Sofie hat – weil gut ausgebildet – mehrere Angebote. Sie ist hochmotiviert, bevorzugt es in ihren 20ern flexibel und kreativ zu arbeiten und startet in einem Create-up. Das sind schnelle, experimentelle Labore. Von diesen Unternehmen mit kräftigen Visionen und freundschaftlicher, aber hoch kompetitiver Firmenkultur wird Innovation und Wachstum angetrieben. Jene etablierten Konzerne, die die digitale Transformation überlebt haben, orientieren sich an diesen Innovationsschmieden oder haben auch eigene Forschungslabore im Betrieb errichtet.

Sofies Kolleginnen und Kollegen sind international, sie entstammen durchwegs der Bildungselite. Seit ihrer Geburt hat sich die Schere zwischen gut und schlecht Ausgebildeten immer weiter geöffnet. Ein Trend, der sich schon seit Langem fortsetzt: 1990 lag die Arbeitslosenrate bei Personen mit Pflichtschulabschluss und ohne einer Berufsausbildung bei 9,5 Prozent, 2015 bei 27 Prozent. Nur den gut Qualifizierten steht die Welt offen. Die Herkunft spielt dabei überhaupt keine Rolle.

2042

Nach drei Jahren im hoch kompetitiven Create-up macht Sofie einen Intensivlehrgang an einem renommierten Erwachsenenbildungsinstitut. Ständige Weiterbildung im Erwachsenenalter ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden – die technologische Entwicklung hat sich weiter beschleunigt –, wer am Ball bleiben will, muss sich laufend weiterbilden.

Sofie lässt sich von einem Unternehmen mit Firmensitz in Kalifornien abwerben. Sofie lebt, wie zwei Drittel der Weltbevölkerung, in einer Stadt mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. Die meisten dieser Stadtgebiete liegen in den Industrieländern Nordamerikas (82 Prozent der Gesamtbevölkerung), in Lateinamerika und den Karibikstaaten (80 Prozent) sowie in Europa (73 Prozent). Nach sieben Jahren wechselt Sofie zu einem afrikanischen Unternehmen. Während in Europa die Bevölkerung zurückgeht, hat sich die Bevölkerung in Afrika bis 2050 mehr als verdoppelt, die Wirtschaft dort wächst.

2054

Sofie zieht zurück nach Österreich, wo sie ihren 38. Geburtstag feiert. Ihre Oma freut sich – die ist eine von 12.000 über Hundertjährigen in Österreich. Ein Jahr später bekommt Sofie ein Baby, zwei Jahre später das zweite. Sie sollen in Österreich aufwachsen, denn trotz Klimawandels gilt es als attraktiv, obwohl auch hier immer wieder Naturkatastrophen auftreten.

Sofies Partner nimmt, ebenso wie sie selbst, jeweils sechs Monate Karenz in Anspruch – eine Selbstverständlichkeit. Die Welt, in der sich die Frau um Kinder und Küche gekümmert und der Mann von Nine-to-Five gearbeitet hat, gibt es längst nicht mehr. Ebenso wenig fixe Arbeitszeiten. Sofie schreibt Mails am Wochenende, doch selbstverständlich nimmt sie sich Vormittage frei.

Sofie ist mittlerweile bei einem österreichischen Unternehmen, das Niederlassungen in Afrika hat. Sie arbeitet Teilzeit in einer Führungsposition. Ihr Team entwickelt energieeffiziente humanoide Roboter, die man für die Altenbetreuung braucht. Die soziale und umweltschonende Komponente ist gut Gebildeten noch wichtiger geworden. Produkte müssen Sinn haben und Lösungen auf Probleme sein. Human Smart Tech ist die Technologie der Zukunft, ihre Lösungen sind diskret, elegant, angemessen.

Die Fortschritte in der Robotik und Digitalisierung haben Millionen Menschen ihre Jobs gekostet. In den vergangenen 20 Jahren wurden 35 Prozent durch Roboter oder smart Software ersetzt. Auch neue Jobs entstehen. Sofie wechselt innerhalb ihrer Firma mehrmals die Position, arbeitet mal mehr mal weniger, verfolgt auch selbstständig eigene Projekte. Firmen wollen Leute, die immer am neuesten Stand sind in jedem Alter behalten.

2080er

Nach mehr als 45 Jahren im Arbeitsleben geht Sofie in den Ruhestand. Arbeitsfrei ist dieser allerdings nicht: Das Know-how der Älteren ist für Unternehmen von großer Bedeutung. Die fast 70-Jährige arbeitet daher freiberuflich als Expertin. Sie bekommt eine kleine staatliche Pension, leben könnte sie davon allerdings nicht. Mit Anfang 90 zieht sie in eine Senioren-WG. Ihre neue Aufgabe: Sie erzählt im angeschlossenen Kindergarten Geschichten aus ihrem Leben – gegen Kost und Logis.

Experten und Quellen: Johannes Kopf, AMS Österreich; Christiane Spiel, Bildungspsychologin; Andreas Salcher, Bildungsexperte; Gottfried Haber, Ökonom; Dénes Kucsera, Agenda Austria. Studien und Prognosen der Allianz Versicherung. Zukunftsreport 2016 des Zukunftsinstituts.

Die Hälfte der Neugeborenen wird hundert Jahre alt werden. Ein langes Leben, in dem sich viel ausgeht. Manches wird es aber in Zukunft nicht mehr geben. Und zwar:

Den einen Job fürs Leben Es zeichnete sich schon ab: Den Job fürs Leben gibt es nicht mehr. Zwar würden Firmen in ferner Zukunft gerne ihre Top-Mitarbeiter binden – sie sind rar. Aber Mitarbeiter wollen sich nicht festlegen. Sie leben die Abwechslung, wechseln zwischen Anstellung und Selbstständigkeit. Eine neue, lieb gewonnene Freiheit.

Fixe Arbeitszeiten Die Gewerkschaft musste irgendwann einsehen: Fixe Arbeitszeiten sind überholt. In Zukunft wird gearbeitet, wenn es Arbeit gibt.

Reichtum durch Arbeit Künftig verdient man ausreichend, aber nicht im Übermaß. Kein Unternehmen kann sich künftig noch Top-Gagen leisten. Nur ein paar wenige Superstars dürfen verlangen, was sie wollen.

Hierarchien Chef, Abteilungsleiter, Mitarbeiter – das war einmal. Künftig gibt es einen CEO, darunter ausschließlich Mitarbeiter. Sie formieren sich projektbezogen immer wieder in neuen Teams.

Eine gute Pension Oder Frühpension. Oder überhaupt eine Zeit des Nichtstuns wird kaum noch möglich sein. Zur niedrigen Sockelpension will man dazuverdienen, so lange es geht.

Ein eigenes Auto In den 2040ern sind Städte autofrei. Ein eigenes Auto hat niemand mehr, man borgt sich aus, was man braucht.

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