Ist da jemand, Studis?
Sie waren unzufrieden mit den Studienbedingungen, wollten politische und soziale Veränderungen – und sie gingen dafür auf die Straße: Die 68er-Generation, zumindest Teile davon, war bekanntlich laut, unbequem und engagiert. Es war die Zeit der großen Protestbewegungen. Auch in den nachfolgenden Jahrzehnten blieben die Universitäten immer wieder Ausgangspunkt für Aktionismus, ausgedrückt durch die Demos gegen die Einführung von Studiengebühren oder die Besetzung des Audimax in Wien und weiterer Hörsäle im ganzen Land 2009, die mit "unibrennt" in einer österreichweiten Bewegung gipfelten.
Von einer Bewegung ist heute nicht mehr viel zu spüren, die Stimmen der Jungen werden leiser. Magdalena Goldinger aus dem Vorsitzteam der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) beobachtet tatsächlich einen Rückgang beim gesellschaftlichen Engagement. Von Desinteresse wolle sie nicht sprechen, doch die Möglichkeiten, sich einzubringen, seien vielfältiger geworden. Gleichzeitig nehme das klassische Parteien-Interesse ab. Laut Jugendmonitor-Studie des Ministeriums für Jugend und Familie waren 2013 40 Prozent der 14- bis 24-Jährigen ehrenamtlich tätig, 35 Prozent davon in Vereinen und Organisationen.
Steigender Druck
Als großes Problem bezeichnet Goldinger die neue Studienarchitektur. Ein "starres Uni-System, in dem ich nicht mehr so frei wählen kann, welche Lehrveranstaltungen ich wann belege". Bei vielen Jungen überwiege die Sorge, wie es nach dem Studium weitergeht, es werde erwartet, Auslandssemester zu absolvieren und in Mindeststudiendauer fertig zu werden. Viel mehr Druck also. Eine kürzere Verweildauer an einer Hochschule führe zudem zu geringerem Engagement für politische oder gesellschaftliche Anliegen. Absolvierte man früher das gesamte Studium an einem Ort, schließen immer mehr das Bachelor-Studium an einer und das Master-Studium an einer anderen Institution ab. Wechselt gleich ein ganzer Jahrgang, fehlt der Wissenstransfer, zumal die meisten nicht gleich im ersten Jahr beginnen, aktiv zu werden. In Kontakt mit der ÖH kommen viele zwar bereits durch Angebote für Maturanten, Erstsemestrigen-Tutorien oder Kennenlerntage, richtig ernst wird es oft aber erst durch eine ihrer Kernaufgaben: "Anfangs fragen sich Leute oft, wozu sie uns brauchen, bis sie auf der Suche nach Beratung zu uns kommen", weiß Goldinger. Entsprechend wichtig sei es, ständig Präsenz zu zeigen. Auch in den sozialen Netzwerken, die jedoch eher geeignet seien, Leute für Projekte zu finden, als dafür, sie dort "einzufangen".
Auf eine große Bandbreite an Themen setzt die ÖH weiterhin, darunter der freie Hochschulzugang und Studienplatzbeschränkungen. Doch im Moment sind nur ein paar kleinere Events geplant. Auch die als Medienaktion veranstaltete "Reise nach Jerusalem" vor der juristischen Fakultät in Wien (siehe Bild oben) blieb eher symbolisch. Unter den Studierenden sei man bezüglich der Aktionen gegen die Zugangsbeschränkung weitgehend uneinig, sagt Goldinger. Bereits Inskribierte betreffen sie zudem nicht. Dass Proteste wie "unibrennt" heute undenkbar wären, würde sie so aber nicht unterschreiben: "Wenn ein Thema sehr viele betrifft, warum nicht? Der Protest muss aber von den Studierenden kommen, aus Erfahrung wissen wir, dass Aufrufe von oben eher wenig bringen."
Im Moment bündelt die ÖH ihre Kräfte für die Wahlen im Mai, mit dem vorrangigen Ziel, mehr Leute als beim letzten Mal – Wahlbeteiligung 2015: 25,9 Prozent – in die Wahlkabinen zu bringen. Darüber, wie man diese verstärkt zu Mitarbeit motivieren kann, scheint aber ein wenig Ratlosigkeit zu herrschen. Man wisse, dass es nicht einfach ist, die Jungen zu erreichen, überlege und suche Antworten. Dass vieles im Verborgenen, in den Gremien, passiert und eher abstrakt wirkt, erleichtert die Aufgabe nicht. Das verstärkt zu erklären, ist eine künftige Herausforderung.
Ich zuerst
Dass es um universitäre Themen erstaunlich ruhig geworden ist, nimmt auch Wolfgang Aschauer, assoziierter Professor für Soziologie an der Uni Salzburg, wahr. "Die meisten Studierenden stehen universitätspolitischen Anliegen eher gleichgültig gegenüber, weil das eigene Fortkommen prioritär ist", glaubt er. Zwar stünden den Jungen heute praktisch alle Möglichkeiten offen, gleichzeitig aber scheinen die Chancen, eigene Karriereziele realisieren zu können, zu sinken. So treffen ein erhöhter Zukunftspessimismus und Ängste, beruflich zu scheitern, auf das Gefühl, nicht mehr viel bewirken zu können und Systemzwängen zunehmend ohnmächtig gegenüberzustehen. Dieses in vielen westlichen Staaten vorherrschende gesellschaftliche Klima, vom Soziologen Hartmut Rosa als Gefühl einer "ziellosen Beschleunigung" bezeichnet, scheine sich nun vielfach auch im Studierendenmilieu festzusetzen. Eine Folge: "Man stellt die eigenen Karriereziele über alles andere", so Aschauer. Man ist dem Druck ausgesetzt, sich durch individuelle Leistungen in Szene zu setzen und aufzufallen, auch weil die Anforderungen an den Unis in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen seien und um bestimmte Berufsfelder ein größerer Wettbewerb herrsche. Doch eine egozentrische Haltung ist ein schlechter Unterboden für Solidarität und Engagement. Und wenn das Bedürfnis, während des Studiums auch den eigenen Horizont zu erweitern, jenem, es möglichst schnell abzuschließen, weicht, ist dafür nur wenig Platz.
Der ÖH würde Aschauer kein mangelndes Bemühen unterstellen, nimmt vielmehr die Unis mit ihrem "zunehmend starren Korsett" und auch den Wissenschaftsbetrieb in die Pflicht. Wissenschaft und Gesellschaft würden sich vielfach voneinander abkoppeln, hochkarätige Fachzeitschriftenartikel und Drittmittelakquise zählten heute deutlich mehr als Öffentlichkeitswirkung, Lehrengagement oder Nachwuchsförderung. "Aus meiner Sicht müsste man einen Weg finden, alle Tätigkeiten, für die eine Uni steht, gleichberechtigt wertzuschätzen", sagt er. Besonders die Sozialwissenschaften seien gefordert, relevante Themen am Puls der Zeit zu behandeln und ein ganzheitliches Bildungsideal zu vermitteln, "das interdisziplinäre Perspektiven wertschätzt und Raum für Kreativität und Eigeninitiative lässt". Denn das aktuell vielfach vermittelte spezialisierte Wissen sei für Alltag und Beruf oft nur begrenzt tauglich.
Protestpotenzial lebt
Trotz dieser Entwicklungen will der Soziologe nicht von allgemeiner Gleichgültigkeit oder gar einem "Baden in Selbstzufriedenheit" der Jungen sprechen. Gerade die große, nachhaltige Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen habe gezeigt, dass das Potenzial, etwas verändern zu wollen, besteht. Käme es in Österreich etwa zu einer größeren Arbeitsmarktkrise, gäbe es wohl lauten Protest. Wobei sich ein Teil eben in die sozialen Netzwerke verlagert hat, mit neuen Formen des Aktionismus. Hier gibt er aber zu bedenken, dass die dort ausgelebte "Vergemeinschaftung" rasch wieder verpuffen könne und oft auch nicht ernsthaft weiter betrieben werde. Viele Initiativen und Projekte seien dadurch sehr flüchtig geworden und würden nur wenig nachhaltige Veränderung auslösen.
Doch wenn selbst die, um deren Zukunft es geht, leise sind, der Geist der 68er längst verschwunden ist: Wie geht es weiter? Indem Zukunftskonzepte, die auf Inklusion und Zusammenhalt bauen, stärker und offensiver vertreten werden, sagt Aschauer. Noch könnte vor allem die breite gesellschaftliche Mitte das Ruder herumreißen und dabei sieht er die Jungen als Hoffnungsträger: "Die Haltungen der jungen Bevölkerung stimmen optimistisch, auch wenn sie derzeit nur begrenzt offensiv-aktionistisch nach außen getragen werden."
-Sabine Karrer
Wenn die Studierenden im Stadtleben still werden, drängen sich Fragen auf: Gibt es für sie keine Missstände mehr? Haben sie Scheuklappen auf, um effizient durchzustudieren? Oder sind sie schlicht lethargisch, was unipolitisches Engagement betrifft? Der KURIER hat sich an der Uni Wien und an der WU Wien umgehört:
Teresa, 20: „Die Leute haben einfach den Hörsaal besetzt, Transparente hochgehalten und skandiert“, erinnert sich Teresa zurück, als sie ihre große Schwester zur Audimax-Besetzung begleiteten durfte. Diese Szenen haben sie geprägt. „So war für mich Uni ab da: Freiheit. Bildung.“ Heute will Teresa selbst an die Uni, Medizin studieren. Im Sommer macht sie deshalb die Aufnahmeprüfung. Zum zweiten Mal. „Es ist schlimm. Früher hat jeder studieren können, was er wollte. Heute kommt man kaum rein“, erzählt sie. Sie fühlt sich mit ihrem Ärger über die Uni alleingelassen. Ihre Meinung dazu postet sie manchmal bei Facebook. „Was soll ich schon groß machen?“
Maximilian, 25: Maximilian studiert an der WU Supply Chain Management. Er führt das fehlende – zumindest öffentlichkeitswirksame – Engagement seiner Kommilitonen auf zu wenig Zeit im Alltag zurück. „Ich mache gerade meinen Master fertig, arbeite 20 Stunden nebenbei. Ein bisschen Freizeit will man dann auch noch haben.“ Rosig sieht er das Bildungssystem deshalb nicht. Grund zur aktiven Aufregung sieht er aber keinen. „Über gesellschaftspolitisches Engagement habe ich eigentlich noch nie länger nachgedacht. Vielleicht sind wir da alle einfach schon zu vergesellschaftlicht worden.“
Dominik und Armin, beide 21: „Wir haben zu viel Stress, als dass wir uns über Engagement Gedanken machen könnten“, sagen auch Dominik, der IBWL macht und Armin, Wirtschaftsrecht-Student. Sie sehen ihr Studentendasein aber auch entspannt – es gebe im Moment keine Probleme, gegen die es sich zu protestieren lohne.
Miriam, 19, Ebrahim und Resul, beide 20: Sie stehen bei bitterer Kälte vor der Uni Wien, lächeln, informieren geduldig, suchen Unterstützer für ihre Aktion „VIE.lfalt“, die Bildungsmöglichkeiten für geflüchtete Kinder und Jugendliche verbessern will. Die drei Studierenden setzen sich seit Jahren in der Schülerunion ein. Warum? „Um die Schüler schon früh zum Nachdenken über bildungspolitische Themen zu bringen“, sagt der Landesobmann der Schülerunion Wien, Ebrahim Radwan. „Denn der generelle Aktionismus ist weniger geworden“, beobachtete auch er. Man müsse Themen wieder öffentlicher diskutieren. Sein Credo dabei: „Kooperation vor Konfrontation.“
Hamed, 23: „Demos sind schön und gut. Aber der Aktionismus ist eine Zeitfrage“, findet Hamed, 23, der Politikwissenschaften an der Uni Wien studiert. Dass Unipolitik gemacht wird, hält er für wichtig, auch wenn er selbst nicht partizipiert. Vielleicht brauche er auch nur den richtigen Anstoß, sagt er. „Bevor ich am Handy zocke, gehe ich schon zur Demo.“
-Magdalena Vachova
Sektion ohne Namen. Die Jungen interessieren sich nicht für Parteipolitik? Ganz anders erlebt das die „Sektion ohne Namen“ der SPÖ. 100 aktive Mitglieder und um die 500 Sympathisanten zählt man dort, 80 Prozent sind unter 40 Jahre alt. Die Gründe, um sich dort zu engagieren, erklärt Sebastian Wintschnig, Student der Politikwissenschaft und seit Längerem aktiv dabei: „Eine offene Diskussionskultur, jeder, der sich mit den Werten identifiziert, ist bei Treffen und Veranstaltungen willkommen, niemand muss dafür Parteimitglied sein, kritische Stimmen sind erlaubt und sogar erwünscht.“ Als Kommunikationskanäle und zur Vernetzung setzt das junge Team ganz stark auf soziale Medien und dabei gleich auf viele: Facebook, Twitter, WhatsApp, Instagram und Snapchat. Weil der persönliche Austausch dadurch aber keinesfalls weniger ernst genommen wird, finden alle zwei Wochen Treffen in Wien statt. Wer will, kann sich außerdem in Fokusgruppen einbringen. Wintschnig ist unter anderem in der Gruppe Partizipation dabei, die sich neben der Parteistruktur auch mit der Frage beschäftigt, wie sich die Jüngeren wieder verstärkt zum Mitmachen motiviert lassen.
Infos: www.sektionohnenamen.org.
Figlhaus. Bereit sein für den Dialog. Das ist im Wesentlichen der einzige Grundsatz, der an der „Akademie für Dialog und Evangelisation“ im Wiener Figlhaus zählt. Dabei ist egal, aus welcher politischen Richtung jemand kommt oder woran er oder sie glaubt. Bei den Jungen scheint das anzukommen. Etwa 150 Studierende und junge Berufstätige nehmen an den angebotenen Lehrgängen zu den Themen EU, Politik, Kultur und Medien teil. Darüber hinaus engagieren sich um die 50 Studierenden in diversen Projektteams. Zum Beispiel für die monatlich stattfindende Veranstaltungsreihe „Open Figlhaus“ oder das Diskussionsformat „Talk“, bei dem Experten und Prominente mit unterschiedlichen Hintergründen und oft auch Weltanschauungen am Podium aufeinander treffen. Bisher zu Gast waren unter anderem die damalige Präsidentschafts-Kandidatin Irmgard Griss, Caritas-Präsident Michael Landau, Schauspieler Harald Krassnitzer, der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek und Autorin Vea Kaiser. Insgesamt erreichen die durch die jungen Menschen selbst organisierten Veranstaltungen und Projekte mehr als 1300 Menschen.
Infos: www.akademie-wien.at
BJV. Hier ein Selfie mit dem Bundespräsidenten, da ein Schnappschuss mit Innenminister Wolfgang Sobotka und noch ein Gruppenfoto mit Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin bei einer Diskussion in Alpbach – die Facebook-Seite der Bundesjugendvertretung (BJV) ist bunt, ein Event jagt das nächste, berühmte Persönlichkeiten stehen hier auf Bühnen und auf Augenhöhe mit den Jugendlichen. Die BJV ist präsent. „Wenn es um politische Themen geht, die junge Menschen betreffen, sitzen wir mit am Tisch“, beschreibt sie sich online selbst. 53 Mitgliedsorganisation engagieren sich bei der BJV in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gleichberechtigung und Jugend mit. Sie veröffentlichen Positionspapiere, stellen Forderungen, organisieren Netzwerk-Treffen und bringen Themen wie Flüchtlinge, Pensionen oder Arbeitsmarkt aufs Tapet. Über die Landesgrenzen hinaus: alle sechs Monate werden Jugenddelegierte der BJV zum Europäischen Jugendforum entsendet. Die Stimme der Jugendlichen in Österreich reicht aber noch weiter. Bis zur UNO-Generalversammlung. Jedes Jahr wird ein Jugenddelegierter ausgewählt, der hier teilnehmen darf. Infos: www.bjv.at.
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