Interview: Vom Top-Manager zum Greißler
Vier Uhr 15, Montag. Der Wecker läutet. Thomas Giehser ist 35, hat alles, wovon Karrieristen träumen. Ein Job mit Jet-Set-Feeling. Um 9.00 Uhr Meeting in Frankfurt, um 13 Uhr Lunch mit Kunden in London. 17 Uhr: Vertriebsmeeting in Basel . Und um 20.30 Uhr ein Dinner in Zürich.
Als jüngster Country-Manager von Pepsi-Cola war Thomas Giehser mit Mitte 30 für sechs Länder verantwortlich. Heute steht der 51-Jährige hinter der Theke in seiner 2010 eröffneten Edel-Greißlerei "Tee & Geschenke" in der Zieglergasse 4 in Wien. Und bietet einer fröhlichen Stammkundin um die 30 einen Walnuss-Cognac zum Verkosten an.
Giehser, der miserable Schüler ("zwei Mal durchgefallen"), gelernte Steuerberater und studierte Betriebswirt (in nur sechs statt acht Semestern bei einem Vollzeit- und zwei Nebenjobs) sagt über sich: "Von meinem Herzen und meiner Seele her bin ich Vertriebsmann." Schon als Neunjähriger verkaufte er im Schrebergarten Marillen.
In der Edel-Greißlerei findet der geneigte Gourmet Exklusives wie den Zauner-Stollen, Tee von Sonnentor, Gewürze von Zum Schwarzen Kameel, Pasta aus Italien. Als verduzter Kunde bekommt man prompt ein Glas Schlumberger Rosé überreicht und darf feine Pralinen verkosten. "Im Verkauf muss man verblüffen und überraschen", lächelt Giehser zufrieden. Vor 12 Jahren hat er sich bereits mit den "Bürodienstleistungen Giehser" selbstständig gemacht.
Wie wurde aus dem Pepsi-Manager ein Edel-Greißler?
Thomas Giehser: In der Midlife-Crisis macht jeder Blödsinn – der eine kauft sich eine Harley, ich habe "Tee und Geschenke" eröffnet.
Die Zeit als Pepsi-Manager?
Hat mir einen Riesen-Spaß gemacht. Ich hatte im Durchschnitt 160 Flüge im Jahr. Ich habe das genossen, habe im Flugzeug nie gearbeitet, sondern Champagner getrunken und geschlafen.
Warum waren Sie so karrieregeil?
Weil ich vor 40 Vorstand sein wollte. Ich dachte, was man bis 40 nicht schafft, schafft man nimmer. Meine unglücklichste Zeit war dann aber die als Vorstand, wo ich die Key Accounter ins Auto steigen und zu den Kunden fahren gesehen hab’. Und ich? Musste in die nächste Sitzung. Aber: Ich habe in meiner ganzen Laufbahn nie auch nur ein Wochenende gearbeitet.
Geht das?
Offensichtlich. Ich hatte im Vertrieb immer so große Erfolge, dass ich mich den Konzernregeln nie unterwerfen musste. Ich habe zu meinen Chefs gesagt, "ich werde den Profit nächstes Jahr verdoppeln. Wenn Sie wollen, dass ich ein Seminar besuche, nehme ich das um die Hälfte zurück. Also, was ist Ihnen lieber?"
Sie haben Ihre Chefs erpresst?
Absolut. Ich war völlig angstfrei. Das war auch kein Wunder: Ich hatte stets zwei Jobangebote in der Tasche – permanent eines von Coca-Cola. Mir war damals schon klar, dass ich mit 50 nicht mehr in einem Konzern sein wollte. Ich wollte nicht als Konzernnutte in der Gegend herumgeschickt werden. Darum hab’ ich mich auch mit 41 mit meiner Bürodienstleistungs-Firma selbstständig gemacht.
Was braucht’s im Vertrieb?
Ich habe 200 Vertriebsseminare besucht und gehalten. Vertrieb ist wie eine Beziehung: Man kann daran arbeiten. Aber ich sage: Wenn’s passt, dann passt’s. Ich hatte Mitarbeiter, die hatten zwei MBAs, sprachen sechs Sprachen. Das waren arme, ausdruckslose Nachplapperer. Man muss im Vertrieb authentisch sein.
Was raten Sie Jung-Managern in Konzernen?
Sie sollen nicht warten, bis sie von einer Outplacement-Firma zum Therapeuten geschickt werden. Sondern über Plan B nachdenken.
Ihr Montag heute?
Ist gemütlich. Ich gehe morgens zur Firma "Bürodienstleistungen", nachmittags schaue ich bei "Tee und Geschenke" vorbei. Zwei Mal in der Woche habe ich Lunch mit wichtigen Kunden.
Zur Person
Thomas Giehser war 20 Jahre in der Markenartikelindustrie tätig, war mit 27 Jahren jüngster Marketing-Chef bei Masterfoods, mit 31 jüngster Marketingdirektor für Pepsi-Cola International und danach als Country Manager für sechs Länder zuständig. Mit 39 Jahren wechselte er in den Vorstand der ARA AG. Vor 12 Jahren machte er sich mit "Bürodienstleistungen Giehser" selbstständig. 2010 gründete Giehser die Greißlerei "Tee und Geschenke" in Wien-Neubau. Ein zweites Geschäft wird gesucht. Der Unternehmer lebt in einer Patchworkfamilie mit fünf Kindern, einem Hund und zwei Katzen.
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