Homeoffice: Eine Gratwanderung für die Karriere

Produktiver, konzentrierter, schneller: Wie gut ist Homeoffice für die Karriere?
Kreativer, schneller, glücklicher: Alle sprechen über die Vorteile der Heimarbeit. Das Konzept hat aber auch Schattenseiten.

Individualisierung ist Teil unserer Kultur, auch in Unternehmen lässt sich eine Entkoppelung einzelner Mitarbeiter aus dem Kollektiv beobachten: Betriebe schicken ihre Angestellten nach Hause, gewähren mitunter großzügig Homeoffice-Tage. Spitzenreiter in Europa ist Island, hier arbeiten laut einer Studie der Universität Basel über 30 Prozent von zu Hause aus. Es folgen Luxemburg, Großbritannien sowie die skandinavischen Länder. Allesamt mit mindestens 20 Prozent „Heimarbeitern“.

Wegbleiben erlaubt

In Österreich sind es allen voran die Unternehmen Microsoft, T-Mobile oder Erste Bank und Bank Austria, die ihren Mitarbeitern mobiles Arbeiten anbieten. Zwar zeigt eine Umfrage von Marketagent.com, dass mit 74,4 Prozent der Großteil der Angestellten im Büro arbeitet, doch immerhin erledigen 28,1 Prozent der Österreicher ihre Arbeit fallweise auch von zu Hause. Manche Unternehmen kalkulieren Abwesenheiten von Mitarbeitern bereits in die Planung ihrer Büroflächen: Der Campus der Erste Bank am Wiener Hauptbahnhof bietet Raum für 4500 Mitarbeiter – die Plätze zum Arbeiten aber sind limitiert.

Homeoffice: Eine Gratwanderung für die Karriere

Heimarbeit ist angenehm - aber wie viel ist genug?

Arbeiten von Zuhause oder unterwegs

Man habe dabei nicht nur das mobile Arbeiten einkalkuliert, so HR-Leiterin Sabine Mlnarsky, sondern auch Krankheitsfälle, Urlaube oder Dienstreisen. In welchem Ausmaß und in welcher Regelmäßigkeit Homeoffice-Tage genutzt werden, sei unterschiedlich und unabhängig von der Funktion. „Bei T-Mobile Austria nützen etwa zwei Drittel der 2500 Mitarbeiter die Möglichkeit mobil zu arbeiten“, sagt Sabine Bothe, Leiterin der HR-Abteilung, „ohne Unterschied zwischen Frauen und Männern.“ Mobiles Arbeiten erspare den Mitarbeitern lange Anfahrtswege, sie können ihren Tag effizienter gestalten.

Vorreiter in Sachen mobiles Arbeiten ist in Österreich aber Microsoft. 300 Mitarbeiter gibt es mittlerweile in Wien, Berührungspunkte zwischen ihnen gibt es hauptsächlich im Netz. „Sie arbeiten im Homeoffice, im Kaffeehaus, Zug, im Auto oder im Büro“, erklärt HR-Verantwortliche Nina Schmidt. „Dass jemand aber die ganze Woche im Homeoffice bleibt, kommt ganz selten vor. Man hat ja das Bedürfnis, andere Menschen zu sehen, man vereinsamt ja sonst zu Hause.“

Der KURIER hat drei Frauen besucht – alle an einem anderen Punkt ihres Lebens und ihrer Karriere – und sie zu Chancen und Herausforderungen dieses Arbeitsmodells befragt. Wir haben ihre Porträts in diesen Text eingebaut. Zwischen diesen Porträts lesen Sie, warum sich Homeoffice auch nachteilig auf die Karriere auswirken kann.

Arbeitsplatz? „Küchenbar oder Couch“

Katja Edlinger ist Teilzeit-Managerin bei Microsoft. Den Job macht sie zwei Tage die Woche von zu Hause aus

Homeoffice: Eine Gratwanderung für die Karriere

Wenn sie nicht am Küchentresen tippt, arbeitet Katja Edlinger von der Coach aus.

Montags frei, dann abwechselnd einen Tag Homeoffice, einen Tag Büro: So organisiert Katja Edlinger, Teilzeit Teacher Engagement Manager bei Microsoft, ihren Berufsalltag. Seit 16 Jahren schon nutzt sie die Möglichkeit des „Mobile Office“, wie die Konzern-Mitarbeiter es nennen. „Es gibt mir gewissen Freiheiten“, erzählt sie. Auch etwa, um die Betreuung ihres 2,5-jährigen Sohnes zu organisieren.

Das Team, in dem Edlinger arbeitet, ist zu siebent. Zusammenkommen tun sie meist online – im Chat oder im Video-Meeting. „Ich finde es schon wichtig, dass wir uns auch persönlich treffen. Unsere Teammeetings haben wir immer freitags. Manchmal aber arbeite ich am Standort und chatte trotzdem mit den Kollegen – auch, wenn sie im Nebenraum sitzen.“ 

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Microsoft stellt das Equipment und notwendige Software

Im Büro gesund essen, Zuhause durcharbeiten

Edlinger sieht im Homeoffice fast nur Vorteile: „Ich glaube, ich bin effizienter.“ Kein zeitraubender Tratsch am Gang oder Großraumgewusel. Etwas, was anderen wohl abginge. Auf der Homeoffice-Minus-Seite verbucht sie: „Wenn ich im Büro bin, gehe ich zu Mittag in die Kantine oder kann in einem der umliegenden Lokale was Gesundes essen. Zuhause arbeite ich durch, das ist nicht so toll, wie ich es gern hätte.“ Nachsatz: „Wenn ich zwei Tage am Stück im Homeoffice bin, merke ich: Jetzt muss ich raus und unter Leute, mich normal anziehen, nicht wieder die Jogginghose.“

Homeoffice ohne Überprüfung

Die Möglichkeit eines funktionierenden Homeoffice steht und fällt mit der Firmenkultur, ist Edlinger überzeugt. Bei Microsoft wird das seit Jahren von der Führung vorgelebt. Zielvereinbarungen und ein Vertrauensvorschuss ermöglichen ein flexibles Arbeiten, sagt Microsoft-Österreich-HR-Chefin Nina Schmidt.

Eine schriftliche Vereinbarung, wer wie oft und wann Homeoffice machen darf, gibt es nicht. „Wir sind um einiges weiter, als dass uns Führungskräfte laufend überprüfen und wir Updates schicken. Ich denke auch, Verträge und Vereinbarungen rund ums mobile Arbeiten würden einen wieder einschränken“, sagt Katja Edlinger.Und wie bleibt man sichtbar? „Wenn etwas wichtig ist, rufe ich meine Chefin an, dafür muss ich nicht im Büro sein.“ Einzig: Netzwerken und Anschluss finden sei schwieriger im Homeoffice. Dass  sie von zu Hause arbeitend weniger  wahrgenommen würde oder schlechtere  Chancen hätte, glaubt sie nicht.

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Lesen Sie hier die Geschichte weiter.

Studien haben herausgefunden, man sei im Homeoffice produktiver, motivierter und konzentrierter. „Es ist nicht nur personenabhängig, sondern auch vom Job“, sagt Arbeitspsychologin Michaela Höfer. „Je herausfordernder und geistig anspruchsvoller der Job ist, desto dankbarer sind die Menschen, wenn sie mit Homeoffice mehr Handlungsspielraum bekommen.“

Aber, es gibt ein paar Aber: Daheim fehlt der Kaffee-Klatsch mit Arbeitskollegen oder der informelle Plausch mit dem Chef in der Mittagspause. Dafür frisst sich die Arbeit mehr und mehr ins Private: Die Ecke im Wohnzimmer wird zum Arbeitsplatz, anstatt eines bequemen Sessels schafft man sich einen ergonomischen Schreibtischstuhl. Nur, um besser arbeiten zu können.

Weniger Anerkennung, seltene Beförderung

Wer auf Dauer zu häufig nur in den eigenen vier Wänden arbeitet, läuft außerdem Gefahr, dass seine Leistung übersehen wird – nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn. Spannende Erkenntnisse zu Schattenseiten von Homeoffice liefert eine 2015 veröffentlichte Studie der Stanford Uni. Die Autoren kommen hierin zum Schluss: Bleibt man oft zu Hause, stagnieren auf lange Sicht Gehalt und Karrierechancen. Die Mehrleistung der Probanden wurde von der Führungskraft schlicht nicht wahrgenommen.

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Organisationsforscher Dan Cable von der London Business School. Angestellte, die nicht physisch am Firmenstandort sind, bekommen, vereinfacht gesagt, geringere Gehaltserhöhungen, werden seltener befördert und bekommen auch schlechtere Leistungsbeurteilungen. Auch, wenn sie von daheim aus möglicherweise noch mehr als andere arbeiten. „Man muss jedenfalls aufpassen, dass die eigene Arbeitsleistung nicht geschmälert wird und es nicht heißt, das war eh nur Homeoffice-Arbeit’“, betont Arbeitspsychologin Höfer.

Lesen Sie hier ein weiteres Porträt. Und weiter unten, was Forscher über die Auswirkung vom Zuhausebleiben auf die Beförderung herausgefunden haben.

Selbstständige suchen Austausch, kein Homeoffice

Rebecca Vogels ist Einzelunternehmerin und arbeitet lieber unterwegs, im Café und unter Leuten

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Wohnzimmer-Atmosphäre, aber nicht die eigene: Rebecca Vogels findet sie im Coworking Space

Es helfe niemanden, wenn Leute nur pünktlich zur Arbeit erscheinen, sondern es gehe darum, was sie am Ende liefern, findet Rebecca Vogels, Gründerin des Start-ups All of the Above und selbstständig. Klassische Büro-Arbeit lehnt die Unternehmerin ab. „Es gibt Leute, die dieses geregelte Arbeitsverhältnis brauchen. Ich bin da anders. Ich brauche ständig andere Arbeitsräume um kreativ und produktiv zu sein.“

Rebecca Vogels Arbeit dreht sich  um das Ausreifen neuer, innovativer Ideen, sie entwickelt Branding-Strategien die sie im Silicon Valley erlernt hat, für österreichische Unternehmen. Dafür sucht sie Umgebungen mit regem Austausch und findet sie in Kaffeehäusern und den zahlreichen Coworking-Spaces, die überall in Wien aufpoppen. Homeoffice-Arbeit ist für sie damit keine Option. Lediglich für rein administrative Arbeiten bleibt sie zu Hause.

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"Brauche ständig andere Arbeitsräume um kreativ und produktiv zu sein.“

Arbeit ohne Adresse und Büro

Das Arbeitsumfeld ist für sie das A und O. „Es beeinflusst, wie wir denken, fühlen oder arbeiten“, findet die Unternehmerin. Vielleicht ist sie auch deswegen ein großer Fan von sogenannten „Walking-Meetings.“ Ebenfalls ein Trend aus den USA: Besprechungen beim Spazieren abhalten. Einmal sei sie mit einer Investorin sogar durch Secondhand-Läden in San Francisco gestreift und habe währenddessen für ihr damaliges Start-up gepitcht. 

Für ihr eigenes braucht Rebecca Vogels keine fixe Adresse, kein Büro. Für sie sei es wichtig, unter Leute zu kommen, denn auch reine Zufalls-Begegnungen hätten ihr Aufträge und Zusammenarbeiten beschert. Aber: Freizeit und Arbeit verschwimmen, gibt sie zu. Sie schreibt Bücher, Kolumnen, gibt Kurse auf Unis, berät Unternehmen, hält Reden. „Ich mache einfach alles gern und für mich ist es eine Herausforderung, einfach mal mit meinem Hund spazieren zu gehen.“

Hier lesen Sie die Geschichte weiter.

Homeoffice festigt Rollenbilder

Homeoffice schafft aber auch Abhilfe. Eltern können mit dieser Option einfacher die Kinderbetreuung regeln, Kinder stressfreier in den Kindergarten oder die Schule bringen. Und wer sich den Weg ins Büro spart, kann sich den Tag freier einteilen und gewinnt am Ende auch mehr Freizeit. Tatsächlich zeigt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, dass sich Mütter werktags bis zu drei Stunden mehr um ihre Kinder kümmern. Sie zeigt aber auch: Flexibles Arbeiten zementiert traditionelle Rollenbilder.

Sind es bis zu 21 Stunden Kinderbetreuung bei Müttern, kommen Väter auf 13 Stunden. Unabhängig vom Homeoffice: freie Zeiteinteilung führt bei Vätern nicht zu mehr Zeit mit den Kindern, sondern zu mehr Überstunden. Väter kommen im Homeoffice im Durchschnitt auf sechs Überstunden pro Woche, Mütter auf vier. Kurzum: Mit dem Thema Homeoffice wird ein riesiges Fass geöffnet. Es finden sich ebenso viele Studien, welche die Vorteile der Heimarbeit hervorheben, wie Erhebungen, die das Gegenteil belegen.

Heimarbeit oft Vereinbarungssache

Die Kontroversen zeigen sich auch an einem gern zitierten Beispiel: Marissa Mayer, ehemalige Chefin des IT-Konzerns Yahoo, fiel 2013 mit der Einführung von Tele-Arbeit auf, zog ihre Entscheidung aber wieder zurück und beorderte sämtliche Homeoffice-Arbeitenden zurück ins Unternehmen. Begründung? Für gute Zusammenarbeit brauche es Präsenz.

In Deutschland wiederum will man ein Recht auf Homeoffice durchsetzen, in den Niederlanden gibt es das seit 2015. Man wolle weg von der Präsenzkultur in Firmen. In Österreich ist Homeoffice immer noch Vereinbarungssache mit dem Chef, mitunter nicht einmal schriftlich.

Arbeitsrechtler Martin Risak von der Uni Wien sieht hier Verbesserungspotenzial: Klare Richtlinien. „Empfehlenswert sind Betriebsvereinbarungen, die wesentliche Punkte wie Arbeitszeit und -erfassung, Erreichbarkeit und die Beistellung von Betriebsmitteln festhält.“ Dies sei eine gute Basis für Unternehmen und Mitarbeiter für eine individuelle Vereinbarung zu Homeoffice-Tagen.

Hier das letzte Porträts. Am Ende des Textes finden Sie steuerliche Tipps zum Homeoffice.

„Ich sitze auf keinen Fall im Pyjama vorm Computer“

Homeoffice ist für Julia Sokic ein Arbeitstag wie jeder andere – nur mit dem Privileg, zu Hause zu sein

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Präsenz zeigen, bleibt nach wie vor wichtig: Julia Sokic arbeitet nur anlassbezogen im Homeoffice

„Ich bin da eher verhaltener, was Homeoffice-Arbeit angeht. Mir persönlich ist es wichtig, dass ich vor Ort im Team bin.“ Julia Sokic arbeitet in der Forderungsmanagement GmbH des Kreditschutzverbands 1870 , ist Teamleiterin und Mitglied der Geschäftsführung. Sie findet, ein Tag in der Woche im Homeoffice reicht. Zudem sei sie in ihrer Position oft in Termine eingebunden und nutzt gern die Zeit im Büro, um Präsenz zu zeigen und um am Geschehen dranzubleiben.

Die Leitung des fünfköpfigen Teams im Produkt- und Prozessmanagement hat sie seit über zehn Jahren inne, seit knapp sechs Jahren nutzt sie auch Homeoffice-Arbeit. Fixe Tage hat Julia Sokic nicht, es ist immer anlassbezogen. Wenn Julia Sokic ihren Laptop in den eigenen vier Wänden aufklappt, sitzt sie meistens an anspruchsvollen Aufgaben, wo sie Ruhe benötigt und nicht abgelenkt werden will.

Räumliche Trennung, Kleidung bleibt gleich

Um Arbeit und Wohnen zu trennen, hat sie sich einen eigenen Arbeitsraum eingerichtet.  „Ich beginne den Tag, als ob ich ins Büro gehen würde. Ich ziehe mich  normal an, keinen Blazer, sondern mehr casual, aber ich sitze auf keinen Fall im Pyjama vor dem Computer.“

Das, was viele Studien schon gezeigt haben, nämlich dass im Homeoffice tendenziell länger gearbeitet wird, bestätigt auch Julia Sokic. Sie arbeite meistens länger, da sie viel konzentrierter sei. „Im Büro lenken mich beiläufige Gespräche oder Telefonate schon ab.“

Also von wegen mehr „Home“ als „Office“: „Das stimmt bei mir so nicht, es ist ein ganz normaler Arbeitstag, nur dass ich zu Hause bin.“ Man müsse aber schon auf den Arbeitstyp schauen, jedem traue sie diese Heimarbeit nicht zu. „Wer dazu neigt, die Zeit zu übersehen und sich in Themen verbeißt, arbeitet am Ende die ganze Nacht und dann kann es zur Belastung werden.“

 

Steuertipps fürs Homeoffice

Homeoffice als Mittelpunkt: Bei manchen Berufen geht der Gesetzgeber davon aus, dass Homeoffice den Mittelpunkt der Tätigkeit darstellt, andere werden generell von der steuerlichen Abzugsfähigkeit ausgeschlossen. Ist man genau dazwischen, wird man vom Finanzamt zuerst eingehend geprüft.

Getrennter Arbeitsbereich: Um Kosten als Ausgaben absetzen zu dürfen, ist ein separates Arbeitszimmer notwendig, das vom privaten Wohnraum abgegrenzt ist und auch keinen Raum für private Tätigkeiten bietet. Ein Schreibtisch im Schlafzimmer gilt also nicht.

Kostenberechnung: Üblicherweise berechnet man die Höhe der Kosten im Verhältnis zur Gesamtfläche der Wohnung, hinsichtlich Miete und Betriebskosten. Bei einer 100 m² großen Wohnung mit einem  Büro von 20 m², entspricht der Büro-Anteil 20 Prozent. Das und anteilige Betriebskosten werden dann vom Mietpreis abgezogen.

Abzugsfähige Kosten: Wer ein Arbeitszimmer hat, kann anteilige Mietkosten, Betriebskosten, Finanzierungskosten oder Kosten für die Einrichtung angeben. Arbeitsmittel wie Computer, einschließlich Computertisch, Kopierer, Faxgeräte, Drucker und EDV-Ausstattung sind immer abzugsfähig.

 

 

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