Startup-Investor: "Unternehmertum liegt den Österreichern nicht"
Hansi Hansmann ist ein großer Name in der Start-up-Welt. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa angesehen. Der ehemalige Pharma-Unternehmer ist seit zehn Jahren in Österreich als Business Angel, Investor, Freund und Förderer der jungen Start-up-Szene mit dabei. Sein aktueller Befund lässt aufhorchen. Und er ist nicht gut.
"Wir reden zu viel und tun zu wenig", sagt Hansi Hansmann. In den vergangenen Jahren hätte man die Chance gehabt, eine pulsierende Start-up-Szene in Österreich aufzubauen. Alle Voraussetzungen waren da. Die geografische Lage des Landes, die Hauptstadt Wien mit ihrer Nähe zu den CEE-Ländern – "aufgelegt, man hätte es nützen müssen." Hat man nicht. Jetzt ziehen uns andere Länder davon. Und Wien verschwindet mehr und mehr aus der Start-up-Welt.
KURIER: Die Start-up-Szene in Österreich ist ruhig geworden. Was ist passiert?
Hansi Hansmann: Es ist Fakt, dass 2019 in Österreich weniger in Start-ups investiert wurde – kein gutes Zeichen. Es schläft irgendwie ein. Wir verlieren.
Andere Länder wachsen auf dem Sektor viel stärker als wir.
Ja, man muss sehen, was rundherum passiert. Und da bin ich wirklich entsetzt, weil praktisch überall in diesem Bereich, der für eine Wirtschaft heute so wichtig ist, alle enorm viel schneller gewachsen sind als wir.
Wir reden von Europa oder dem Rest der Welt?
In den USA ist das nochmals eine ganz andere Geschichte. In Europa haben sich einzelne Zentren für Start-ups entwickelt. Da sind wir in Österreich ziemlich schlecht, sprich: Wir sind nicht dabei. Das ist bitter, denn Start-ups sind die ideale Kombination von Unternehmertum und Innovation. Die Treiber einer Wirtschaft. Sie haben Vorbildwirkung und sind wichtig für die Wirtschaftsleistung und für die Schaffung von Arbeitsplätzen in einem Land.
In einem Blog schreiben Sie, wir sind nicht einmal zweite Liga, würden um den Abstieg kämpfen.
In Europa spielen London, Paris und Berlin in der ersten Liga. Dann gibt es eine zweite Liga, die sich enorm entwickelt hat, dazu gehören Schweden, Spanien und auch Portugal. In Schweden gab es im vergangenen Jahr 130 Series-A-Finanzierungen – also Investitionen von fünf bis acht Millionen in einzelne Start-ups, die bereits gezeigt haben, dass sie funktionieren. Die Schweiz hatte 140, Spanien 100. Bei uns? Gibt es drei, vielleicht vier solcher Finanzierungsrunden.
Warum ziehen uns diese Länder davon?
Weil dort investiert wird. Weil es eben nicht von selbst funktioniert. In Österreich sind wir leider auch nicht die geborenen Unternehmer, wir scheuen das Risiko. Das hat mit Bildung zu tun und mit dem Image von Unternehmern.
Was läuft da falsch beim Österreicher?
Wir sind eine saturierte Gesellschaft. Es geht den Leuten sehr gut. Da fehlt der Antrieb. Wohl mit ein Grund, warum aus Osteuropa viel kommt: Dort gibt es viele Ideen und Menschen, die etwas erreichen und bewegen wollen. Die haben dort gelernt, für etwas zu kämpfen.
Den Schweizern und den Schweden geht es auch gut, sie haben aber trotzdem eine bessere Start-up-Szene.
Das ist tatsächlich ein guter Punkt. Das Bild des Unternehmers ist aber in beiden Ländern besser. Der Unternehmer gilt bei uns als Ausbeuter, Neid und Missgunst regieren. Die Leute verstehen nicht, dass wir ohne Unternehmer keine Wirtschaft haben.
Wien ist die größte Uni-Stadt Europas, unheimlich viele junge Menschen leben hier. Warum entsteht daraus nicht mehr?
Die Ausländer, die hier studieren, gehen wieder. Und die Inländer werden keine Unternehmer. Das liegt den Österreichern einfach nicht. Man könnte es lernen, es in der Schule und an der Uni zum Thema machen, aber dafür müsste man gezielte Maßnahmen setzen.
Sind die Deutschen anders? Oder ist nur die Start-up-Stadt Berlin eine Besonderheit?
Berlin ist anders. Ein Schmelztiegel, wo enorm viel entstanden ist. Nach der Wende musste man sich in Berlin etwas überlegen. Die Politik hat erkannt, dass das Start-up-Thema viel zum Guten verändern kann.
Die Politik kann es also möglich machen. Ist es aber auch ihre Aufgabe?
Ja, selbstverständlich! Weil es darum geht, Dinge in Bewegung zu setzen, die dann ihre eigene Dynamik bekommen. Man darf nicht warten, bis das von selbst vielleicht irgendwann passiert.
Was haben die Vorzeigeländer gemacht?
In Portugal zum Beispiel hat man vor ein paar Jahren das Start-up-Festival "Web Summit" von Dublin nach Lissabon geholt, indem man den Veranstaltern zehn Millionen Euro gezahlt hat. Mit dem Festival sind auch die Leute und die Start-ups gekommen. Und es gibt viel politische Unterstützung im Land.
In Österreich hatten wir das Pioneers Festival.
Ja, das hatten wir einmal. Es war einzigartig. Zwischen 2012 und 2015 war es das aufregendste und coolste Start-up-Festival in ganz Europa. Aber wir haben es verhungern lassen. So ein Festival kann man nicht wirtschaftlich betreiben, es kostet eine bis eineinhalb Millionen Euro. Statt dass die Stadt Wien und oder die Republik gesagt hätten, wir wollen das weiter haben, hat man es eingehen lassen. Keiner wollte Geld dafür in die Hand nehmen.
Andere Dinge sind aber entstanden: Inkubatoren, Co-Working-Spaces, TV-Shows. Und jetzt?
Tja. Jetzt geht es um viel Geld, um hohe Investitionen. Und um das Mindset der Leute. Das muss man zusammenbringen, sonst wird das nichts. Wir tun zu wenig und denken nicht groß genug. In Israel hat man diese Dinge in Bewegung gesetzt. Mit dem Ergebnis, dass es 400 Venture Capital Firmen gibt. In Österreich: drei oder vier.
Eine Zeit lang sah es so aus, als könnten wir Wien als spannende Start-up-Stadt für die Länder in Osteuropa positionieren.
Das wäre es auch gewesen. Es war aufgelegt für uns. Die Menschen aus Osteuropa haben danach gehungert, zu uns zu kommen. Das war unsere Generationenchance – und die haben wir verschlafen. Wir haben es total versäumt. In CEE gibt es eine andere Unternehmer-Agilität, eine andere Kampfbereitschaft, eine andere Energie. Aber kein Geld. Man hätte die Menschen in Bussen zu uns bringen müssen, hätte ihnen alles geben sollen – Wohnung, Firma, Startkapital.
Zu wenig Willkommenskultur.
Keine. Man will die Leute nicht hierher holen. Schon gar nicht aus Belgrad oder Bulgarien. Dabei gibt es in Belgrad eine grandiose TU mit viel Know-how. Und wir? Wir haben die Rot-Weiß-Rot-Karte, eine Missgeburt von Anfang an, die es verhindert, dass man Menschen zu uns holen kann.
Im neuen Regierungsprogramm sind Investitionen für den Start-up-Bereich aber berücksichtigt.
Ja. Mit einem Hundert-Millionen-Euro-Fonds. Das macht mich sprachlos. Das ist nichts, überhaupt nichts. Es ist wirklich lächerlich. Wenn da nicht mindestens eine Null mehr dranhängt, brauchen wir gar nicht weiter darüber nachzudenken. Wir haben den Gründerfonds und den Mittelstandsfonds, mit zusammen 140 Millionen Euro. Das läuft bald aus. Der neue Fonds wäre also kleiner als das, was wir bisher hatten. Wir müssen uns konkret die Frage stellen: Wollen wir in der Zukunft da mitspielen? So, wie wir jetzt tun, wird es nämlich garantiert nichts.
Wie lange haben wir das alles schon verschlafen?
Sicher fünf bis sechs Jahre.
Ist es jetzt zu spät?
Ja.
Warum?
Weil die Musik woanders spielt. Es gibt keinen Grund, nach Wien zu gehen. Bei der Erstfinanzierung sind wir ganz gut, es ist relativ leicht, anfangs zu ein bisschen Geld zu kommen. Vielleicht ist es sogar zu leicht. Dann aber wird es traurig. Die Anschlussfinanzierungen gibt es nicht. Also gehen die guten Start-ups weg oder sie gehen von Anfang an woanders hin.
Was müsste sich noch ändern?
Es müsste endlich eine neue Gesellschaftsform geben: Die GmbH ist zu schwerfällig, sie ist eine typische Familiengesellschaft, wo man nicht viel ändern darf. In Start-ups ändert sich aber ständig etwas. Man bräuchte so etwas wie eine kleine AG.
Haben das die Deutschen?
Nein. Die Deuschen sind auch schlecht. Ähnlich behäbig wie wir. Aber mit mehr Geld. Und sie können schneller Arbeitskräfte aus dem Ausland holen, das macht schon einen großen Unterschied.
Paris hat auf dem Start-up-Sektor stark aufgeholt. Weil Frankreich das Thema zur Chefsache gemacht hat, Präsident Macron sich kümmert.
Ja. Dort holt man sich ausländische Start-ups ins Land. Es geht um genau diesen Wettkampf: sich die Besten zu holen.
Johann "Hansi" Hansmann (Jahrgang 1951) studierte Wirtschaft in Wien und war jahrzehntelang in der Pharmabranche in Österreich, Deutschland, UK und Spanien tätig. Er baute eigene Pharmafirmen auf, übernahm durch ein Management-Buyout eine Fabrik und verkaufte alles im Jahr 2003, um von Spanien wieder nach Österreich zu siedeln.
Seither hat der leidenschaftliche Radfahrer sein Leben den Start-ups verschrieben. Als Business Angel und Investor ist er aktuell an 34 Start-ups beteiligt, er gilt als einer der aktivsten und erfolgreichsten Business Angels in Europa. Seine erfolgreichsten Exits der vergangenen Jahre: Runtastic, Shpock und MySugr. Volumen der Firmenverkäufe: jeweils mehr als 200 Millionen Euro.
Kann man das Ruder bei uns noch rumreißen? Noch schnell Maßnahmen setzen, um als Standort wieder dabei zu sein?
Klar könnte man die Dinge verbessern. Ich habe die Hoffnung, dass die Regierung mehr tut. Es ist aber eine Frage der Priorität: ob es passiert und wann es passiert. In drei, vier Jahren ist alles vorbei. Dann sind wir auf dem Start-up-Sektor tot.
Sie hängen mit 34 Start-ups auch persönlich drin.
Stimmt. Meine Unternehmen laufen, der Rest könnte mir eigentlich wurscht sein. Es tut mir persönlich aber weh, weil wir Business Angels seit Jahren sagen: macht mehr auf dem Sektor, ändert die Rahmenbedingungen, lasst uns das Land attraktiver machen. Seit Jahren predigen wir das, immer dieselbe Leier. Ohne Erfolg.
Wie ist die Stimmung in der Szene?
Die Luft ist merklich draußen. Voriges Jahr wurde weniger investiert, das ist ein untrügliches Zeichen und schlecht. Auch die Anzahl der Exits ist sehr gering. Meine drei großen Exits sind immer noch die größten, die wir in Österreich je hatten. Solche Erfolgsmeldungen wären ungemein wichtig, weil damit etwas Neues entsteht.
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