"Große Gehaltsunterschiede sind schwer zu rechtfertigen"

Nina Verheyen 20.03.2017 © Goetz Schleser
"Wo woar mei Leistung?" hat ein österreichischer Politiker einmal gefragt. Nina Verheyen, Historikerin der Uni Köln, über die Leistungsgesellschaft, Leistungsträger und das Team, welches hinter jeder individuellen Leistung steht.

KURIER: Frau Verheyen, Sie haben zum Thema Leistung geforscht und nun ein Buch darüber geschrieben. Was war der Anlass?

Nina Verheyen: Mir ist im Laufe des Projekts aufgefallen, dass es kleine Pointen gibt, die man in die verfahrene Debatte um die Leistungsgesellschaft einbringen könnte.

Nämlich? Wie hat sich der Leistungsbegriff verändert?

Leistung wurde zunächst als physikalische Größe – als Körper, der Energie umwandelt – gesehen. Der Mensch erschien in Verlängerung dieser Perspektive als eine Art Motor, der über eine bestimmte Arbeitskraft verfügt. Noch älter ist der juristische Leistungsbegriff, in dem Sinne, dass Person A Person B verspricht, eine Leistung zu erbringen. In beiden Fällen wird suggeriert, dass das Individuum eine Leistung ganz alleine erbringt und das ist im sozialen Sinne zu kurz gegriffen.

Was ist gute, was schlechte Leistung? Und wer definiert das?

"Große Gehaltsunterschiede sind schwer zu rechtfertigen"
Nina Verheyen 20.03.2017 © Goetz Schleser

Individuelle Leistungen sind immer abhängig von der Bewertung durch andere – und diese ist immer subjektiv. Sie könnte auch ganz anders ausfallen oder die Kriterien könnten sich verschieben.

Wir werden von klein auf so sozialisiert, dass man sich durch Leistung definiert. Was bewirkt das?

Das setzt die Menschen stark unter Druck. Dabei ist man nie alleine für seine Leistung verantwortlich. Und zwar, weil Arbeitsvorgänge stark vernetzt sind. Das, was im konkreten Fall als Leistung gilt, ist stark von der Perspektive abhängig. Steht Leistung im Erwerbsleben für Geschwindigkeit? Gründlichkeit? Originalität? Oder den richtige Zeitpunkt, um nach Hause zu gehen?

Die Leistung, die man erbringt, wird ständig bewertet. Was macht das mit uns?

Das löst sehr viel Angst aus. Zum Beispiel, dass Mitarbeiter Überstunden machen sollen, das sollte diskutiert werden. Denn auch die Zeit, die man mit der Familie verbringt, sollte als Leistung gewertet und anerkannt werden. Das gilt erst recht für die Pflege eines Angehörigen. Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass der Leistungsbegriff sozialer wird.

Bedeutet das übersetzt, dass Arbeitgeber diese Art des Leistungsbegriffs in die Arbeitsverträge aufnehmen sollten?

Das wäre wohl zu viel verlangt. Aber Arbeitgeber sollten verinnerlichen, dass Mitarbeiter auch Zeit für ihre Kinder brauchen und um sich selbst auszuruhen, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Das würde ich mir wünschen. Denn das kann man ja auch medizinisch begründen und Arbeitgeber sollten auch ein Interesse am langfristigen Erhalt ihrer Arbeitskräfte haben – ein Argument, das übrigens schon vor über hundert Jahren entwickelt wurde.

Was bleibt bei einer Leistungsgesellschaft, bei der Macht, Einkommen und Erfolg die persönlichen Leistung definiert, außen vor?

Der Begriff der Leistungsgesellschaft wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt und dann sehr unterschiedlich gefüllt. Gängig ist unter anderem das Verständnis im Sinne einer Gesellschaft, die nach maximaler Produktivität strebt und Bürgerinnen und Bürgern dafür verspricht, Status an die Leistung zu binden. Das Problem: Arbeitsvorgänge sind zu stark vernetzt, um Einzelleistungen exakt ausmachen zu können. Das kann man zum Beispiel bei der Produktion eines Films sehen. Manche Mitarbeiter verdienen viel, andere fast gar nichts. Aber sie alle sind letztlich wichtig für das Entstehen des Films. Sehr große Einkommensunterschiede sind vor diesem Hintergrund schwer zu rechtfertigen.

Was ist Ihr Ziel?

Wir sollten Leistung sozialer definieren und sensibler mit Leistungszuschreibungen umgehen. Mir geht es darum, dass auch das Team beachtet wird, dass hinter jeder Leistung steht und nicht nur der angebliche " Leistungsträger".

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