Muss uns Arbeit wirklich glücklich machen?
Wir haben schon von ihnen gehört: Von der ehemaligen Top-Managerin, die jetzt Schmuck herstellt und verkauft. Vom renommierten Herz-Chirurgen, der sein Hobby zum Beruf machte und Yogalehrer wurde. Von der Unternehmensberaterin, die nun digitale Nomadin ist und bloggt.
Sie alle sind glücklicher, weil sie ihrer Bestimmung gefolgt sind und sich selbst verwirklicht haben. Diese Geschichten berühren uns, denn das Bedürfnis, Glück zu erfahren, ist tief ins uns verankert. „Es ist ganz natürlich, dass wir im Leben Wertschätzung, Freude und Zufriedenheit suchen“, sagt Manfred Rauchensteiner, der sich als Glückstrainer beruflich mit dem Thema auseinandersetzt.
Dasselbe gelte auch für die Berufswahl. „Normalerweise wählt man einen Job, der einen interessiert und seinen Fähigkeiten entspricht. Arbeitszufriedenheit spielt eine große Rolle für das persönliche Glück. Arbeitszeit ist Lebenszeit und diese will man gut verbringen.“
Geld macht nur bedingt glücklich
Wie ein Arbeitsplatz, der Menschen glücklich macht, ausschauen soll, wurde in vielen Studien abgefragt. Wer selbstbestimmt und in einem angenehmen sozialen Umfeld arbeiten kann, sich wertgeschätzt fühlt, erlebt die Arbeit eher als freudvoll, fasst Arbeitspsychologin Christine Hoffmann zusammen.
Geld, auch das ist belegt, macht nur bedingt glücklich. Zwar steigt mit der Aussicht auf eine Gehaltserhöhung die Zufriedenheit – doch als langfristige Motivation taugt sie nichts, wenn man sich in seinem Job unwohl fühlt.
„Wir als Besitzer eines Familienbetriebs stehen immer eng mit unseren Mitarbeitern und den Gästen in Kontakt. Es würde nicht funktionieren, wenn wir in der Arbeit nicht glücklich sind. Für mich ist Arbeit ein wesentlicher Teil meines Lebens und mein Beruf einer der Schönsten auf der Welt.“
Peter Pichler, Hotelier
„Der Spaß an der Arbeit und die Möglichkeit, sich selbst zu entfalten, sind für mich zentrale Aspekte. Gleichzeitig ist eine finanzielle Absicherung natürlich unerlässlich. Da ich meinen Job aktuell neben dem Studium verrichte, ist es mir derzeit am wichtigsten, bei der Arbeit so viel wie möglich zu lernen und für meinen weiteren Karriereweg mitzunehmen.“
Alexander Winkler, Architekturstudent
„Die Arbeit nimmt einen großen Teil unseres Lebens ein. Deswegen sollte sie auch Zufriedenheit geben. Mich persönlich macht meine Arbeit glücklich. Allerdings glaube ich, wenn man das Lebensglück nur in der Arbeit sucht, wird man es nicht finden.“
Elisabeth Schiller, Volksschullehrerin
„Arbeit zu finden, die einen finanziell absichert und Raum für persönliche Entfaltung gibt, ist in unserem jetzigen Wirtschaftssystem schwer. Im Hinblick auf steigende soziale Ungleichheiten und die Klimakrise halte ich das Etablieren neuer Konzepte wie die 4-Tage-Woche für wesentlich.“
Xenia Miklin, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Arbeit soll also kein bloßer Broterwerb sein. Sie soll Freude machen, abwechslungsreich sein und idealerweise sinnstiftend. Sie soll soziale Teilhabe, Wertschätzung und Anerkennung ermöglichen. Es gilt fast als gesellschaftlicher Konsens, dass nur, wer diese Kriterien in der Arbeit wiederfindet, auch glücklich wird. Muss Arbeit also glücklich machen?
„Nein, muss sie natürlich nicht“, sagt Hoffmann. Es gebe auch andere Bereiche im Leben, die zum Wohlbefinden beitragen. „Aber wir sollten uns bewusst sein, dass wir etwa zwei Drittel unseres Lebens mit Arbeit verbringen. Wenn wir in dieser Zeit unzufrieden ist, ist das schade.“
Arbeit ist ein „geflügeltes Wort“ schreibt die Historikerin Andrea Kolmosy in ihrem Buch „Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert.“ Jeder kennt Arbeit, weiß, was darunter zu verstehen ist. „Bei näherem Hinsehen erweist sich Arbeit jedoch als ein wahres Chamäleon.“ In jeder Epoche wurde der Begriff anders verstanden.
Von der Antike bis ins frühe Mittelalter wurde Arbeit noch als notwendiges Übel angesehen, welches lediglich dem Überleben diente und die Muße ermöglichte.
In der Antike war körperliche Arbeit allerdings nicht erstrebenswert. Wer für Lohn arbeiten ging, war für Philosophen wie Aristoteles unfrei, geachtet wurde nur geistige Arbeit.
Diese Haltung änderte sich erst mit Martin Luther im 16. Jahrhundert. Arbeit wurde nicht mehr als bloße Überlebensstrategie gesehen, sondern als Berufung und gehörte zu den Hauptaufgaben eines jeden guten Christen.
Ein großer Bedeutungswandel kam Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Industrialisierung. Arbeit fand vermehrt in Fabriken und nicht mehr in Wohnraum statt, die erste Unterscheidung von Arbeitszeit und Freizeit erfolgte.
Heute dominiert die Idee, dass Arbeit uns ausmacht, uns definiert, eine Identität gibt.
Wertewandel
Dass Lohnarbeit an Glück und Sinnstiftung gekoppelt wird, war nicht immer so. „Die Generation der Nachkriegszeit und Babyboomer ordnete alles der Arbeit unter. Die Glückssuche wurde da noch belächelt, für sie zählte der Fleiß“, so Hoffmann. „In den jüngeren Generationen erfolgte ein Wertwandel. Sie trennen Leben und Arbeit nicht von einander, sehen sie ganzheitlich. Beides, Arbeit und Freizeit, trägt zum Lebensglück bei.“
Das kann auch zum Problem werden. „Wer Arbeit zu einer so wichtigen Glücksquelle in seinem Leben macht, macht sich von äußeren Faktoren abhängig“, erklärt Rauchensteiner. „Dabei kann die Außenwelt nicht die Bedingung dafür sein, wie es einem im Inneren geht. Man selbst ist verantwortlich dafür, wie es einem wirklich geht.“
„Für mich ist die richtige Chemie zu meinen Patienten wichtig, der gegenseitige Respekt, eine gute Zusammenarbeit mit Patienten und Angehörigen und nicht an letzter Stelle auch materielle Sicherheit. Ich persönlich bin zufrieden, wenn ich meine Erfahrung und Empathie einsetzen kann, für jene die sie brauchen.“
Mariana Buzzi, 24-Stunden-Betreuerin
„Man muss glücklich und zufrieden sein in seinem Beruf. Dann kommt auch der Erfolg. Wenn Kunden von weiter weg kommen und den Geschmack unserer Erdbeeren loben, weiß man, dass man alles richtig gemacht hat. Wir versorgen Menschen mit Nahrungsmitteln und in den vergangenen Monaten ist uns coronabedingt allen bewusster geworden, wie wichtig wir Landwirte sind.“
Sabine Schmid, Landwirtin
"Ich bin überzeugt das Arbeit glücklich und zufrieden machen sollte. Gleichzeitig soll die ausgeübten Berufe die Person psychisch und physisch nicht belasten. Damit meine ich, dass jemand der kein Blut sehen kann, nicht Medizin studieren soll, nur weil es sehr angesehen ist oder er gerne einen Titel hat. Natürlich muss man mit seiner Arbeit genug Geld verdienen können, um gut das alltägliche Leben zu bestreiten. Ich bin auch überzeugt, die Arbeit nicht als notwendiges Übel empfinden, herausragende Leistung erbringen können und gesünder sind." Peter Goller, Lkw-Fahrer
Hinzu kommt: Die Hochkonjunktur der Glücksuche im Job nützt nicht nur Arbeitnehmern. Sie ist auch Unternehmen zuträglich. Denn wenn immer mehr Menschen in ihrer Arbeit primär Glück und Selbstverwirklichung suchen, ist gute Arbeit billiger zu haben, schlussfolgert Historikerin Sabine Donauer in ihrem Buch „Faktor Freude“.
Ihr zufolge hat sich die Einstellung der Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitsplatz in den vergangenen 100 Jahren verändert. Arbeit wird nicht mehr als Tausch „Zeit gegen Geld“ angesehen. Sondern als Ort, der positive Gefühle auslösen soll.
Ort der Selbstverwirklichung
Unternehmen haben sich diese emotionale Logik längst zu Eigen gemacht. Sie werben mit Büros, die eingerichtet sind wie Wohnzimmer, mit Obstkörben, Fitness-Abos, Teambuilding-Wochenenden in der Natur. Sie werben in Stellenanzeigen aber selten mit gutem Gehalt.
Im Gegenzug sind Junge bereit, unbezahlte Praktika zu absolvieren, Arbeitnehmer nehmen befristete Arbeitsverträge in Kauf oder unbezahlte Überstunden. Für die Arbeitsleistung werden Entwicklungschancen und interessante Aufgaben versprochen.
Glück als Währung
Glück ist die neue Währung im Arbeitsalltag. Sachbuchautor und Jurist Volker Kitz kritisiert dieses Glaubensgerüst. „Ich finde den Diskurs über solche Arbeitsideale problematisch. Menschen wird eingeredet, wer nicht jeden Tag strahlend vor Glück in die Arbeit geht und darin seine Erfüllung sieht, macht etwas falsch.“
Dabei sei es gar nicht die Arbeit per se, die Menschen unglücklich machen könne. Sondern die überhöhten Anforderungen daran, glaubt Kitz. Eine These, die er auch in seinem Buch „Feierabend. Warum man für seinen Job nicht brennen muss“ erläutert. „Es ist nichts Schlechtes daran, einfach nur seinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen. Nur wird der Eindruck vermittelt, das genüge nicht.“
„Ich erwarte von meiner Arbeit Zufriedenheit, Spaß, lässige Projekte und das Geld sollte auch reichen. Wenn Arbeit glücklich macht, dann macht sie Spaß und ich arbeite deutlich produktiver und mit mehr Freude und Ehrgeiz, verdiene dadurch mehr Geld und komme weiter.“
Gabriel Schaffler, Comedian und Podcaster
„Der erste Impuls für meine Arbeit als Pflegerin war finanzielle Sicherheit. Natürlich muss ich in der Arbeit auch Selbsterfüllung finden, man muss eine Zuneigung für diese Arbeit haben und Geduld. Jede neue Arbeitsstelle ist für mich eine Herausforderung, mit jedem Kunden kann ich weiter professionell wachsen.“ Jana Kotatkova, 24-Stunden-Betreuerin
„Das Begleiten des Produkts von der Traube bis zum Wein ist für mich definitiv sinnstiftend und macht mich glücklich, weil ich die Ergebnisse meiner Arbeit nicht nur sehen, sondern auch kosten kann. Ich habe das Glück, dass die Zusammenarbeit der Generationen bei uns gut funktioniert. Der Mix aus langjähriger Erfahrung und jungen Ideen macht die Arbeit für mich spannend.“ Johannes Hofbauer-Schmidt, Winzer
„Arbeit bedeutet für mich , eine Aufgabe zu haben und finanzielle Sicherheit. Wichtig ist der respektvolle Umgang unter Kollegen sowie faire Arbeitsbedingungen. Dabei ist es schön zu wissen, dass man mit seinem Job anderen helfen kann und einen Beitrag für die Gesellschaft leistet.“
Maria Rechberger, Gesundheits- und Krankenpflegerin
Geschichten, wie jene über den Chirurgen, der nun glücklicher Yogalehrer ist, üben Druck aus. Sie werden zum Maßstab für Arbeitnehmer. „Die Sinnschraube wurde zu weit gedreht“, findet Kitz. „Man nimmt damit Berufen die Wertschätzung, bei denen man nicht sofort an Selbstverwirklichung denkt.“
Dies werte gewöhnliche Arbeit, die man nicht mit Spannung und Leidenschaft verbinde, ab. „Aber es gibt auch Menschen, die Befriedigung aus der Routine ziehen und die deswegen ihre Arbeit schnell und gut machen. Dienst nach Vorschrift ist nichts Schlechtes.“ Sein Vorschlag: Statt den Fehler bei uns oder in der Arbeit zu suchen, sollten wir die Arbeit nüchterner betrachten.
Arbeit ist auch anstrengend
Arbeit kann und darf auch als anstrengend empfunden werden, nicht immer herrscht gute Stimmung und dass der „Anfangszauber“ irgendwann nachlässt, ist normal, sagt Hoffmann. Trotzdem könne man Zufriedenheit verspüren.
„In der Psychologie unterscheiden wir zwei Glücksarten. Das Wohlfühlglück ist ein Moment, wo einem das Herz aufgeht. So etwas können wir nicht den ganzen Arbeitsalltag über erleben. Das Werteglück steht für die Zufriedenheit, die wir verspüren, wenn das Tun im Einklang mit unseren Werten steht. Das heißt: Jede Tätigkeit, egal welche, kann glücklich machen. Es kommt nur drauf an, ob wir diese Momente auch für uns erkennen.“
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