„Die Menschen sehnen sich immer nach etwas Neuem“, sagt Schauspieler Dennis Quaid, während er sich die nächste in Cocktailsoße getränkte Garnele in den Mund schiebt. „Und mit fünfzig ... na ja ... hört es auf.“ „Was hört auf?“, fragt Demi Moore, die ihm am Restauranttisch versteinert gegenüber sitzt. Und keine Antwort bekommt.
Es ist die Anfangsszene des abgedrehten (und empfehlenswerten) Thrillers „The Substance“, der soeben in den Kinos lief. Moore spielt eine TV-Fitnessikone, die auf Wunsch ihres abstoßenden Produzenten (Quaid) ersetzt werden soll. Durch etwas Neues, Frisches. „Es ist unvermeidbar“, rechtfertigt Quaid. Die Menschen wollen es so.
Und tatsächlich – genug Beachtung wurde Frauen über fünfzig bislang nicht geschenkt, erkannte die deutsche Autorin und Journalistin Stephanie Hielscher, die selbst wenige Jahre vor ihrem Fünfziger steht. Es gibt die „20 unter 20“-Listen, die „30 unter 30“, aber wo sind die „50 über 50“? Die Vorbilder, an denen sich orientieren lässt, die einem erklären, was auf einen zukommt? Beruflich, gesundheitlich und persönlich.
Hielscher ging auf die Suche, startete 2022 ihren „50 über 50“-Podcast. Spricht seitdem mit inspirierenden Frauen wie Schauspielerin Heike Makatsch oder Schriftstellerin Ildikó von Kürthy über das Älterwerden, Wechseljahre, finanzielle Vorsorge, Karriereknicks und mutige Veränderungen. Jetzt ist daraus ein Buch entstanden.
Der KURIER bat die Autorin zum ausführlichen Interview, erfuhr, warum wichtige Karriereschritte meist in der Lebensmitte passieren und sprach mit ORF-Moderatorin Birgit Fenderl und Podcasterin Carina Felzmann über ihren beruflichen Kurswechsel ab fünfzig (die ehrlichen Einblicke lesen Sie nach dem Interview).
KURIER:Ihre Frauenärztin soll zu Ihrem 40. Geburtstag gesagt haben: Frau Hielscher, ab jetzt geht es bergab. Ist das wirklich passiert?
Stephanie Hielscher: Ja, das ist wirklich passiert! Ich saß bei der jährlichen Kontrolluntersuchung. Davor hat sie mich immer liebevoll betreut. Und dann hat sich bei ihr etwas verändert. Sie hat gemerkt, der Gipfel meiner fruchtbaren Phase ist abgeschlossen, also hat sie mich auf ein Abstellgleis geschoben. In dem Moment war mir das nur gar nicht klar. Ich habe nur registriert, was sie gesagt hat.
Hat Sie das Älterwerden bis dahin nicht beschäftigt?
Für mich war es einfach kein Thema, dass ich jetzt einen Abstieg antreten soll. Ich fühle mich angekommen, habe eher das Gefühl, dass die Dinge losgehen. Mein Kind wird selbstständiger, im Job läuft es so, wie ich mir das vorgestellt habe, ich bin in einer schönen Beziehung. Es ist alles toll und ich merke keinen Mangel. Aber wie es so ist: Wenn Dinge einmal ausgesprochen sind, sind sie da. In meinem Hinterkopf blieb das also schon.
Also suchten Sie nach Frauen, die die Fünfzig bereits überschritten hatten. War es einfach, diese zu finden?
Ich habe so viele Anfragen an Frauen rausgeschickt, mit denen ich gerne gesprochen hätte. Die meisten haben nicht geklappt. Man merkt schon noch, dass es ein Tabuthema ist. Aber es haben auch viele zugesagt und wenn sie einmal reden, reden sie auch.
Die Frauen in Ihrem Buch sind prominent, selbstbewusst, vielleicht auch privilegiert. Verzerrt das das Bild?
Natürlich treffe ich die Frauen an einem Punkt, an dem sie überwiegend mit beiden Beinen fest im Leben stehen. Die eine oder andere Krise hinter sich haben. Niemand sagt zu, der gerade nicht weiß, wo rechts und links ist. Ich bekomme das von meinen Hörerinnen auch gespiegelt. Die sagen: „Ist ja schön, dass die nächste Frau im Podcast ihren Fünfziger in Italien feiern konnte. Ich bin seit fünf Jahren arbeitslos und mich nimmt keiner mehr“. Ich höre und verstehe das und fühle mich deshalb in der Diskrepanz. Weil es schon ein elitärer Kreis an Leuten ist, mit dem ich spreche. Und sei es nur, dass die Frauen emotional einen Schritt weiter sind. Das bildet nicht den Durchschnitt, zeigt nicht das ganze Bild. Mir geht es aber darum, zu zeigen, dass wir alle durch Dinge gehen, die wir bewältigen müssen. Die, die das geschafft haben, reden darüber.
Und fungieren als Vorbilder.
Mir ist nur wichtig, auch bei Vorbildern kein falsch-positives Bild herzustellen. Denn natürlich kommen mit dem Älterwerden auch Probleme. Deswegen sind in meinem Buch auch viele Themen angesprochen, die unbequem sind. Oft werde ich gefragt: Was verbindet alle Frauen, mit denen du gesprochen hast. Und dann gibt es dieses Schlagwort ‚Gelassenheit‘. Das Klischee kommt nicht von ungefähr, das stimmt auch. Aber es ist eben nicht alles.
Sie selbst sind 1977 geboren, also noch keine fünfzig. Was erhoffen Sie sich vom runden Geburtstag: Dass sich nichts verändert oder viel?
Ich glaube, dass sich ganz viel ändert. Und ich merke, dass ich gerade in einem großen Prozess bin. Ich bin auf ganz vielen Ebenen ein totaler Spätzünder und hätte mich vor zehn Jahren auch gar nicht getraut, mit so einem Thema in die Öffentlichkeit zu gehen. Das ist ein totaler Gewinn, sich nicht selbst dauernd zu hinterfragen. Ob es jemandem passt oder nicht, dass ich darüber rede, ist mir egal. Denn ich sehe, es gibt einen Bedarf. Ich bin da nicht alleine, in Deutschland gibt es eine ganze Bewegung, die nennt sich „Wir sind neun Millionen“.
Für die neun Millionen Frauen, die in Deutschland in den Wechseljahren sind. In der Arbeitswelt wird diese Phase bis heute völlig ignoriert oder täuscht das?
Mittlerweile gibt es Bestrebungen, weil der wirtschaftliche Schaden so groß ist. Es gibt viele Frauen, die aufgrund der Wechseljahre kürzer treten, ganz kündigen oder die Führungsrolle, in die sie aufgrund ihrer Kompetenz reingewachsen wären, doch nicht annehmen, weil sie sich nicht wohlfühlen. Aber man kann als Unternehmen schon etwas tun, um Frauen unterstützend zur Seite zu stehen. Denn wenn man diese Zeit überstanden hat, kommt ja noch ganz viel Zeit, in der man arbeitet und dann mit guter Kraft. Aber man muss die Phase begleiten.
In Großbritannien gibt es eine nationale Menopause-Strategie, zwanzig Prozent der Unternehmen setzen sie schon um. Sie reicht von flexiblen Arbeitsmöglichkeiten bei Wechseljahrbeschwerden über banale Dinge wie Ventilatoren am Arbeitsplatz bis hin zu atmungsaktiver Kleidung für Kassiererinnen im Baumarkt, damit Hitzewallungen besser bewältigt werden können. Eine weitere Möglichkeit wäre, Frauen, die ihr Leben lang im Schichtdienst gearbeitet haben, aus diesem rauszunehmen. Ihr Schlaf wird vielleicht gerade schlechter, da braucht es mehr Struktur. In einem fixen Tagdienst könnten sie dann genauso viel leisten. Es gibt so viele Stellschrauben und es fängt gerade erst an, dass das auch gesehen wird.
Vielleicht auch weil das Thema schambesetzt ist?
Es interessiert sich niemand dafür, weil es keine Räume für das Thema gibt. Die Beschwerden kosten Kraft, man tritt etwas zurück. Ist man nicht gut informiert, kann man die Symptome nicht gut einordnen oder etwas gegen sie tun. Auf der anderen Seite ist es so, dass Frauen in dieser Lebensphase zu neuer Kraft kommen. Sie werden unbequemer, das ist auch nicht immer erwünscht.
Und auch weniger kompromissbereit?
Genau das ist der Punkt, aus dem man die Kraft schöpft, die man verspürt. Aus dieser heraus lässt sich handeln.
Führt das auch zu beruflichen Veränderungen? Wechseln Frauen ab fünfzig eher ihre Jobs, die Branche, trauen sich vielleicht sogar in die Selbstständigkeit oder verharren sie in sicherer Anstellung bis zur Pension?
Ich habe alles gesehen. Aber bei vielen ist zu beobachten, dass es schon eine Art Veränderung gibt. Vielleicht ist die nicht an Äußerlichkeiten festzumachen, sondern an der inneren Einstellung. Und der Sinn der Arbeit wird in der zweiten Lebenshälfte hinterfragt. Ich habe eine Frau interviewt, Stefanie Wilke, die Texte für eine Agentur geschrieben hat. Sie wurde dort rausgekickt, hat sich neu orientiert und wollte etwas Sinnstiftenderes machen, als Werbetexte zu schreiben. Sie ist jetzt in der Sterbebegleitung tätig.
Ist das eine Branchenfrage? Sind Frauen ab fünfzig in gewissen Bereichen weniger erwünscht?
Das glaube ich total. Es gibt sicher Berufe, wo das Vertrauen in die Expertise wächst, je älter man wird. Aber ich selbst habe erlebt, mich im Medienberuf zu hinterfragen. Ich habe lange Kinder-, Jugend- und Musikfernsehen gemacht. Und mit vierzig überlegt, wie lange ich diese Jugendkultur noch glaubhaft vermitteln kann.
Wie gehen Sie jetzt auf den Fünfziger zu?
Für mich war alles, was ab fünfzig kommt, eine Blackbox. Ich hatte auch kein negatives Bild davon, sondern einfach gar keines. Weil ich zu wenige Leute gesehen habe. Und jetzt habe ich ein positives, realistisches Bild. Weiß, was passieren kann. Dass es wichtig ist, zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen, mich um meine Altersvorsorge zu kümmern, dass ich anfange, Dinge für mich zu tun. Alles andere kann man auch erst einmal vergessen und holt es dann wieder raus, wenn es akut wird.
Birgit Fenderl und Carina Felzmann sind sich einig: „Die Jüngeren sind manchmal schneller unterwegs, aber die Älteren kennen die Abkürzung“
Wie sich die Karrieren der ORF-Journalistin und Agenturinhaberin in den Fünfzigern veränderten und warum das davor nicht denkbar gewesen wäre
Birgit Fenderl war und ist bis heute die jüngste Journalistin, die je eine „Zeit im Bild“ moderiert hat. Damals war sie 25, heute ist sie 53, wechselte vor ein paar Jahren von der „ZIB“ ins „Studio 2“. Nach 31 Jahren im ORF verlässt sie den Sender aus freien Stücken. Anders als „Studio 2“-Kollegin Verena Scheitz, deren Vertrag nicht verlängert wurde. Man wolle „frischer werden“, hieß es (der KURIER berichtete).
Fenderls Kurswechsel kommt genau zur richtigen Zeit, sagt sie. „Seit meine Tochter die Matura hinter sich hat, spüre ich ganz massiv, dass wahnsinnig viel Energie frei wird, die ich in etwas Neues stecken kann“, berichtet sie und ergänzt: „Ich glaube, dass dieses Alter für viele Frauen eine Zäsur ist. Weil ihr zweiter Job, den sie zusätzlich zum Erwerbsberuf gemacht haben, nämlich sich um die Familie kümmern, sie nicht mehr in diesem Ausmaß einnimmt.“
Was Fenderl jetzt vorhat? Sich als Mediencoach und Rednerin auf dieses Thema fokussieren: Frauen ab fünfzig und ihre Anliegen sichtbarer machen. „Wir sind die erste Frauengeneration, die bis 65 arbeiten wird. Gleichzeitig wird bei den Rahmenbedingungen, die manchmal nur ein bisschen anders sein müssten, keine Rücksicht genommen“, sagt sie und bezieht sich dabei auf die Wechseljahre-Thematik.
„In Österreich ist das immer noch ein Tabu“, sagt Fenderl und gibt ein Beispiel. Als 2021 ihr Buch „Kurswechsel bei 5.0“ erschien, war ein Kapitel der Menopause gewidmet. „Ich wollte, dass das die erste Geschichte im Buch wird. Aber der Verlag wollte das unter keinen Umständen“, erinnert sich Fenderl. „Weil alle Angst hatten, dass niemand etwas über Wechseljahre lesen will.“
Dieses Wegignorieren würde jedoch dazu führen, dass sich viele Frauen im späteren Erwerbsleben in Krankenstände flüchten oder vielleicht in Frühpension gehen, was letztlich finanzielle Auswirkungen hat und auch die Gesamtwirtschaft belastet, so Fenderl. „Der Weltwirtschaft gehen jährlich 150 Milliarden Euro verloren, weil Frauen in den Wechseljahren aus der Arbeitswelt ausscheiden, da sie mit den Rahmenbedingungen nicht zurecht kommen.“
Kurswechsel mit 58
Das kritisiert auch PR-Profi Carina Felzmann: „Die einen wollen sich mit fünfzig verändern, die anderen müssen. Es gibt nach wie vor Firmen, die nur auf jüngere Arbeitskräfte setzen, was meiner Meinung nach sehr kurz gegriffen ist.“ Felzmann selbst ist 59, war Politikerin, ist Vortragende und übergab ihre PR- und Marketingagentur vergangenes Jahr an die jüngere Generation: „Dann stand ich da und dachte mir: Was mache ich jetzt?“ Also startete sie mit „Nonna: Restart!“ ihren eigenen Podcast, der berufliche Heldinnenreisen ab fünfzig-plus begleitet.
In den vielen Gesprächen, die sie im Podcast führt, erkannte sie: „Wir Nonnas (Omas, Anm.) von heute haben andere Interessen. Wollen in Krypto investieren oder Start-ups gründen.“ Und tatsächlich sind 64 Prozent der Wiener Unternehmerinnen und Gründerinnen fünfzig und älter, erhebt die Wirtschaftskammer.
Alles, was es brauche, wäre die Neugier, sagt Felzmann und im Idealfall ein inspirierendes Umfeld. „Man muss interessiert bleiben, Aus- und Weiterbildungen machen.“ Sie selbst macht jetzt eine KI-Ausbildung. „Nachdem ich keine Mitarbeiter mehr habe, brauche ich digitale Assistenten.“
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