Fünf Gründe, warum es Frauen nicht an die Spitze schaffen
Es ist ein schönes Zeichen, dass durch die Nominierungen von Christine Lagarde zur EZB-Chefin und Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission nun mehr Frauen in Machtpositionen kommen. Die eine soll künftig über die europäische Geldpolitik entscheiden, die andere die Europäische Union leiten. Zwei Role-Models, wie sie so oft eingefordert werden: Vorbilder für Frauen, dass man es an die Spitze schaffen kann. Sogar, wenn man Kinder hat. Im Falle von Ursula von der Leyen sogar sieben!
Trotz dieser schönen Einzelfälle: Geht es mit der Angleichung der Geschlechter im aktuellen Tempo weiter, wird es noch 167 Jahre (!) dauern, bis Frauen und Männer dieselben Chancen haben, prophezeit der Gender Gap Report des World Economic Forum. Die wirtschaftliche Gleichstellung gelingt demnach erst im Jahr 2186 – in sieben Generationen.
Frauen-Gleichstellung: Österreich auf Platz 53
Österreich ist hier leider kein leuchtendes Beispiel für gelebte Frauenförderung. Wir rutschen in internationalen Ranglisten ab, aktuell auf Platz 53. Auf Vorstandsebene gibt es sogar Rückschritte. In heimischen, börsenotierten Unternehmen sind nur neun von 186 Vorstandsmandaten (4,8 Prozent) von einer Frau besetzt. Zwei weniger als noch vor einem Jahr. In sechs Branchen gibt es überhaupt nur Männer an der Spitze. Einziges Unternehmen mit drei Frauen in der Chefetage ist die Vienna Insurance Group mit Elisabeth Stadler als Vorstandsvorsitzende.
Bleibt die Frage: Warum sind Frauen im Jahr 2019 in Wirtschaft und Politik nicht nennenswert vertreten? Wir haben also recherchiert – und fünf Gründe gefunden, warum Frauen an der Spitze immer noch fehlen.
1. Frauen positionieren sich falsch
Für Headhunter Günther Tengel beginnt das Dilemma bereits im Kindergarten, wo die ersten Weichenstellungen erfolgen: Mädchen spielen dort traditionell in der Puppenküche, Buben mit Autos und Werkzeug. Das würde die Grundausrichtung des beruflichen Lebens bestimmen – „ist eine Prädisposition, die unfassbar schwierig zu ändern ist“, sagt Tengel.
Der Personalexperte liefert anschauliche Zahlen für die spätere Studienwahl: „Wenn 54 Prozent aller Studierenden Frauen sind, es in den MINT-Fächern (Anm.: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) aber nur 28 Prozent sind, weil Frauen gerne Germanistik oder Geschichte studieren, dann zeigt das unser Kernproblem. Von diesen 28 Prozent Frauen in den MINT-Fächern kriegt zumindest die Hälfte Kinder und fällt mit Ende 20, Anfang 30 aus dem Arbeitsprozess raus. ist wie eine Bombe und auch nicht mehr zu retten. Die Frauen fehlen einfach.“
Schlüsselbereiche wie Finanz, Verkauf und Controlling sind männlich besetzt
Karrieren laufen über Schlüsselthemen. Bei IT-Konzerne ist das logischerweise die Technologie, bei Handelskonzernen der Verkauf, in allen Firmen sind die Themen Finanz und Controlling sehr wichtig. „In Unternehmen werden meist nur aus diesen größten und wichtigsten Division die Vorstände besetzt“, sagt Tengel.Es sind also immer die harten Themen, aus denen man es ganz nach oben schafft – und damit die klassischen Männerdomänen.
Fast nie würden Vorstände aus dem Marketing oder der PR kommen, ebenso wenig aus der Personalabteilung – und damit auch fast nie aus jenen „weichen“ Bereichen, in denen sich Frauen seit jeher gerne positionieren. Für Tengel ist deshalb auch die gesamte Quotenthematik „Schwachsinn“. Denn: „Wenn man die Frauen aus den weichen Bereichen nach oben holt, weil es die Quote so vorgibt, dann ist damit nichts gewonnen, weil Frauen inhaltlich zu wenig beitragen können.“
2. Frauen bekommen Kinder
1,48 Kinder bekommt jede Frau in Österreich, sagt die Statistik Austria. So groß das Kinderglück privat ist, für die Karriere ist es ein beträchtlicher Nachteil. „Ein Kind verursacht bei uns Frauen einen totalen Karriere-Einbruch“, sagt Katharina Mader, Ökonomin an der WU Wien – aktuell selbst in Karenz. „Allein durch die Tatsache, dass eine Frau potenziell Mutter werden kann, wird sie diskriminiert.
Unternehmen investieren von Beginn an nicht so viel in eine Frau wie in einen jungen Mann. Die Weiterbildung, den nächsten Gehaltssprung, die Führungsverantwortung: auf das kann sich der männliche Kollege freuen.“ Das traditionelle Rollenbild wird sich in den nächsten Jahren ebenso wenig ändern wie die biologische Tatsache, dass eben Frauen die Kinder bekommen.
Mit dem Nachwuchs kommen traditionelle Geschlechterrollen
Daraus ergibt sich: Frauen bleiben eher zu Hause, Frauen sind eher für die Kinder zuständig, Frauen geben für ihre Kinder eher etwas auf – den Beruf zum Beispiel, oder ihre Hobbies. Alles Stereotypen, ja, aber besonders hartnäckige. Interessant ist: Studien zeigen, dass Partnerschaften gleichberechtigt laufen, solange keine Kinder da sind. Mit dem Nachwuchs kommen die traditionellen Geschlechterrollen – er arbeitet, macht Karriere, sie bleibt zu Hause, versorgt die Kinder.
In den vergangenen Jahren ist das in manchen Kreisen sogar noch konservativer geworden. Motto: Man kann es sich leisten, dass die Frau daheim bleibt. Nach ein paar Jahren dann oft die Rückkehr in eine Teilzeit-Stelle – fast 50 Prozent aller Frauen in Österreich arbeiten nicht Vollzeit. Was damit wiederum auf der Strecke bleibt: Führungsverantwortung, ein Gehalt, das Selbstbestimmung zulässt, die nächste Beförderung – all das bleibt Teilzeit-Müttern in vielen Fällen vorenthalten.
3. Frauen arbeiten zu viel
Frauen sind Arbeitsbienen: fleißig, arbeiten, bis ihre Aufgaben zur Zufriedenheit aller erfüllt sind. „Schon als Kinder werden Mädchen fürs Bravsein belohnt, müssen entsprechen. Burschen hingegen kriegen Aufmerksamkeit auch übers Schlimm- oder Lautsein. Das hängt uns bis ins Arbeitsleben nach“, sagt Ökonomin Katharina Mader von der WU.
„Einem Unternehmen kann nichts Besseres passieren, als viele gute Spezialistinnen zu haben, die viel und hart arbeiten.“
Headhunter Günther Tengel meint, hier sei ein aktiver Schritt weg von der fleißigen Super-Spezialistin hin zur Führungskraft nötig – Frauen würden den aber nicht gehen. „Es reicht nicht, gut zu sein. Man muss für sich ein Profil erarbeiten und dann den Weg ins Management vorantreiben. Einem Unternehmen kann nichts Besseres passieren, als viele gute Spezialistinnen zu haben, die viel und hart arbeiten.“ Sie tun das übrigens auch deshalb, weil damit ein 30-Stunden-Job und Kinder besser vereinbar sind.
Ende 30, Anfang 40 ins Management? Zu spät
Tengel: „Mit Ende 30, Anfang 40 würden sie gerne ins Management, dann ist es aber zu spät.“ Apropos Vereinbarkeit: Auch die ist weiblich. Frauen verbringen am Tag zusätzlich zu ihrem Brotjob weitere 266 Minuten mit unbezahlter Arbeit – Erziehung, Haushalt, Pflege – Männer nur 108. „Da gehen viele Ressourcen drauf. Viele überlegen es sich dann mit dem nächsten Schritt nach oben. Sie wollen sich nicht alles aufhalsen“, sagt Mader.
Tenor mancher Karrierecoaches: Frauen sollten in der Arbeit einen Gang runterschalten, nicht sofort „Hier!“ rufen, wenn neue Aufgaben verteilt werden. Zu fleißig zu sein sende die falschen Signale – an Männer, die sich daran gewöhnen, weil es ihnen Arbeit erspart. Besser: abwarten, bis strategisch wichtige Themen am Tapet sind – und dort zuschlagen.
4. Frauen netzwerken nicht
Nur wer gesehen wird, gewinnt. Frauen sollten daher Bühnen nutzen, wann immer sie sich bieten, auch keine internen oder externen Präsentationen auslassen. „Netzwerken heißt, sich zu präsentieren und zu verkaufen. Das liegt Frauen nur leider nicht“, erklärt Coach Regina Jankowitsch. Männer hätten das über die Jahrhunderte perfektioniert. Sie wissen: die Karriere wird nicht im Büro entschieden, sondern im informellen Rahmen – auf dem Herrenklo, beim Drink nach Dienstschluss, beim Business-Event.
Das gute Netzwerk ist entscheidend beim Karriereverlauf, also treffen die Männer in ihren Runden zusammen, bauen Kontakte gezielt auf, machen Geschäfte nach dem Motto: hilf du mir, so helfe ich dir. Gerne auch in reinen Männerrunden, wie etwa beim „Techniker Circle“, wo Frauen nicht Mitglied werden dürfen. Zudem: Wann immer ein Auftritt gefragt ist, sagen Männer „Ja“. Frauen zu Interviews oder auf Bühnen zu bringen, ist ungleich schwieriger.
Mehr Meetings, mehr Veranstaltungen, mehr Wortmeldungen
„Netzwerken heißt nicht, sich anzubiedern oder seine Haltung zu verlieren. Es geht allein darum, sich zu überlegen, mit wem man einen Kontakt aufbauen und halten will, um etwas zu erreichen“, so Jankowitsch. Frauen würden insgesamt zu wenig Selbstmarketing betreiben, sich zu wenig in Szene setzen – vor Kollegen, in Meetings, bei Sitzungen und bei Veranstaltungen. Statt anderen den Vortritt zu lassen, sollten sie sich zu Wort melden und aktiv mitreden.
„Es braucht die richtige Dosis an Präpotenz und Aufdringlichkeit – kein schüchternes Ducken.“
„Es braucht die richtige Dosis an Präpotenz und Aufdringlichkeit – kein schüchternes Ducken“, sagt Jankowitsch. Frauen mit Kindern fällt das Netzwerken auch aus Zeitgründen schwer: wer abends lieber daheim ist, als auf – oft mühsamen – Veranstaltungen Visitenkarten zu tauschen, verliert die Nähe zu den wichtigen Kreisen. „Das Ergebnis der Absenz ist, dass man im entscheidenden Moment nicht berücksichtigt wird“, so Jankowitsch.
5. Männer halten zusammen
Männer unterstützen im Arbeitsleben tendenziell lieber Männer, nicht Frauen. Ganz klar – wer lässt sich schon gerne sein Terrain wegnehmen. Fachwort dafür ist übrigens homosoziale Kooption – man umgibt sich lieber mit Menschen, die einem ähneln. Ein bekanntes Phänomen bei Personalbesetzungen – und das krasse Gegenteil von der so oft beschwörten Diversität. Die gibt es aber ohnehin nur als Absichtserklärung, in der Realität sind diverse Teams (jung, alt, Mann, Frau, international) kaum zu finden.
Es beginnt beim Einstellungsgespräch und endet bei der Besetzung von Top-Jobs. Studien zeigen, dass bei identischen Lebensläufen stets die der Männer besser bewertet werden. Bei einer Umfrage der TU München und der New York University sagen 600 US-Amerikanerinnen und -Amerikaner, dass Frauen und Männer gleichermaßen kompetent, produktiv und effizient sind. Die Führungskompetenz der Männer wir aber generell höher eingestuft.
Ein Wirtschaftssystem von Männern für Männer
Das ergibt, dass Männer, die heute an entscheidenden Stellen sitzen, eher ihresgleichen (be)fördern. Die wenigen Frauen, die sich für diese Jobs finden, werden für Führungsjobs zwar eventuell in Betracht gezogen, kommen aber nur selten zum Zug – nur dann nämlich, wenn man ein Zeichen setzen will oder es eine Frau aus „kosmetischen“ Gründen sein muss. Meist allerdings kriegen die Männer den Zuschlag – siehe Frauenquote auf Top-Ebene: 4,8 Prozent.
„Sie sind weniger willig, diese alten männlichen Spielregeln unhinterfragt zu übernehmen. Damit sind sie die Störenfriede, die man lieber draußen hält.“
Hinzu kommt: Unser Wirtschaftssystem ist von Männern für Männer gemacht. Männer streben an, es so zu belassen, wie es ist. Regina Jankowitsch: „Da gibt es ungeschriebene Gesetze und Verhaltensformen – Frauen tun da nicht so locker mit. Sie sind weniger willig, diese alten männlichen Spielregeln unhinterfragt zu übernehmen. Damit sind sie die Störenfriede, die man lieber draußen hält.“
In der männerdominierten Wirtschaftswelt hätten Frauen mit Kindern keine Chance. Rücksicht auf Familie? Ein Teilzeit-Chefposten? Nachmittags früher gehen? Leider nein. „Verlangt wird 100-prozentige Verfügbarkeit“, sagt Katharina Mader, WU-Ökonomin.
Kommentare