„Schwedens Regierung hat uns angelogen“
„Das schwedische Modell der Gleichstellung ist eine Lüge“, sagt Catherine Hakim vor 200 Frauen. Auf dem 3. WIENERIN Summit im Haus der Industrie geht ein Raunen durch die Reihen. Die renommierte britische Wissenschaftlerin über falsche Fakten im Land der Gleichstellung und warum Frauen nicht alles haben können.
KURIER: Wie kommen Sie darauf, dass die Schweden lügen?
Catherine Hakim: Die schwedische Regierung hat uns mit Studien erzählt, das System sei brillant – wir haben ihr geglaubt. Dann wurde es mit anderen EU-Ländern verglichen und es wurde klar: Es ist nicht besser.
Inwiefern?
Ich kenne eine Studie, die behauptet, dass es keine Einkommensschere in Schweden gibt. Das Problem: Sie ist nicht repräsentativ, bezieht sich auf Handwerksberufe. Die meisten Schwedinnen arbeiten aber im Dienstleistungssektor, als Krankenschwestern, Lehrerinnen. Die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarkts (Frauen arbeiten in typischen Frauenberufen, Anm.) ist in Schweden in Wahrheit stark – in China ist sie am schwächsten.
Die Frauenerwerbsquote in Schweden ist mit 78 Prozent die höchste EU-weit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gilt als gut.
Es ist ein offener Arbeitsmarkt wie anderswo auch. Doch die meisten Frauen arbeiten im öffentlichen Sektor – nur dort können sie es sich leisten, der Arbeit fernzubleiben, wenn ihr Kind krank ist. Der private Sektor ist männlich dominiert. Und die öffentliche Kinderbetreuung so schlecht, dass manche nach Finnland flüchten.
Die Frauenquote in Gremien hat sich in Schweden seit 2005 auf 15 Prozent nahezu verdoppelt.
Ja, aber das betrifft kaum ausführende Jobs. Norwegen ist für seine gesetzliche Frauenquote von 40 Prozent in Gremien staatsnaher Unternehmen bekannt. Doch was haben diese Unternehmen gemacht? Sie haben sich privatisiert, um dem Gesetz zu entgehen. Das sagt nur niemand. Ich kenne Wissenschaftler, die sagen, die Frauenquote hat keinen positiven Einfluss auf die Unternehmen, die Frauen wirken nicht als Role Models für andere. Viele sind Ausländerinnen, werden aus den USA für Vorstandsmeetings nach Norwegen eingeflogen.
Bei uns klagen Firmen, kaum Frauen für Top-Positionen zu finden.
Da ist Diskriminierung im Spiel. Männer sehen Männer als kompetent genug, Frauen dagegen als „noch nicht bereit für den Job“. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.
Sie meinen die Wahl der Frauen.
Ja. Viele Frauen verzichten auf den Job als CEO, wählen Work-Life-Balance. Sie haben gesehen, wie hart es für ihre Mütter, Väter war. Und: Junge Männer sagen dasselbe. Alle Maßnahmen zur Gleichstellung sollten daher genderneutral sein, Männer miteinbeziehen.
Wie sehen Sie die Väterkarenz?
In Schweden gibt es den Papamonat. Statt früher vier gehen zwar 25 Prozent der Väter in Karenz, doch: Sie sind meist im öffentlichen Sektor tätig und gehen zu Weihnachten in Karenz oder im August – zum Fischen.
Laut Ihrer Präferenztheorie entscheiden sich 20 Prozent der Frauen für die Top-Karriere, 20 Prozent sind „nur“ Mutter, 60 Prozent vereinbaren Job und Familie.
Ja. Die Hälfte der Top-Karrierefrauen hat zwar Kinder, sie priorisieren die Karriere aber. Das sind außergewöhnliche Frauen, wie Helena Morrissey: Sie ist CEO von Newton Investment, hat neun Kinder. Sie hat Nannys, steht um fünf Uhr Früh auf, hat kein Leben für sich. Doch nicht jede kann wie sie sein. Für einen Topjob braucht es absolute Hingabe. Das ist mit familiären Verpflichtungen nur schwer vereinbar. Die 60 Prozent, die es schaffen, haben eine nette Karriere in der Verwaltung mit fixen Arbeitszeiten – aber sie sind keine CEOs.
Ist es gefährlich, solche Superfrauen als Vorbilder zu präsentieren?
Es ist wichtig, aber man muss jungen Frauen die harte Realität vor Augen führen. Außerdem zeigen Umfragen, dass die meisten Frauen einen Mann wollen, der mehr verdient als sie – falls sie beim Kind zu Hause bleiben.
Hat der Feminismus versagt?
Radikale Feministinnen schon, die meinen, Männer sind Feinde, Frauen sollten alles haben. Ich bin auch Feministin, sehe aber als Wissenschaftlerin die Realität – nicht Fantasien.
Catherine Hakim ist eine britische Sozialwissenschaftlerin. Sie war einige Jahre an der London School for Economics und am Centre for Policy Research in London sowie am Forschungsinstitut WZB in Berlin wissenschaftlich tätig. Auch war sie Beraterin der Minister in der britischen Regierung.
Hakims Forschungsschwerpunkte liegen auf Arbeitsmarkt und Frauen. In Wissenschaftskreisen bekannt wurde sie in den 1990ern mit der „Präferenztheorie“ über die weiblichen Entscheidung zu Kind und/oder Karriere. 2011 erschien ihr Buch „Honey Money – The Power of Erotic Capital“, das die Auswirkungen sozialer und physischer Attraktivität auf Erfolg und Karriere beschreibt.
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