Fleischlos: Wie der Markt mit den Imitaten floriert

Fleischlos: Wie der Markt mit den Imitaten floriert
Mehr Menschen verzichten auf tierische Produkte. Wie groß das Marktpotenzial ist und was ein Schnitzel weniger für die Welt bedeutet.

Geschäftige PassantInnen eilen forschen Schrittes die Wiener Josefstädter Straße auf und ab. Sie sind auf der Suche nach dem nächsten Mittagessen.

Einige stutzen im Gang, drehen ihre Köpfe, gehen noch einmal zurück, wenn sie die kleine Baustelle auf der Josefstädter Straße 47 - 49 passieren. „Fleischloserei. Wiens erste vegane Fleischerei. Vrischkost“ steht da auf einem Schild.

Hier, nur 150 Schritte von der Fleischerei Radatz entfernt, eröffnet im September eine vegane Fleischerei. Die Fleischloserei sieht sich durch den fleischhaltigen Radatz keineswegs konkurriert, denn statt Leberkäsesemmeln wird es hier Lebenkäsesemmeln geben. „

Bei uns gibt es alles, was es in einer klassischen Fleischerei auch gibt, aber vegan und hausgemacht“, sagt die vegane Fleischerin Sybille Bernhardt.

Das Vleisch (veganer Fleischersatz) boomt

Zu Bernhardts Rechten ragt das SPAR-Supermarkt-Schild auf die Straße, gegenüber liegt der Denn’s Bio-Supermarkt. Die Straße hinauf und um die Ecke gibt es Billa-Filialen. An all diesen Orten werden mittlerweile Fleischersatz-Produkte angeboten. Zwar noch nicht in der Feinkost-Abteilung, aber das Angebot reicht von Faschiertem bis Grillwürste.

Es sind verarbeitete, meist vegane Lebensmittel auf Pflanzenbasis, wie Kräuterseitlingen, rote Beete und Hülsenfrüchten. Die Fleischloserei hebt sich zusätzlich durch persönliche Beratung ab. Und dadurch, dass hier hausgemachte Fleischimitate angeboten werden, die dem Slow Food dienen.

Die meisten Fleischersatz-Produkte sind Convenience-Food-Produkte, wie Burger Pattys, Schnitzel und Würstchen. Der Fleischersatz ist vom Nischenphänomen breitenwirksam geworden.

Masse statt Nische

Auch das Traditionsunternehmen Neuburger, hat mit Hermann, parallel zu ihrer Fleischproduktion ein Unternehmen für Fleischalternativen gegründet. Kein Wunder, denn das Marktpotenzial ist enorm.

Ein globales Milliardengeschäft

Aktuell beläuft sich der Markt auf 40 Milliarden Dollar, und soll bis 2035 auf 290 Milliarden Dollar im Jahr steigen. Der Marktanteil von Fleischalternativen würde bis dahin auf 22 Prozent steigen.

Hermann Neuburger und Sohn Thomas Neuburger betonen, dass sie bei der Gründung von Hermann 2016 ideologische und nicht wirtschaftliche Interessen hatten.

„Die Fleischersatzprodukte von Hermann machen bei uns rund 20 Prozent des Umsatzes aus. Wir könnten mit Neuburger viel erfolgreicher sein, aber wir gehen einen Gewissensweg“, so Thomas Neuburger.

„Der Fleischkonsum macht uns Sorgen. Unser Wunsch ist, dass jeder österreichische Haushalt einmal die Woche statt Fleisch Hermann konsumiert.“ Das Ziel ist Wachstum, und zwar auch mittels Expansion in den gesamten DACH-Raum. Derzeit sei man in Gesprächen mit Rewe und Edeka.

Perverser Konsum

In Österreich liegt der Konsum von Ersatzprodukte in der Warengruppe noch nur bei rund einem Prozent. Der Fleischkonsum hierzulande ist enorm, in den vergangenen Jahrzehnten wurde er durch Billigfleisch pervertiert – mit Folgen für Gesundheit, Tierwohl und Klima.

ÖsterreicherInnen verzehren in der Woche rund 1,2 Kilo Fleisch. Gesundheitlich empfohlen wären 300 Gramm. Ein Kilo Rindfleisch produziert durchschnittlich 19,59 Kilo Äquivalente Co2, Schwein 5,33 Kilo Äquivalente. Ein Kilo Sojabohnen hingegen nur 0,35 Kilo Äquivalente.

Soja ist nicht Soja

Und: Das Soja, das als Ersatzprodukt konsumiert wird, ist meist in der EU produziert, gentechnikfrei und schont die Umwelt. Hingegen stammt das Soja zur Tierfütterung aus dem Regenwald und ist oft genmanipuliert. „Wir essen den Regenwald auf“, sagt Ernährungswissenschafterin Michaela Knieli.

Würde der Konsum von tierischen Produkten in der EU halbiert, würden in der EU die Treibhausgase für die Lebensmittelproduktion um 40 Prozent reduziert.

Das Bewusstsein wächst. Der Markt hat Potenzial, wer sich früh etabliert, kann sich, wenn Fleischersatz zur Konvention wie Bio wird, als frühe Qualitätsmarke von Eigenprodukten der Handelsketten erheben, denn auch hier wird vielerorts an ersten Eigenmarken gebastelt.

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