(Fast) freie Wahl für Arbeitslose

Trainerin Claudia Birsel reflektiert mit Jugendlichen über berufliche Ziele.
Statt zwanghafter Berufsorientierung wählen Arbeitsuchende ihre Kurse wie auf der Uni.

Fünf Wochen lang besuchte der arbeitslose Herr B. einen sogenannten Aktivierungskurs des AMS. Statt aktiviert war Herr B. danach frustriert – so sehr, dass er unsere Redaktion aufsuchte. "Gelernt habe ich dort kaum Brauchbares – ich weiß, wie man Bewerbungen schreibt", sagt der 55-Jährige. Beschwerden über verpflichtende AMS-Kurse, in der Akademiker mit Bauarbeitern ihre Zeit absaßen, häuften sich in den vergangenen Jahren – das räumt auch das AMS Wien ein. Seit Anfang November sind die Aktivierungskurse, von denen mehr als die Hälfte in der Bundeshauptstadt stattfand, daher Vergangenheit. Die neue "AMS-Jobwerkstatt" tritt an ihre Stelle. Wie schon in Kärnten und im Burgenland praktiziert, können nun Wiener Arbeitsuchende passende Angebote aus Modulen wählen. Vom AMS vorgegeben werden die Teilnahme und die Wochenstunden: 10 bis 15 müssen absolviert werden – 75 Stunden in fünf Wochen.

Mitbestimmung motiviert

Eines der regionalen Programme ist die "ams.job.werkstatt Nord" im Bildungsinstituts ZIB Training in Wien-Donaustadt. Ein riesiges "Herzlich Willkommen" prangt neben der Rezeption. Weiter hinten, in einem der kleinen Räume, speichert Jasmin im EDV-Kurs für Frauen gerade ein Dokument auf einen USB-Stick. "Ich finde es super, dass man sich die Kurse aussuchen darf", sagt die junge Gastronomiefachfrau. "Den EDV-Kurs finde ich am besten, ich möchte in einem Büro arbeiten."

Rund 200 Teilnehmer betreut das ZIB-Training seit 3. November in der Jobwerkstatt. 55 neue Kunden kommen jede Woche dazu, erzählt Geschäftsführerin Andrea Stecher. "Die Freiwilligkeit macht einen großen Unterschied", sagt sie. Die Geschäftsführerin macht keinen Hehl daraus, wie sehr sie sich über das neue AMS-Konzept freut. Wo man früher nach dem Besuch eines "Infotages " in einen Aktivierungskurs gesteckt wurde, erhält man jetzt individuelle Beratung mit freien Wahlmöglichkeiten. Die Freiwilligkeit und die persönliche Betreuung hätten die Motivation der Arbeitsuchenden gehoben, sagt Projektleiter Marco Markl: "Unsere Kunden schätzen das sehr." Das bestätigt auch Trainerin Claudia Birsel, die mit Jugendlichen gerade über deren berufliche Ziele reflektiert: "Durch das Mitbestimmungsrecht sind die jungen Leute motivierter, das ist für uns Trainer eine Erleichterung." Ihr Kollege Dariusz Puch ergänzt: "Die Teilnehmer sind entspannter, haben weniger Druck."

Einzig die Kompetenzgruppe zur Potenzialanalyse ist für alle Teilnehmer vorgesehen. Daneben gibt es u. a. eine Schreibwerkstatt, ein Übungsassessment für Aufnahmeverfahren, Kurse zu Stress und Konflikten, zum richtigen Auftreten im Job, zu gesunder Ernährung. Ein persönlicher "Guide" erarbeitet mit dem Kunden im Erstgespräch die Zusammenstellung der Module – und achtet darauf, dass sie zum Bedarf passen. Die Guides sind auf verschiedene Zielgruppen spezialisiert – Langzeitarbeitslose, Ältere, Migranten. "Der Guide muss die Kurse verkaufen", sagt Stecher. Offenbar mit Erfolg: Ein Renner sei das Modul "Vorstellungsgespräch mit Videoanalyse". Früher, als dieser Kurs im Rahmen der Aktivierung verpflichtend war, habe es davor reihenweise Krankenstände gegeben, sagt die Institutsleiterin.

Nach dem Kursbesuch können die Teilnehmer in der "Karriere-Lounge " im Internet nach Jobs suchen, ein Betriebskontakter legt die Rutsche zu möglichen Arbeitgebern. In der EDV-Lounge gibt es Hilfe beim Verfassen von Bewerbungsschreiben.

Die Kurse werden laufend evaluiert, bei Bedarf werden Inhalte geändert, sagt Andrea Stecher. Wie erfolgreich das Programm tatsächlich ist, wird sich Ende 2015 zeigen.

Neu in Wien

Die AMS-Jobwerkstatt wird je nach Region und Zielgruppe von verschiedenen Trainingsinstituten angeboten. Es gibt beispielsweise eine eigene Jobwerkstatt für MaturantInnen, AkademikerInnen und Führungskräfte, die von ipcenter, BFI Wien und alea+partner umgesetzt wird.
Das AMS-Programm läuft vorläufig bis Dezember 2015 und ermöglicht 16.000 Teilnahmen für Arbeitslose.
Die Kosten belaufen sich für das AMS Wien auf 10,5 Millionen Euro.

Ende der Aktivierungskurse

Rund 80 Prozent der Beschwerden über die „nutzlosen“ Aktivierungskurse kamen aus Wien. Laut AMS liegt der Grund darin, dass im Wien Ballungsraum eine persönliche Betreuung nur schwer möglich gewesen sei. Das AMS Wien mit seinen 13 Geschäftsstellen betreut jährlich rund 35.000 Schulungsteilnehmer.

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