Essen, tanken, wohnen: Ist das Leben tatsächlich viel teurer geworden?
Die Preise stiegen seit einem Jahr um 2,7 Prozent - für die meisten fühlen sich Alltagsausgaben viel höher an. Woran das liegt und was wirklich mehr kostet.
Beim Essengehen merken es die meisten. Die Preise sind gestiegen. Kaffee, Bier, Schnitzel – auf nicht wenigen Menükarten haben sich die Preise von Getränken und Speisen merklich erhöht. Wolfgang Binder, Chef des Café Frauenhuber in Wien, hob die Preise bereits im Sommer vor einem Jahr an.
Ein Cappuccino kostet seither 4,90 Euro, das Schnitzel 14,80 Euro. „Im Schnitt sind wir 2,5 Prozent teurer geworden, unter anderem, weil sich Wareneinsätze wie Milch oder Fleisch verteuert haben.“ Zudem seien in diesem Jahr auch die Löhne in der Gastronomie um rund 2,2 Prozent gestiegen.
Um weiterhin kostendeckend arbeiten zu können, sei er gezwungen die Erhöhung an die Kunden weiterzugeben, so der Gastronom. „Im Verkaufspreis von einer Tasse Cappuccino sind nicht nur die Kosten für Kaffeebohnen und Milch einkalkuliert, sondern anteilsmäßig auch Fixkosten wie Lokalmiete, Personalgehälter oder Stromgebühren.
Lohnkosten machen dabei fast die Hälfte des Verkaufspreises für ein Produkt aus“, erklärt Binder. „Wenn es da eine Verteuerung gibt, muss auch ich meine Preise anpassen.“
Höhere Preise, trotz gesenkter Mehrwertsteuer
Dass Restaurant- und Hotelbesuche nicht nur gefühlt mehr kosten, zeigt auch die Statistik: Im Juni 2021 haben sich die Preise hier im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um 3,3 Prozent erhöht, zeigt eine Auswertung der Statistik Austria für den KURIER. Und das, obwohl die Mehrwertsteuer für gastronomiebetriebe auf fünf Prozent gesenkt wurde.
Dass Wirte mehr für ihre Zutaten zahlen und Speisen damit teurer werden, ist aber nur eine Teilerklärung. „Gastronomie und Tourismus waren von den Covid-bedingten Schließungen besonders betroffen, der Ausfall an Umsätzen und Gewinnen hat nach der Öffnung zu Preiserhöhungen geführt. Außerdem ist die Buchungslage im Inlandstourismus gut, die Nachfrage steigt, auch das führt zu höheren Preisen“, erklärt Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International.
Verkehr, Bekleidung, Wohnen
Die stärksten Preisveränderungen aber spüren die VerbraucherInnen mit einem Plus von 6,5 Prozent in einem anderen Bereich: Im Verkehr. Benzin und Diesel wurden merklich teurer (siehe Grafik weiter unten). „Hier zeigt sich der sogenannte Basiseffekt: Während der Pandemie waren die Preise stark zurückgegangen. Nun greift die Erholung und das zeigt sich in Form einer höheren Inflationsrate“, so Brezinschek.
Bekleidung und Schuhe wurden im Durchschnitt um 4,2 Prozent teurer – was damit erklärt wird, dass Händler ihre Waren nach der Wiedereröffnung der Geschäfte durch enorme Rabatte verkaufen mussten und nun die Preise wieder angehoben wurden. Wohnung, Wasser und Energie kosten im Schnitt um 3 Prozent mehr, die Instandhaltung von Wohnungen 3,8 Prozent, Mieten stiegen um 2,5 Prozent.
Insgesamt kletterte die Inflationsrate in Österreich im Juli laut Statistik Austria im Schnitt auf 2,7 Prozent – die Preise steigen, das Leben wird teurer. Für den Anstieg sind laut Berechnungen der Behörde vor allem die preistreibenden Bereiche Verkehr und Wohnen verantwortlich – rückblickend betrachtet stellt dieser Wert einen großen Preissprung dar. Eine ähnliche Verteuerung findet sich in den Statistiken in Österreich seit Jahren nicht mehr. Brezinscheks Schätzungen zufolge könnte sie bis Jahresende auf 3,5 Prozent oder sogar vier Prozent steigen.
Verbraucherpreisindex als Maßstab
Als Maßstab für die Preisentwicklung wird von der Statistik Austria der Verbraucherpreisindex berechnet. Dabei wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt, der den typischen Ausgaben eines Privathaushalts entsprechen soll.
Aktuell besteht er aus 756 einzelnen Waren und Dienstleistungen,darunter Lebensmittel, Kleidung, elektronische Geräte, Mieten oder Versicherungen. Allerdings wirkt die offizielle Inflationsrate für viele VerbraucherInnen nicht nachvollziehbar. Denn die Teuerungen spiegeln sich nicht unbedingt im täglichen oder wöchentlichen Einkauf wider. Sprit, Essen, Miete – alles erscheint viel teurer, als es die Statistiken ausweisen.
Mit den Preisberechnungen der Statistik Austria hat das nichts zu tun – die Behörde schickt monatlich MitarbeiterInnen in Supermärkte und Geschäfte, um penibel die Preise der einzelnen Produkte auf den neuesten Stand zu bringen, und führt alle fünf Jahre eine Konsumerhebung mit über 7.000 Haushalten durch.
Teuerungen je nach Einkommen unterschiedlich
Die unterschiedliche Wahrnehmung erklärt sich dadurch, dass die Inflationsrate ein Durchschnittswert ist und der Warenkorb damit auf keinen Verbraucher ganz genau zutreffen kann. So wirken sich Teuerungen von notwendigen Ausgaben wie Essen oder Miete bei einkommensschwächeren Haushalten auch stärker aus als bei finanzkräftigen.
Auch die Gewichtung und Messung der Wohnkosten im Warenkorb decken sich nicht immer mit der Realität eines einzelnen Verbrauchers. So liegt die Gewichtung der Mieten bei 5,5 Prozent, tatsächlich aber müssen große Teile der Bevölkerung viel mehr des verfügbaren Einkommens für Wohnkosten aufbringen.
„Die 5,5 Prozent ergeben sich, weil nur etwa 40 Prozent der österreichischen Haushalte zur Miete wohnen, 60 Prozent sind Eigentümer oder leben in institutionellen Einrichtungen. Im Warenkorb aber müssen alle Wohnformen abgebildet sein – die Ausgaben verteilen sich“, erklärt Ingolf Böttcher, Leiter der Preisstatistik der Statistik Austria.
Gefühlte Inflation
Dass sich die offizielle Teuerung mit der persönlichen Wahrnehmung oft nicht deckt, wird von Experten auch „gefühlte Inflation“ bezeichnet. In Österreich gibt es dazu keine systematischen Erhebungen, jährliche Umfragen der EU-Kommission zeigen allerdings:
Bürger empfinden Preiserhöhungen viel stärker als es die EU-Statistik-Behörde Eurostat aufweist. So lag die offizielle Teuerungsrate Anfang dieses Jahres bei rund einem Prozent, die Menschen bezifferten ihre persönliche Inflation jedoch mit 4,5 Prozent.
Preissteigerungen bei Waren, die häufig konsumiert werden, sind präsenter. Das wiederum führt dazu, dass die tatsächliche Inflationsrate überschätzt wird.
von Reinhold Russinger
Arbeiterkammer Wien
„Preissteigerungen werden von Menschen eher wahrgenommen als Preissenkungen“, erklärt Reinhold Russinger von der Arbeiterkammer Wien. Zudem: Jeder private Haushalt gibt sein Geld für andere Dinge aus. „Preissteigerungen bei Dingen, die häufig konsumiert werden, sind präsenter. Das wiederum führt dazu, dass die tatsächliche Inflationsrate überschätzt wird.“
Wer also täglich zwei bis drei Kaffees konsumiert, häufig tankt oder aus Gewohnheit dasselbe Gebäck beim selben Bäcker kauft, wird Preisänderungen hier auch eher bemerken. Bei Dingen, die man selten erwirbt, etwa Autos oder Laptops, nimmt man sie hingegen kaum wahr.
Gerade hier steigen Preise kaum, aktuell sinken sie bei Smartphones sogar. „Hat ein Gerät zum Beispiel mehr Speicherplatz als das Vorgängermodell, wird dies von den Statistikern als Preissenkung gewertet – es gibt mehr Qualität fürs Geld, auch wenn der eigentliche Verkaufspreis gleich bleibt.“
Rückkehr der Inflation?
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung lautet nun die Frage: Ist die Inflation nach langer Abwesenheit wieder da? Nein, sagt Chefanalyst Brezinschek. Bislang könne man noch nicht von einer Inflation „im eigentlichen Sinne“ sprechen.
Von einer Inflation im eigentlichen Sinne können wir noch nicht sprechen, doch die Gefahr besteht durchaus – verharmlosen sollte man die Steigerungen nicht.
von Peter Brezinschek
Raiffeisenbank International
„Dafür bräuchte es einen Prozess dauerhaft steigender Preise und Löhne. Derzeit sehen wir aufgrund einer vorherigen Wirtschafts- und Gesundheitskrise Aufholeffekte in Form von Preiserhöhungen“, so der Experte. „Verharmlosen will ich die Entwicklung aber nicht, die Gefahr einer Inflation besteht durchaus.“
Lohnverhandlungen im Herbst
Doch vorerst bleibe abzuwarten, wie die Lohnverhandlungen im Herbst ausgehen, so Brezinschek. Ein Plus von 2,2 bis 2,5 Prozent sei für Unternehmen verkraftbar. Wenn wie erwartet, die Inflationsrate zum Zeitpunkt der Verhandlungen bei über drei Prozent liegt, könnten auch Gewerkschaften eine höhere Abgeltung für die Teuerung verlangen.
„Das wiederum könnte zu einem Zweitrunden-Effekt führen“, so Brezinschek. Heißt, die Privatwirtschaft gibt die Erhöhungen weiter an die Verbraucherpreise, die Lohn-Preis-Spirale, typisch für eine Inflation, beginnt sich zu drehen.
Spätestens dann würde auch die Europäische Zentralbank (EZB) unruhig werden. Denn diese ist erst bei Preissteigerungen auf „mittlere Sicht“ alarmiert, also wenn sie zwei Jahre über dem Niveau von 2 Prozent liegen. Erst dann käme es zu einer Geldentwertung.
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