"Es ist keine Lebensentscheidung"

Selbst wenn man sich für eine Ausbildung entscheidet, ist der Beruf letztlich oft ein anderer, sagt Berufsforscher Wolfgang Bliem.
Jugendliche haben unrealistische Job-Vorstellungen, sagt Forscher Bliem. YouTuber sieht er als Beruf.

YouTuber als Beruf? Das geht, meint Wolfgang Bliem. Er ist Wissenschafter am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw). Andererseits sagt er: Jugendliche haben unrealistische Vorstellungen zum Beruf – und brauchen viel mehr Unterstützung bei der Wahl.

KURIER.: Wenn Sie einen 14-jährigen Sohn oder Tochter hätten, was würden Sie zur Ausbildung raten?

Wolfgang Bliem: Mein Sohn ist 13. Das Um und Auf ist, dass man sich seiner Interessen bewusst wird – einer der schwierigsten Punkte. Zweitens muss man sich überlegen, kann ich das auch gut und welche Kompetenzen fehlen mir. Hinzu kommt: Selbst wenn ich mich für eine Ausbildung entscheide, ist der Beruf letztlich oft ein anderer.

Im Vergleich zu anderen EU-Ländern müssen in Österreich schon 14-Jährige entscheiden: Schule oder Lehre. Ist das sinnvoll?

Wenn es gut vorbereitet ist. Viele Entscheidungen fallen in diesem Alter, die zu einem späteren Zeitpunkt so nicht fallen würden.Vieles wird dem Zufall überlassen. Die Entscheidung muss viel stärker von Beratung und Lehrern unterstützt werden. Andererseits wird die Berufswahl zu ernst genommen. Sie ist keine Lebensentscheidung. Man hat 80 Jahre, in denen sich Schwerpunkte und Interessen verändern. Wichtig ist nur, dass man sie durchzieht.

Was spielt in die Berufswahl hinein? Die Eltern?

Ja, auch die Freunde. Die Frage ist, wie man Jugendliche zum Thema Beruf und Ausbildung erreicht – über Social Media wollen sie nicht erreicht werden. Das geht eher über Schulen, hier müssen Lehrer stärker ausgebildet werden. In einem Sportgymnasium in Innsbruck fragte der Bildungsberater in die Runde, was sie werden wollen. Durch die Bank sagten die Jugendlichen, Anwalt oder Arzt. Die Vorstellungen von Berufen sind stark durch Medien, Serien geprägt. Seit CSI steigt das Interesse am Beruf Forensiker.

Die Berufs- und Bildungsberatung müsste diese Bilder zurechtrücken, schafft es aber offenbar nicht.

Es gibt zu viele Möglichkeiten und zu viel zurechtzurücken. Auch bei noch so guter Information kann man als Berater nicht über alles Bescheid zu wissen.

In Niederösterreich gibt es den Begabungskompass in Schulen. Wäre das nicht österreichweit sinnvoll?

Das ist ein neuer Trend. Es gibt in fast jedem Bundesland flächendeckende Angebote zu Interessenstests – die Schiene, was will ich, was kann ich. Die Jugendlichen müssen aber realistische Vorstellungen vom Beruf bekommen. Da führt nichts am Schnuppern in Betrieben vorbei. Die berufspraktischen Tage in Schulen müssen ausgebaut und ernsthafter angegangen werden. Oft besuchen die Kinder nur den elterlichen Betrieb und nicht einen, für den sie wirklich tätig sein wollen.

Welche Kompetenzen brauchen die Jungen?

Wir machen derzeit ein Projekt zu new skills mit dem Arbeitsmarktservice (AMS). Die Kompetenzen sind nicht neu, werden aber verstärkt nachgefragt: Fremdsprachenkenntnisse werden im Kundenkontakt wichtiger – sogar im Supermarkt. Früher hat man sich durchgewurschtelt. Bei neuen Medien haben die Jungen keine Scheu, aber auch wenig Sensibilität, was sie ins Netz stellen – Recruiter informieren sich aber im Internet über ihre Bewerber.

Was braucht der Arbeitsmarkt – mehr Akademiker oder mehr Lehrabsolventen? Die Zahl der Lehrbetriebe sinkt, andererseits klagen Betriebe über zu wenig Nachwuchs. Hier sind sie gefordert. Akademiker müssen sich Gedanken machen: Bildung – wofür? Der akademische Abschluss allein wird nicht mehr reichen. Die Titelsucht wird durch Master und Bachelor zurückgehen.

Sollte man nicht Maturanten auch für die Lehre sensibilisieren?

Einige Betriebe sprechen gezielt Abbrecher und auch Maturanten aus Gymnasien an. Gibt es künftig mehr solcher Maturanten, muss man für sie eigene Berufschul-Klassen einrichten.

Lehre mit Matura funktioniert nicht, wie sie sollte. Warum?

Wir haben immer noch eine verfestigte Bildungstradition – entweder Matura mit anschließendem Studium oder Lehre. Das löst sich langsam auf.

Das Image der Lehre war auch schon einmal besser.

Sie als Ausbildung zweiter Klasse zu sehen, ist eine Geringschätzung der Jugendlichen. Man muss viel mehr die Veranlagung des Einzelnen sehen: Bin ich praktisch veranlagt, ist die Lehre die bessere Wahl, ansonsten die AHS. Es ist einfacher, als Lehrabsolvent im Betrieb zu bleiben, als nach Schule oder Studium einen Job zu finden.

Wie müssen sich Ausbildungen künftig verändern?

Die Reaktionszeiten müssen kürzer werden. Lehre und Fachhochschulen sind da flexibler, weil direkt in den Betrieben gelernt wird. Dort ist man laufend mit Innovation konfrontiert.

Sie haben die Plattform Bic.at mitentwickelt. Sprechen Sie damit die Jungen auch wirklich an?

Wir haben 1600 Berufe und einen Interessenstest online. Wir wollen den YouTuber als Beruf aufnehmen, um die Jungen anzusprechen. Damit werden wir keine Massenbeschäftigung erreichen. Aber es ist vielleicht für manche ein Betätigungsfeld neben dem Studium.

Der Wissenschaftler ist seit 2004 am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft beschäftigt – mit Fokus auf Bildungs- und Berufsinformation sowie Arbeitsmarkt- und Qualifikationsforschung. Er hat auch das Brettspiel „Abenteuer Berufswahl“ entwickelt. www.ibw.at.

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