eMails: Ohne jeglichen Anspruch

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Das CC in der eMail-Konversation wird inflationär verwendet: Zur Machtdemonstration, um Druck auszuüben, um die eigenen Erfolge zu betonen. Aber eMail ist sowieso bald obsolet.

Joseph E. Stiglitz gewann einen Nobelpreis, schreibt Kolumnen für die New York Times, unterrichtet an der Columbia University. Wenn man keine Antwort auf eMails erwartet, dann von ihm. Schwerer Irrtum.

Stiglitz’ Mail-Anfragen werden nicht nur beantwortet, die Interviewabsage geht runter wie Öl. Da heißt es „Thank you“, „Best Regards“, man wird persönlich angesprochen, solle sich bitte wieder melden. Abkürzungen? Keine. CC? Niemand. Zugegeben: Stiglitz antwortet mithilfe seiner Public-Relations-Managerin. Trotzdem: Eine Antwort – von wem auch immer – ist ein Zeichen der Wertschätzung, des Respekts. Vielen der 2,2 Milliarden eMail-Usern weltweit fehlt dafür jedes Gespür. 144 Milliarden eMails werden täglich um den Globus gejagt, die wenigsten in wertschätzender, höfliche r Form.

„Weder Leser noch Verfasser haben inzwischen den Anspruch auf Fehlerlosigkeit, auf die richtige Punktation, auf Groß- und Kleinschreibung“, beobachtet Florens Eblinger. Der Personalberater erzählt sogar von Bewerbungen, die ohne jede Form eingesendet würden. „Vor zehn Jahren wäre es noch ein K.-o.-Urteil gewesen, wenn alles kleingeschrieben wird. Heute wird es akzeptiert“, sagt er. Zum Trost: eMail-Bewerbungen mit Liebe zum Detail würden jedenfalls mehr geschätzt.

Carbon Copy

Die Unbedarftheit vieler Schreiber fällt auch Kommunikationstrainerin Gabriele Cerwinka auf. Zu wenige eMails seien ziel- und empfängerorientiert geschrieben. „Eine eMail ist dann erfolgreich, wenn der Leser weiß, was er nach dieser eMail zu tun hat“, stellt Cerwinka klar. Selten sei das der Fall. Noch seltener bei CC, der digitalen Kohlekopie.

Dabei wird diese Form besonders häufig verwendet. Das Motiv: Im besten Fall dient CC der Information, oft will der Sender damit aber Druck ausüben. „Wenn es nicht nur der Information dient, müsste der Vorgesetzte sofort reagieren und es unterbinden“, sagt Cerwinka.

Ein weiteres Motiv: Der sogenannte Marktschreier-Komplex. „Statt der täglichen Gesichtswäsche vor dem Chef setzen ihn manche ständig in CC, um die eigenen Erfolge hervorzustreichen“, sagt Cerwinka. Selbst schuld, wer es nicht tut, könnten die Marktschreier entgegnen. Sie haben in Cerwinka keine Fürsprecherin: „Der Chef sollte das ebenso unterbinden.“

Reaktion wird vom Kopieempfänger in der Regel übrigens nicht erwartet.

Das Ende des eMails

41 Jahre nachdem der Programmierer Ray Tomlinson die erste Nachricht von einem Rechner zum anderen schickte, sprechen Experten schon wieder vom Ende der Ära, schicken das eMail als Brückenmedium ins Grab. Die Rückkopplung dauere zu lange, die Nutzungsmöglichkeiten seien eingeschränkt und die eMail-Flut zu groß, um sie ohne Kollateralschäden zu bewältigen. Es gebe schnellere, intelligentere und effizientere Möglichkeiten, sind die modernen Philosophen – oft IT-Genies – überzeugt.

Eine der ersten Firmen, die dem Mailprogramm eine Absage erteilt, ist der französische IT-Dienstleister Atos. Bis Ende des Jahres wird das eMail aus der internen Kommunikation verbannt, werden 74.000 Mitarbeiter großteils über blueKiwi, eine Art Social Network, kommunizieren. Chef Thierry Breton hat bei der Ankündigung des Plans 2011 jede Menge Kopfschütteln geerntet. Kritiker zweifeln. Wie soll das funktionieren? Ist ein Unternehmen ohne eMail überhaupt handlungsfähig? Martin Bergant, verantwortlich für das Atos Projekt „Zero eMail“ in zehn Ländern, ist davon überzeugt, dass die Arbeit ohne eMails wesentlich effizienter ist. „Unsere Mitarbeiter haben bestätigt, dass nur 30 Prozent der eMails relevant waren, für ihr Mailbox-Management haben sie bis zu 20 Stunden pro Woche aufgewendet“. Aufgerechnet auf 74.000 Mitarbeiter wurde so jede Menge Arbeitszeit sinnlos vertan. Atos wollte mit dem Umstieg auf Social Media nicht nur effizienter werden, sondern in Zukunft auch mehr Top-Talente anziehen.

Die Umgangsformen würden laut Bergant nicht unter dem neuen System leiden. Im Gegenteil: Die Qualität der Kommunikation habe sich verbessert, weil man das Gesicht des Kommunikationspartners kennt. Wenn Absender und Adressat ein Gesicht haben, ist es schwerer, ein Rüpel zu sein.

LG „Es gibt offenbar bei den Grußformeln eine Gefühls-Inflation, es wird seit Jahren immer intimer“, schreibt Harald Martenstein vor einigen Monaten in der Zeit. Das beobachten auch wir: Ohne der Liebe geht in der eMail-Konversation scheinbar gar nichts mehr. Dabei ist die Anrede „Lieber Herr Martenstein“, nur dann adäquat, wenn man eine beinah freundschaftliche Beziehung pflegt. „Sehr geehrter Herr Martenstein“ ist zwar sehr formell, aber noch immer zu empfehlen (bloß nicht mit S.g. Hr. abkürzen; wenn vorhanden, den akademischen Titel – aber nur den höchsten – anführen). Auf die Anrede folgt ein Beistrich (kein Rufzeichen!), auf eine Zeile Abstand eine aussagekräftige Einleitung. Nach der ÖNORM schließt das Mail mit emotionslosen „Mit freundlichen Grüßen“, die Liebe ist auch hier für gute Bekannte reserviert.

Re Kommunikationsberaterin Gabriele Cerwinka rät, den Betreff so konkret wie möglich zu formulieren. „Der Betreff sollte Wort und Zahl (Meeting: 13. 4.) beinhalten“. Wird eine Mailkonversation fortgesetzt, sollte spätestens bei der dritten Antwort das „Re:“ gelöscht und durch einen aktuellen Betreff ersetzt werden.

BCC Das berüchtige BCC (Blind Carbon Copy, die Blindkopie) ist bei Newslettern ein Segen, in der direkten Korrespondenz jedoch verpönt: Denn Transparenz ist das oberste Kommunikationsgebot. Cerwinka: „Wenn der Konversationspartner erfährt, dass ein Dritter ohne sein Wissen mitliest, ist das ein großer Vertrauensverlust. Der ist nur schwer wieder gutzumachen.“

Gerit Götzenbrucker erforscht an der Universität Wien, was man nach Kommunikationswissenschafts-Legende Paul Watzlawick nicht nicht kann: kommunizieren.

KURIER: Wie sehen Sie die Zukunft der eMail – ist sie nach 41 Jahren obsolet?
Gerit Götzenbrucker: In einem groß strukturierten Unternehmen ist die Mail-Kommunikation noch immer das vorherrschende Kommunikationsmittel. In Start-ups hat sich die Kommunikation jedoch bereits auf Apps oder Social Media verlagert. Die großen Konzerne liebäugeln natürlich mit diesen Neuerungen. Doch ist es wohl noch zu früh, hier komplett umzusteigen. Wie das in Zukunft aussehen wird, hat stark mit der Unternehmenskultur zu tun: Das Management muss entscheiden, wie die Mitarbeiter kommunizieren sollen.

Neue Technologien ermöglichen schnellere Kommunikation. Was hat sich dadurch verändert?
Kommunikation ist flapsiger, man schreibt schnell etwas, das einem später leidtut. Der emotionale Haushalt ist vor der Tastatur etwas gestört. Die ständige Erreichbarkeit hat sich in unseren Alltag geschlichen – wir bemerken eine Turboisierung der Arbeitswelt. Es wird erwartet, dass man in wenigen Minuten antwortet und Entscheidungen trifft. Heute sind alle Schleusen geöffnet.

Sie erforschen das Verhalten Jugendlicher, arbeiten mit Studierenden. Wie kommunizieren Sie?
Das Smartphone ist inzwischen weit verbreitet und es hat andere Wege der Kommunikation geöffnet. Jugendliche kommunizieren zunehmend über WhatsApp, diese Anwendung ersetzt den eMail-Kanal. Der Vorteil ist, dass man mit mehreren Leuten gleichzeitig kommunizieren kann, man kann sich besser in der Gruppe oder im Team organisieren – es ist disponibler, also sofort verfügbar und vielseitig einsetzbar.

Bekommen Sie noch Antworten auf eMails?
Wenn ich Studierenden eMails schicke, dann kriege ich oft keine Antwort. Wenn man nicht im erlauchten WhatsApp- oder Facebook-Kreis ist, wird man von der Kommunikation ausgeschlossen.

CC, BCC und ähnliche Kommunikations-Übel haben sich ebenso in den Alltag geschlichen.
CC ist ein Demonstrations- und Machtinstrument. Man gibt Verantwortung ab, spielt auf Zeit, indem man eine Sache weiterleitet. Manchmal hat es aber auch diese „Schauen Sie, was der mir antut“-Komponente. BCC ist total unlauter. Immerhin ist Transparenz ein wesentlicher Punkt in der Kommunikation. Unser neues Mail-System hat etwa keine BCC-Funktion mehr. Mit offenen Karten zu spielen ist in den meisten Situationen absolut notwendig.

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