Ein Jahr Einschränkungen. Die neue Realität zum Jahrestag
Die Sorgenfalten und Augenringe liegen tief im Gesicht des Gastronomen, der um Punkt 19 Uhr die Türen zum Ausgabe-Tisch seines Kaffeehauses in der Innenstadt schließt.
Vor der Türe steht kurz vor der Sperrstunde nur der harte Kern der Stammgäste. Völlig verzichten wollen sie auf ihren geliebten Rückzugsort nicht. So stehen sie in kleinen Grüppchen – mit Abstand, zwinkern sich freudig zu.
Es sind die Menschen, die sich sonst selbstverständlich den Stammtisch teilen würden. Wenige Minuten später ist die spontane Freude vorbei. Man nickt sich wehmütig zu, hofft auf ein baldiges Wiedersehen.
Normalerweise wurde hier flammend über die Sperrstunde um Mitternacht diskutiert. Doch der Begriff „Normal“hat in den vergangenen 365 Tagen eine neue Bedeutung bekommen.
Ein trister Jahrestag
Denn am 25. Februar 2020 kam das Virus nach Österreich. In Innsbruck wurde ein italienisches Paar positiv auf Corona getestet.
Am 13. März die Verkündung, am 16. März der erste Lockdown.
Schulen und Kindergärten sperrten zu, Homeoffice wurde empfohlen, Veranstaltungen verboten, Handel, Gastronomie und Hotellerie schließen. Nur systemrelevante Bereiche bleiben in Betrieb. Der Run auf Klopapier-Rollen und Pesto-Genovese bestimmen von nun an den Alltag.
Es folgt das Auf und Ab.
Nach einem entspannten Sommer, dann im Herbst der Rückschlag: Die Infektionszahlen steigen, bis im November der "Lockdown Light“ und Ende Dezember der dritte Lockdown ausgerufen werden.
Ein Fazit zu ziehen ist schwierig. Während einige Branchen wie der Tourismus und Gastronomie dramatische Umsatzeinbußen verzeichnen, können andere weiterarbeiten, sogar Gewinne erzielen.
Insgesamt aber kommt Österreich wirtschaftlich schlecht durch die Pandemie. Das vergangene Jahr mit Lockdowns und Reisebeschränkungen drückt die Wirtschaftsleistung.
Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft laut Bericht der EU-Kommission um 7,4 Prozent, für 2021 hat sie die Wachstumserwartungen von 4,1 auf 2 Prozent halbiert.
Wie wurde das erste Corona-Jahr empfunden?
Ein persönlicher Einblick in die neue Welt der Gastro, Eventbranche, Dienstleister und Büroarbeiter:
„Es gibt Schlimmeres als einen Lockdown“
Gastronom Radosevic über ein Jahr Corona und warum frischer Fisch kein Take-away ist:
„Der Lockdown vor einem Jahr kam nicht überraschend. Ich kannte die Bilder aus China und Italien und habe erwartet, dass es auch hier passiert.
Aber leicht war es trotzdem nicht. Mein Bruder Mijo und ich haben das Restaurant seit 20 Jahren und das war das erste Mal, dass es eine Unterbrechung gab.
Die größte Sorge war, dass es viele Todesopfer geben wird und wie sich das weiterentwickelt. In zweiter Linie sorge ich mich, wie wir weitermachen.
Es ging uns, wie allen anderen. Wir sind keine Ausnahme, es sind alle betroffen und wenn es anderen schlecht geht, geht es uns auch schlecht. Wir können damit leben.
Aber für das Restaurant war das Jahr schwierig.Die ersten zwei Monate waren schlimm. Am Ende gab es große finanzielle Engpässe, Hilfen waren noch nicht definiert. Ich bin studierter Ökonom, ich hab mich dann auf Liquidität konzentriert.
In diesem Moment gab es nur die Überlegung, wie wir alle Kosten auf null senken können. Dann weitere zwei Monate später kamen die ersten Hilfen. Inzwischen haben wir alle Reserven aufgebraucht. Da sind wir auch mit privatem Geld eingesprungen, damit wir auf der sicheren Seite sind.
Wir haben den ganzen Dezember dann Take-away angeboten. Aber das hat uns mehr gekostet, als es eingebracht hat. Es liegt wohl daran, dass wir ein Fischrestaurant sind. Wir verkaufen das Erlebnis: Urlaub, Wein, Fisch. Wenn unser frischer Fisch durch die Abholung erst eine Stunde später konsumiert wird, hat das nicht mehr die gleiche Qualität.
Aber bald wird es anders. Wenn wir ab 27. März mit Abstand die Schanigärten öffnen dürfen. Was sich verändert hat? Der Abstand, das Aufpassen und dass Gastro heute nicht mehr nur vor Ort sondern auch zu Hause stattfindet. Aber es gibt Schlimmeres als den Lockdown. Ich habe auch einen Krieg erlebt, ich war damals in Kroatien. Vielleicht ist der Lockdown jetzt für mich leichter. Weil ich weiß, es ist nicht das Ende der Welt, nicht trinken und essen gehen zu können.“
„Hoffen und Bangen“
Friseurin Katharina Halmer vermisst Sicherheit
„Es ist ein stetiges Auf und Ab, ein Hoffen und Bangen. Kurz nach der Wiedereröffnung hatten wir sehr viel zu tun, jetzt wird es wieder ruhiger. Es herrscht einfach eine große Verunsicherung, denn die Sorge, dass die Infektionszahlen steigen, ein nächster Lockdown kommt, ist immer präsent.
Mit dem Optimismus ist es schwierig. Zuerst macht man sieben Wochen lang nichts und dann arbeitet man plötzlich über 60 Stunden pro Woche, das ist körperlich und psychisch anstrengend.
Wir sind heilfroh, dass wir wieder arbeiten dürfen, aber es begleiten uns viele Sorgen. Wir haben zwar das Geld für die Kurzarbeit ausgezahlt bekommen, aber wir hatten ja keine Gelegenheit, uns selbst einen Polster zu erwirtschaften.
Der einzige den wir haben, ist der Kredit, den wir im ersten Lockdown aufgenommen haben. Wenn der aufgebraucht ist, müssen wir überlegen, wie wir weiter tun.
Die verpflichtenden Tests werden von den Kunden gut angenommen, allerdings gibt es auch immer wieder Absagen, weil die Tests nicht stattfinden konnten.
Die freien Termine können wir nicht nachbelegen, weil kaum jemand spontan Zeit hat und keiner spontan testen kann. Der Wohlfühlfaktor beim Friseur ist nicht mehr derselbe.
Zu einem Friseurbesuch gehört dazu, dass man Kaffee serviert bekommt, das geht im Moment ja nicht. Zudem machen sich die Kunden weniger Termine aus. Wer früher alle vier Wochen kam, kommt jetzt alle sieben Wochen – das spüren wir natürlich.
Ein anderes großes Thema in der Branche ist auch die Schwarzarbeit. Da wurden Friseure während der Lockdowns nach Hause geholt zum Haareschneiden, die Hemmschwelle ist da gefallen. Ich denke, das wird uns auch weiter begleiten.“
„Man zeigt sich privat“
Peter Haslehner ist seit einem Jahr im Heimbüro
„Ich arbeite seit 20 Jahren als Channel Sales Manager für HP Österreich. Seit dem 14. März 2020 arbeite ich im Homeoffice, nur zwei Mal musste ich ins Büro. Ich hatte bereits Erfahrung damit, ein Team aus der Entfernung zu leiten. Denn die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten gibt es bei HP bereits seit den 90-er Jahren – allerdings nicht fünf Tage pro Woche. Mein Team besteht aus zwölf Personen, die ich seit einem Jahr nicht mehr persönlich gesehen habe. Alle Meetings finden online statt. Als Führungsperson ist es wichtig, Vertrauen in seine Mitarbeiter zu haben. Schließlich kann ich keine Präsenzzeiten kontrollieren. Ich habe nicht im Blick, ob sie von 8 bis 17 Uhr arbeiten. Das ist für mich auch nicht entscheidend. Ich messe die Leistung meiner Mitarbeiter nicht danach, wie viele Stunden sie vor Zoom sitzen oder wie viele Meetings sie machen. Mein Team hat klare Ziele. Es geht um die Ergebnisse.
Was sich verändert hat:Dass man zusätzlich zur Arbeitsbelastung auch andere Themen nebenbei hat. Mein Sohn war zehn Wochen voll zuhause und es wurde erwartet, dass wir normal weiterarbeiten – aber das hat sich bald in eine positive Richtung gedreht. Interessant ist, dass bei Video-Calls alle die Kamera anhaben. Das war früher nicht so. Man sieht, wer einen Hund hat, wenn die Katze über den Schreibtisch wandert oder ein Kind nach Eis verlangt.
Der Kontakt ist zwar digitaler, aber trotzdem persönlicher geworden. Man zeigt mehr aus seinem Privatleben, auch in Kundengesprächen. Wäre es jetzt Viertel nach drei, würde mein Sohn zu mir kommen und eine Umarmung bekommen, da kann am Notebook sein, was will. Und das ist die neue Realität, die auch bei anderen so ist.“
„Es tut weh, zu wissen, dass ich mit der Pandemie Geld verdiene“
Roland Lehner ist mit seiner Firma Event Saftey seit 2012 Teil der Kulturbranche – nun ist alles anders
„Im Jänner, Februar wird es immer ruhig in der Kulturbranche. Also mache ich dann meistens Urlaub. Im Februar vor dem Lockdown war ich mit meinem Bruder, der Arzt ist, auf Kuba. Dann musste er plötzlich zurück, weil ihn seine Ordination brauchte. Und dann der Lockdown.
Meine Firma besteht aus 118 Menschen, 65 davon Vollzeit. Wir sind TürsteherInnen, OrdnerInnen und sorgen normalerweise in Clubs, auf Konzerten, 20-30 Festivals für Sicherheit. Aber plötzlich war es ruhig. Und wir haben uns umorientiert.
Wir haben einen sehr guten Ruf in der Branche, in den Clubs, bei Konzertveranstaltern und in der queeren und LGBTQ-Szene. Wir dulden keinen Rassismus, keine Homophobie. Das ist mir sehr wichtig. Wir gehen mit jedem respektvoll und sensibel um.
Als in der Eventsicherheitsbranche das große Reißen um die Jobs in den Supermärkten losging, wer die Einkaufswägen polieren darf, sind wir auf die Teststraßen gegangen. Die Arbeit dort ist mit unserer in der Kultur zu vergleichen.
Menschen in den Teststraßen sind emotional, warten manchmal lange, sind nervös, manche brechen vor unseren Augen zusammen.Das ist eine sensible Situation. Der Unterschied zu Events ist, dass Menschen dort trinken und es manchmal eskaliert. Auch da braucht es menschliches Verhalten.
Die Kultur war verständlicherweise nicht existent. Mein neuer Alltag ist, dass ich jetzt 18 Stunden vor dem Laptop sitze. Ich arbeite mehr als je zuvor. Und das ist ein schmerzlicher Gedanke, zu wissen, dass das gerade durch die Pandemie passiert. Der Erfolg hat einen bitteren Beigeschmack.“
Am 13. März 2020 hat sich alles verändert. Damals waren 400 Menschen in Österreich positiv auf das Coronavirus getestet worden. Es kam zum ersten Lockdown. Ein Gang durch die Realität und die Wiener Innenstadt zeigt, wie das Alltagsleben heute aussieht. Eine Fotostory:
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