Doch ein Überflieger

T-Mobile-CEO Andreas Bierwirth
Andreas Bierwirth liebt die Fliegerei und flog bei der AUA raus. Jetzt lenkt der Unternehmersohn T-Mobile in die Gewinnzone. Ein Interview mit dem CEO über Aufstieg und Absturz, Machtkämpfe und Neustart.

Was, wer oder welche Fähigkeit hat Sie in diesen Chefsessel gebracht?

Andreas Bierwirth: Man sollte Fähigkeiten des Managements haben. Dann müssen der Stil, die Situation und die Firma eine glückliche Symbiose ergeben. Ich habe alles gesehen: Das richtige Set-up unter Pech, das falsche Set-up unter Glück.

Ein CEO ist also auch Spielball des Umfelds?

Man muss in der Nummer-eins-Rolle in Kauf nehmen, dass man ein Spielball des Rahmens ist, ohne zu vergessen, dass man selber einen Teil des Rahmens setzt. Ich denke viel darüber nach, was mein Handeln mit den anderen macht. Die Telekommunikation befand sich jahrzehntelang im Kampf um die Teilnehmer. In diesem Kampf hatten hinterher alle immer gleich viel von weniger. Weil der Umsatzkuchen schmolz wie Eis in der Sonne. Man muss überlegen: Was stoßen wir mit unseren Maßnahmen an? Und sich von der schnellen Erfolgshascherei verabschieden.

Das unterscheidet Sie von Quartalsdenkern.

Dieses Managerverhalten kenne ich und es stößt mich massiv ab. Ich komme aus einer Unternehmerfamilie, mit einem Großvater, der Erfinder war (der Fertiggarage, Firma Kesting, Anm.). Ich habe gesehen, wie Werte geschaffen und in der nächsten Generation abgeschafft worden sind. Ich habe Leuten in die Augen geschaut, die ihren Arbeitsplatz verloren haben aufgrund der Fehler der zweiten Generation. Das vergesse ich nicht.

Sie sind aus einer Unternehmerfamilie ...

… aus einer erdigen Industrie, dem Bau. Aber die Luftfahrt war immer meine Passion. Mit 14 habe ich mit dem Segelfliegen begonnen, war später Pilot für einen Fußballverein in Dortmund. Auf einem Flug lernte ich den Eurowings-CEO kennen, daraus wurde ein Hiring. Solche Zufälle kann man nicht steuern. Als ersten Job sollte ich ein marodes Unternehmen sanieren. Das ist die Klammer in meinem Leben: Die Vorwärts-Sanierung, das langfristige Denken. Ich hätte mir mehr kurzfristige Meriten als Sanierer verdienen können, aber mit nachhaltiger Schädigung der Firmen. Das tue ich nicht.

Was tun Sie bei T-Mobile und was macht Sorge?

Das Unternehmen steht mittlerweile gut da. Ich spüre wieder Leben und Agilität. Was mir Sorge macht: Unser Geschäft ist nur mittelfristig prognostizierbar. Ich weiß nicht, was Google und Amazon erfinden. Ich muss mich mit dem Thema Disruption auseinandersetzen, habe es mit extremen Marktmanövern der Mitbewerber zu tun. Ich habe die Verantwortung, mehr Umsatz zu bekommen. Das zwingt uns in eine Intensität der Innovationen rein, die meine Firma sehr belastet.

Weit weg von ruhiger Routine, selbst im 5. Jahr.

Man kommt nie zur Ruhe. Das Management von Arbeitslast macht mir am meisten Sorgen, weil die Mitarbeiteranzahl sich weiter reduziert. Und irgendwann gibt es Grenzen der Effizienz.

Wie viel Spielraum haben Sie im Konzern?

Der ist variabel. Man hat die Freiheitsgrade im Konzern, die man sich nimmt – wenn man bereit ist, die Verantwortung dafür zu tragen. Es ist meine Rolle, im Konzern meine Stakeholder abzuholen, sie zu nutzen und viel Freiheit dadurch zu kriegen. Damit die freundliche Umarmung nicht zu einem falschen Zeitpunkt kommt.

Sie versuchen also, die Umarmungen zu steuern.

Ich habe da bitter dazugelernt. Wenn ich auf die AUA zurückblicke, war das einer meiner Fehler, nicht rechtzeitig innerhalb des Konzerns gesteuert zu haben. Wenn dann noch Pech dazu kommt, sich Rahmenbedingungen ändern, es machtpolitische Wechsel im Konzern gibt, dann bist du auf einmal relativ einsam. Heute lege ich viel wert auf Vernetzung. Ich spreche mit meiner Chefin sehr viel.

Bei der AUA gab es Machtkämpfe und Rivalen.

Im transparenten Bereich im Konzern sind immer alle freundlich, aber nicht im intransparenten. Ich hätte auf das Bauchgefühl mehr hören können. Ich war immer überzeugt, die gute Arbeit setzt sich am Ende durch. War nicht so.

Spürt man eine Kündigung als Vorstand kommen oder trifft einen das aus heiterem Himmel?

Man spürt’s und es trifft einen aus heiterem Himmel gleichermaßen. Es ist dann aber immer auch die Art. Als ich mit meinem kommerziellen Teil positiv durch war, hat man mir gesagt, man will sich trennen. Das finde ich persönlich stilistisch extrem befremdlich. Ich fand auch befremdlich, wie man über die Medien Politik gegen meine Person gemacht hat. An solchen Brüchen im Leben kann man kollabieren oder wachsen. Ein Headhunter hat mir dann gesagt: Nur 20 Prozent der Manager kommen wieder zurück. Mehr Chancen würde er mir nicht geben. Ich habe dann einen Plan gemacht.

Die Kündigung war im März 2012 , im September haben Sie bei T-Mobile begonnen. Was haben Sie dazwischen gemacht?

Erstmal zehn Tage Dubai. Ich flog mit der AUA, saß am Strand, habe mit niemandem geredet, um meinen Gram zu verarbeiten. Dann bin ich das Projekt " Andreas next Generation" angegangen. Habe überlegt: In welche Richtung kann ich gehen? Wenn du nicht erfolgreich aus einem Job raus bist, kannst du zehn Mal erklären, was du alles richtig gemacht hast – du hast die Früchte nicht geerntet. Im Sinne von Selbstmarketing war das keine ideale Ausgangsposition.

Wann kamen Sie mit der ganzen Sache ins Reine?

Es war nicht der Moment, als ich bei T-Mobile angefangen habe. Denn du nimmst die Kündigung als Stachel mit. Sondern erst 2014, ich wurde als erster Nicht-Brite ins Board der easyjet in London berufen. Das war ein Ritterschlag für mich. Mit beiden Jobs fühle ich mich glücklich.

Projekt "Andreas next Generation": Wollten Sie von sich aus die Branche wechseln?

Möglich war für mich erstmal die internationale Luftfahrt. Ich hatte aber das Bild von Managern vor Augen, die alle paar Jahre weltweit von Airline zu Airline hüpfen. Das ist für mich so seelenlos. Ich wollte nicht zulassen, dass ich irgendwo bin, wo ich nicht sein will. Außerdem wird man in der alten Industrie immer auf das alte Exempel angesprochen. Wenn man die Branche wechselt, kann man etwas von Neuem aufbauen.

Wie macht man sich nach einem Rauswurf auf dem Jobmarkt sichtbar?

Arroganz war in dieser Phase deplatziert. Ich habe also mein Airliner-Netzwerk aktiviert, mit Unternehmensberatern, mit meinem alten universitären Umfeld gesprochen. In zwei Monaten hatte ich sechs Angebote. Das T-Mobile-Angebot lief lustig ab: Ich kannte den damaligen CEO der deutschen Telekom aus der Zeit von Germanwings. Er sprach mich immer wieder an, ob die Telekommunikation für mich interessant sei. Ich sagte ihm stets: Ich bin Airliner, was soll ich mit Telekommunikation? Ich rief ihn irgendwann doch an. Aus der Idee wurden Gespräche, aus den Gesprächen ein Vertrag.

Gab es Führungspersönlichkeiten, die Sie geprägt haben, Vorbilder?

Das ist schwierig. Vorbilder kopiert man, in meiner Rolle muss ich aber authentisch sein. Es gab Wegbegleiter wie Wolfgang Mayrhuber und René Obermann.

Sie gelten selbst unter Mitarbeitern als nahbar und menschlich. Warum sind Sie so?

Ich bin unter Bauarbeitern groß geworden. Mein Großvater hat mir eingebimst: Etwas Besseres ist man nicht. Gerade als Nicht-Unternehmer habe ich nur eine geliehene Macht. Wenn ich raus bin aus dem Job, bricht die Hälfte vom Netzwerk sowieso weg. Man muss sich bewusst machen, wer man ist, wo man hinwill, was einen antreibt, auch privat. Man darf seine Identität nicht komplett in die Funktion legen.

Können Sie auch autoritär sein?

Ich bin nie der Ausflipper, der auf den Tisch haut. 70 Prozent meiner Führungsmannschaft ist neu. Ich bin angenehm, aber in letzter Konsequenz einem Ziel verpflichtet. Passt man nicht dazu, muss man gehen. Da nehme ich mich selbst nicht aus.

Was machen Sie, wenn der Druck zu groß wird?

Man muss sich ein Ventil suchen. Ich denke beim Laufen viel über die Firma nach. Mein echter Ausgleich ist allerdings die Fliegerei. Ich fliege ein, zwei Mal im Monat Privatjets – Celebrities, Sportler, Politiker, Preisausschreibengewinner. Oft wissen sie nicht, wer ich bin. Ich liebe diese Rolle, trage die Koffer meiner Fluggäste zum Flieger, das Häusl wird gesäubert, wenn wir gelandet sind. Das ist für mich normal.

Wem wollten Sie mit Ihrer Karriere etwas beweisen?

Im Top-Management will wohl jeder etwas beweisen. Aufgrund von Vaterkonflikten oder weil man aus dem armen Umfeld raus wollte. Damit sage ich nicht, dass alle Manager psychologische Auffälligkeiten haben. Nur frage ich mich, welches Trauma ich meinen Kindern mit auf den Weg geben muss (lacht). Bei mir war sicherlich der Punkt: In meiner Schulzeit war ich nur der "Sohn von". Es hieß, du musst eh nicht arbeiten, dir ist alles in die Wiege gefallen. Ich musste mich davon emanzipieren.

Wie wollen Sie gern als CEO in Erinnerung bleiben?

Dass im Unternehmen etwas weitergegangen ist, ich Spuren hinterlassen habe und die Leute eine gewisse Grundsympathie für mich haben. Mich freut, wenn ich an Board der AUA mit Piloten spreche und merke, dass ich kein Feindbild bin – obwohl ich in einer schwierigen Zeit Vorstand war. Welcher Mensch will am Ende des Tages nicht gemocht werden?

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