Die Vereinbarkeitslüge: Familiensache in zwei Kraftakten
Am Rande der Vereinbarkeit tippt die Mutter im Business-Kostüm geistesabwesend in ihr Blackberry, während ihre kleine Tochter in der Sandkiste weinend nach der Schaufel sucht. Am Rande der Vereinbarkeit sitzt der Vater apathisch im Meeting, weil der kleine Sohn die halbe Nacht sein Innerstes nach außen gekehrt hat.
Am Rande der Vereinbarkeit zerren quengelnde Kinder und fordernde Chefs gleichermaßen an den Nervensträngen, während man sich selbst in die Südsee und Chef und Kinder auf den Mond wünscht. Egal in welcher (Führungs-)Position man ist, der Kampf um die Vereinbarkeit beginnt im Wettlauf mit der Zeit und endet im Verzicht des Egos. Dass es mit links geht, wollen uns die Hochglanzmagazine der Nullerjahre mit ihren Super-Karrieremüttern weismachen. Doch die Realität sieht anders aus – auch in höheren Etagen, wo vieles finanziell leichter geht.
Der Hut, unter den Job und Familie passen, muss schon ein Sombrero sein. Großzügig ausgeweitet von einem Arbeitgeber, der seinen Mitarbeitern mit Kindern flexible Arbeitszeiten, Elternteilzeit, Home Office und Sabbaticals gibt. Unternehmen tun gut daran, hier umzudenken: Studien zeigen, dass familienfreundliche Maßnahmen die Produktivität, Effizienz und Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern, Krankheitsquoten senken. Auch die Politik bleibt gefordert: 1,6 Mrd. Euro fließen bis 2018 in höhere Familienbeihilfen und den Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen, wie der Ministerrat am Dienstag beschloss.
Viel Disziplin, flexible Selbstorganisation und Kommunikation sind für Kinder und Beruf am nötigsten, sagen Karriere-Eltern.
Als Wirtschaftsattaché jettete Bettina Spieß nach Tokio, Toronto und Washington, während ihr Mann Peter sein Unternehmen aufbaute. Nach der Geburt des ersten Kindes kam der große Bruch: "Erst die 70-Stunden-Woche, dann nur mehr das Kind." Zurzeit hat sie eine leitende Funktion im Öffentlichen Dienst über – in Elternteilzeit – und kümmert sich um die Söhne Leopold (3,5 Jahre) und Ferdinand (1,5). Im Headhunter-Unternehmen ideas consulting ihres Mannes ist sie für die strategischen Aufgaben des Bereichs "Interim Management Woman" zur Vermittlung von Managerinnen zuständig.
KURIER: Ist die einfache Vereinbarkeit von Kind und Job eine Lüge?
Peter Spieß: Sie ist Schein – und ganz und gar nicht einfach.
Bettina Spieß: Man kommt an seine Grenzen. Wenn eine Dienstreise oder ein wichtiges Meeting anstehen und das Kind kriegt in der Nacht Fieber, muss man in der Sekunde umdisponieren.
Welches Wort fällt Ihnen zur Vereinbarkeit ein?
Peter Spieß: Flexibilität.
Bettina Spieß: Positive Energie und Freude, sonst geht es nicht.
Wie läuft Ihre Woche ab?
Peter Spieß: Meist bringe ich die Buben in die Kinderkrippe und abends ins Bett.
Bettina Spieß: Ich arbeite drei Tage mit vollem Einsatz im Öffentlichen Dienst, bringe mich strategisch in unserer Firma ein, hole die Kinder am frühen Nachmittag ab, spiele mit ihnen.
Kann man moderne Rollenverteilung in der Realität leben?
Bettina Spieß: Bei so kleinen Kindern lassen sich die traditionellen Rollen kaum vermeiden. Es ist schon hilfreich für mich, wenn mein Mann einspringt.
Peter Spieß: Man kann. Es erfordert jedoch Umdenken, Männer wie Frauen können nicht jedes Karriereangebot annehmen.
Was haben Sie getan, um die Vereinbarkeit zu verbessern?
Bettina Spieß: Wir fokussieren, verplempern keine Zeit.
Peter Spieß: Mein Beitrag war die Schaffung unseres Jump-in-Office – es liegt zwischen Haus, Kindergarten und den Büros meiner Partner. Hier kann ich in Ruhe arbeiten, kann die Kinder schnell abholen.
Ist es als Führungskraft einfacher?
Bettina Spieß: Nein. Zu viel rausnehmen darf man sich gegenüber Mitarbeitern nicht.
Peter Spieß: Die Zeit ist rar. Führungskräfte müssen leistungs- und ergebnisorientiert arbeiten.
Was bleibt auf der Strecke?
Bettina Spieß: Das Ego.
Peter Spieß: Letzte Woche weinte meine Frau – weil alles so monoton und anstrengend war.
Bettina Spieß: Das ist der Alltag: Man nimmt sich total zurück, ist 24 Stunden eingespannt.
Kommt schlechtes Gewissen auf?
Bettina Spieß: Ja. Ich war im Job, mein Mann versuchte mich vergeblich zu erreichen, weil Leopold sich verletzt hatte. Dann fühlt man sich als Rabenmutter.
Was, wenn alle Pläne dahin sind?
Bettina Spieß: Der Ausnahmezustand ist die Regel. Wir genießen Routine, aber sie ist selten.
Wann kann man Job und Kinder nicht gedanklich trennen?
Bettina Spieß: Gestern hatte ich ein wichtiges Telefonat. Die Kinder spürten den Stress, brüllten los. Nur die Ton-aus-Taste half.
Was mussten Sie lernen?
Bettina Spieß: Verzicht, Konsequenz und Disziplin.
Peter Spieß: Man wird effizienter – daher sind Kinder auch gut für Unternehmen.
Gerlinde Layr-Gizycki ist trotz zweier Söhne an ihrer Bankenkarriere drangeblieben. Nach der jeweiligen Geburt von Max (12) und Georg (10) stieg sie nach dem Mutterschutz über Home Office in den Führungsjob ein. Sie leitet als Managing Director der LGT Bank Österreich Finanzen und Personal, ihr Mann Wolfgang Layr ist Vorstandsdirektor der Volksbank Wien-Baden. Beide sagen, die Vereinbarkeit sei alles andere als locker – auch wenn man es als Führungskraft leichter habe.
KURIER: Ist die einfache Vereinbarkeit eine Lüge?
Gerlinde Layr-Gizycki: Ja. Es ist ein Kraftakt. Man muss die Tage strukturieren, darf nicht nervös werden, wenn was nicht klappt.
Welches Wort fällt Ihnen als Erstes zur Vereinbarkeit ein?
Gerlinde und Wolfgang Layr: Eindeutig Flexibilität.
Wie teilen Sie sich den Tag, die Woche ein?
Gerlinde Layr: Ich bringe die Kinder in die Ganztagsschule, bin um halb acht im Büro, hole sie um fünf ab – oder mein Mann. Und abends bin ich oft bei Veranstaltungen.
Wolfgang Layr: Ich bin um sechs Uhr Früh im Büro, bin auch auf Abendveranstaltungen. Für die Kinder nehme ich mir am Wochenende viel Zeit – das Freizeitprogramm ist mein Part.
Ist es leichter als Führungskraft?
Gerlinde Layr: Ja sicher, man kann sich die Zeit freier einteilen, geht auch in der Mittagspause zum Elternsprechtag. Andererseits sitzt man auch länger im Büro als 40 Stunden.
Haben Sie eine Nanny?
Gerlinde Layr: Nur als die Kinder sehr klein waren. Wir wollen selbst die Zeit mit unseren Kindern verbringen, sprechen daher unsere Abendtermine wöchentlich ab. Oder wir fragen Nachbarn, Freunde. Man braucht ein gutes Netzwerk.
Wie haben Sie die Vereinbarkeit verbessert?
Wolfgang Layr: Bevor wir Kinder hatten, bin ich beruflich oft verreist. In meiner jetzigen Position ist das nicht nötig.
Gerlinde Layr: Wir haben uns auch für eine Wohnung im Zentrum Wiens und gegen ein Haus am Land entschieden. Damit geht vieles leichter.
Was bleibt auf der Strecke?
Gerlinde Layr: Die eigene Person. Wolfgang Layr: Hobbys, als die Kinder kleiner waren. Aber das hat nie gefehlt, ich habe die Zeit mit den Kindern genossen.
Wann hatten Sie zuletzt ein schlechtes Gewissen?
Gerlinde Layr: Manchmal, wenn ich abends oft weg war.
Wolfgang Layr: Das habe ich nicht, ich verbringe recht viel Zeit mit der Familie.
Wann sind Sie zuletzt an Ihre Grenzen gekommen?
Gerlinde Layr: Nie, meine Latte an mich und andere liegt hoch (lacht). Ich wollte meine Karriere nicht aufgeben, weil ich es gern mache. Da nehme ich Stress in Kauf.
Wolfgang Layr: Wir hatten Glück, die Kinder waren kaum krank und wenig schwierig.
Was, wenn alle Pläne dahin sind?
Gerlinde Layr: Es läuft oft nicht nach Plan, dann reagiert man und findet eine andere Lösung.
Was mussten Sie im Zuge von "Kinder und Karriere" lernen?
Wolfgang Layr: Ich frage mich, was ich früher mit meiner Zeit gemacht habe – sie wohl unbewusst verstreichen lassen.
Gerlinde Layr: Vieles lässt sich von der Kindererziehung auf die Mitarbeiterführung umlegen – und umgekehrt.
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