Die TU programmiert die Gesellschaft neu

Auf der einen Seite werden Lebensmittel weggeworfen, auf der anderen können sich Menschen kein Essen leisten – bald soll es dafür eine Lösung geben
Projekte der TU Wien lösen gesellschaftliche Probleme – etwa die Lebensmittelverschwendung.

70.000 Tonnen originalverpackte oder angebrochene Lebensmittel aus der Industrie, dem Handel und aus privaten Haushalten landen jedes Jahr im Restmüll – alleine in Wien. Auf der anderen Seite sind rund 400.000 Menschen armutsgefährdet – alleine in Wien.

Beides sind gesellschaftliche Probleme, die lange hingenommen wurden, denen der Brückenschlag gefehlt hat. Wissenschaftler der TU Wien arbeiten nun an der Lösung und fertigen für das Österreichische Ökologie-Institut eine Machbarkeitsstudie für sogenannte Urban-Food-Spots an. Gefördert wird das Projekt von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft.

Die Idee ist, dass Bedürftige Lebensmittel, die sonst weggeworfen werden, künftig kostenlos aus Kiosken beziehen können. Doch wer glaubt, es ist damit getan, einen Kühlschrank in einen Park zu stellen, der irrt.

Interdisziplinarität

Zwei Frauen leiten das Projekt: Maria Kalleitner-Huber vom Ökologie-Institut und Margit Pohl seitens des Instituts für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der TU Wien. Es ist ein eher kleines Institut, auch räumlich sehr kreativ gestaltet: Niemand scheint sich an der Musik zu stören, die aus einem der Altbau-Zimmer tönt, an den Wänden wurden Fotos, Bilder, Studien mit Klebeband angebracht.

"Unser Motto ist: Technik für den Menschen gestalten", sagt Pohl. Das Selbstverständnis laut Instituts-Webseite: "Das Institut verbindet technische, gestalterische und sozialwissenschaftliche Forschung mit angewandter, am Menschen orientierter Entwicklung." Dass die Forschungsgruppen dafür divers aufgebaut sein müssen, ist hier selbstverständlich: Informatiker sitzen neben Musikern, Designern oder etwa Psychologen. Margit Pohl vereint verschiedene Disziplinen sogar in einer Person: Sie studierte Psychologie und Informatik. Mit dieser ungewöhnlichen Kombination scheint sie prädestiniert für das Food-Sharing-Projekt, das soziale Ungleichheit ein wenig ausmerzen soll. Denn die Probleme sind bei Weitem nicht ausschließlich technischer Natur: "Man muss überlegen, wie man gesellschaftliche Stigmatisierung vermeidet. Wo sollen die Kioske stehen? Abgeschieden? Zentral? Wir wollen die Menschen ja in der Anonymität belassen", sagt Margit Pohl. Andere Fragen sind: Wie verhindert man Missbrauch? Wie nimmt man die Schwellenangst? Welche Produkte sind geeignet? Wann werden sie wieder aussortiert? Wie mit verderblichen Produkten umgehen? Wie kann das logistische Konzept aussehen? Soll jeder Lebensmittel hineinlegen können? Alle diese und viele weitere Fragen sollen beantwortet werden.

Mehr Kontakte

Dass Technik das Zeug dazu hat, die Gesellschaft wieder näher zusammenrücken zu lassen, zeigt auch ein anderes Projekt der TU Wien. Es nennt sich "Give&Take" und richtet sich an ältere Menschen. Die Plattform soll Nachbarschaftshilfe wieder aufleben lassen, dabei helfen, kleine Gefälligkeiten auszutauschen, länger aktiv zu bleiben und Kontakte zu knüpfen.

Ausgerechnet Technik soll nun den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken und dabei helfen, Barrieren abzubauen. Dabei haftet ihr oft der Ruf an, dass sie zwischenmenschlichen Kontakt sogar eher erschweren oder Bedürfnisse unzureichend befriedigen würde. Margit Pohl erklärt: "Manche sind so technikverliebt, dass ihre Lösungen an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen." Dass vor allem Männer im Alter zwischen 20 und 40 programmieren, ist eine weitere Erklärung: Sie haben andere Bedürfnisse als etwa 70-jährige Pensionistinnen, die das Programm verwenden.

Umso wichtiger scheint es, mehr Diversität in die Technik zu bringen. Und, dass die unterschiedlichen Disziplinen bei Forschungsprojekten enger zusammenarbeiten.

Am Ende hängen Forschungsprojekte von Förderungen ab. Und da ziehen Projekte, die einen Non-Profit-Charakter haben, wohl oft den Kürzeren.

Jugendliche trauen sich Wissenschaft oft nicht zu – vor allem MädchenFür die Begeisterung für Wissenschaft und Technik ist das familiäre Umfeld essenziell. Das zeigt eine Langzeitstudie des Londoner King’s College: Nur 15 Prozent der untersuchten Zehn- bis 14-Jährigen wollen einen Beruf im Bereich der Wissenschaften bzw. der MINT-Felder – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik – ergreifen. Zum Vergleich: 60 Prozent konnten sich eine Tätigkeit im Bereich Wirtschaft vorstellen.

Vererbte Bildung

Die Studie zeigte, dass Schüler wie Eltern nur eine sehr eingeschränkte Vorstellung davon hatten, welche beruflichen Perspektiven „Science“ bietet. Die Antworten lauteten: Wissenschaftler, Lehrer oder Arzt. Als echtes Hemmnis erwies sich das „superschlaue“ Image, das Wissenschaftler bei 80 Prozent der Befragten genießen. „Kinder glauben, Naturwissenschaft und Technik sei nur etwas für die Allerklügsten, also „nichts für mich“ – selbst wenn sie gute Noten in den jeweiligen Fächern haben. Schüler aus Familien mit mittlerem und höherem Wissenschaftskapital ergreifen der Studie zufolge eher einen Beruf im Wissenschafts-Bereich. Auch Geschlechterrollen greifen laut der Studie schon früh: Obwohl mehr jüngere Mädchen als Burschen naturwissenschaftlich-technische Fächer als Lieblingsfächer bezeichnen, streben sie weniger häufig einen Beruf in diesem Feld an.

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