Die neue Liebe zum Alten
Kennen Sie unsere Hausordnung? Nein? Jeder, der diese Treppen hinabsteigt, bekommt ein Glaserl Rosésekt", sagt Alexander Bechstein. Der Hausordnung wird meist Folge geleistet – und so spazieren die Kunden mit einem Gläschen zwischen Möbel, Geschirr und Leuchten, Spiegel, Gefäße und Plastikaschenbecher – liebäugeln mit Soulfood, während der Schaumwein den Gaumen umspielt. Ein Besuch in der Vintagerie ist immer besonders, weil Pragmatismus hier gegen Nostalgie immer verliert.
Seit gut drei Jahren verkaufen Peter Lindenberg und Alexander Bechstein Design-Objekte aus vergangenen Zeiten in der Nelkengasse Nummer 4, einer Quergasse zur Mariahilfer Straße. Sie waren unter den Ersten in Wien, die den klassischen Antiquitäten-Laden neu interpretierten. Die Idee kam zur richtigen Zeit, das Geschäft läuft gut.
Zu ihrem Erfolg beigetragen hat, dass seit einigen Jahren ein starker Trend hin zu Second-Hand-Klamotten und Vintage-Design bemerkbar ist. Doch Lindenberg und Bechstein sind keine Weltenretter, die es unerträglich finden, dass Billigmöbelhersteller und konsumsüchtige Menschen den Planeten zumüllen. Sie sammeln ihre Designklassiker aus purer Leidenschaft. Lindenberg, der aus einer Familie von Antiquitätenhändlern stammt und Bechstein, der zuvor im Verlagswesen tätig war, finden schöne Stücke auf Reisen durch Europa, bei Räumungen und auf Flohmärkten.
Einen Business Plan hatten die beiden nie, doch das Konzept wurde konsequent verfolgt, getestet, nachjustiert und noch viel wichtiger für erfolgreiche Gründer: sie wissen genau, wovon sie sprechen, kennen Szene, Mitbewerb und Kunden.
Der Trend zum Zweitkleid
Martina Brückl steht noch ganz am Anfang: Einige Gassen von der Vintagerie, wo Hermanngasse und Westbahnstraße im 7. Bezirk aufeinandertreffen, hat sie am 4. April einen Secondhand-Laden eröffnet: "Zweitkleid7". Auch Martina Brückl ist in der Branche, in der sie sich selbstständig gemacht hat, versiert: Die gelernte Industrieschneiderin war mehr als 20 Jahre in der Modebranche tätig.
"Es war Zeit für etwas Neues", sagt sie. Sie besuchte Gründerseminare, holte sich Rat bei der WKO, fand einen geeigneten Laden. Das kleine Gassenlokal hat Martina Brückl liebevoll mit Vintagemöbel eingerichtet und einige Wände intensiv rot leuchtend gestrichen. Auf rund 100 hängen Burberry-Mantel und Louis-Vuitton-Tasche in einer Reihe mit Esprit-T-Shirts und Leinenkleidern. Die ausnahmslos makellose Ware bekommt Brückl von Privatpersonen, sie wäscht und bügelt sie, behält sie für rund vier Monate auf Kommissionsbasis im Sortiment und ändert sie, wenn der Käufer nicht perfekt hineinpasst. Finden die Klamotten keinen neuen Besitzer und will der alte sie nicht zurück, gehen sie an das Kinderdorf. "Ich glaube an meine Idee, denn der Trend zum bewussten Konsum wird immer stärker", sagt Brückl.
Anziehend
"Ich weiß, wie viel Leid die Textilberge auf der Welt verursachen" – die Changemanagerin Ulrike Plichta arbeitete jahrelang in der Entwicklungsbranche. Vor zwei Jahren saß sie zu Ostern am Frühstückstisch und suchte einen Ausweg aus dem Konsumwahnsinn und fand gemeinsam mit Tochter Annemarie eine Lösung: "Anziehend – Guerilla Mode-Shopping". Wochenlang sammeln sie Kleidung und Accessoires, machen sie wie neu und verkaufen sie um maximal 25 Euro pro Stück auf ihren mittlerweile stadtbekannten Shopping-Events, die immer einem anderen Motto gewidmet sind. Lange Schlangen, schon bevor die Türen geöffnet werden, sind ein Beweis dafür, dass das Bewusstsein zur Nachhaltigkeit wächst. Ein bisschen Geld bekommen die Plichta-Frauen mit den Guerilla-Shopping-Events zusammen, aber leben könnten sie davon nicht. Das war auch nie der Gedanke – sie wollten nur verändern.
1. Wenn man sich auf das Thema, mit dem man selbstständig werden will, geeinigt hat, dann sollte man sich mit der Materie auch wirklich gut auskennen und alles darüber wissen. Zu Beginn haben wir zum Spaß einmal in der Woche in einem Hinterhof im 5. Bezirk verkauft, nach eineinhalb Jahren war klar, dass wir einen Laden brauchen. 2011 haben wir aufgesperrt – wie wir den Laden gefunden haben, war eher ein Zufall. Wir haben aber beide, schon bevor wir die Vintagerie im 6. Bezirk eröffnet haben, Design gesammelt, haben zu 100 Prozent gewusst, wie die Branche läuft und waren sehr gut mit unseren Kunden vernetzt.
2. Nicht ewig lange zögern, sondern einfach tun. Viele machen sich nie selbstständig, weil sie sich viel zu viele Gedanken darüber machen, was alles nicht funktionieren kann. Sich von vornherein zu viele Sorgen zu machen, ist völlig unnötig – viele Dinge erledigen sich von selber. Und bitte raunzt nicht zu viel: Dieses ewige „die böse SVA“ und „das fiese Finanzamt“ ist wirklich nervig.
3. Die eigenen Öffnungszeiten einhalten: Ich finde dieses „Ich komme gleich“-Schild unmöglich.
4. Bezahlt jemanden, der euch den Finanzkram macht, wenn ihr euch selber nicht gern damit auseinandersetzt.
5. Bleibt euch treu und bleibt authentisch: Wir hatten immer ein Konzept, aber nie einen Businessplan – und unser Konzept funktioniert. Natürlich muss man die Geschäftsidee immer wieder nachjustieren.
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