Die Lehren der Berge
KURIER: Welche sind Ihre drei wichtigsten Erkenntnisse vom Bergsteigen?
Fredmund Malik: Dass Grenzen fast nie dort sind, wo wir sie im ersten Impuls für uns gelten lassen. Wie man wirksam mit Komplexität umgeht – mit dem Unbekannten und Unberechenbaren, mit ständig wechselnden Umständen. Und wie wichtig es ist, seine persönliche körperliche und mentale Leistungsfähigkeit stetig zu verbessern, um immer größere Aufgaben zu meistern. Es ist keineswegs nötig ein Alpinist zu sein, um ein guter Manager zu sein. Man kann jedoch viel davon lernen.
Die meisten Touren sind Sie mit Hermann Comploj gegangen. Sie schreiben "Die Rollen waren immer klar: Er ging voraus, ich war Seilzweiter." Was kann man von Hermann Comploj abschauen?
Von allen Bergführern kann man sich absehen, dass sie ihre Führungstätigkeit als Beruf verstehen. Hermann Comploj ist darüber hinaus ein Naturtalent in Psychologie. Jeder Manager sollte seine Tätigkeit als Beruf sehen. Kann man Management lernen? Ja. Man kann unendlich mehr lernen, als die meisten glauben. Die Bergführerausbildung ist so gewissenhaft, wie ich sie im Management bis heute nicht sehe.
Comploj entschied, 200 Meter vor dem Gipfel des Mount McKinley umzudrehen. Was dachten Sie?
Ich wollte immer wissen, wie sich der kälteste Berg anfühlt. Hermann und ich hatten vereinbart, dass wir gesund wieder herunterkommen wollen. Die nahende Schlechtwetterfront machte eine Entscheidung nötig. Leicht war es nicht, umzukehren. Es waren nur noch 200 Höhenmeter bis zum Gipfel, doch auf 6000 Metern braucht man dafür drei Stunden. Umzukehren war richtig. Als Bergführer hat Hermann seine Verantwortung erfüllt.
Der Titel "Wenn Grenzen keine sind" suggeriert, dass alles möglich ist. Ist das Ihrer Meinung nach so?
Nicht alles ist möglich, aber es ist viel mehr möglich, als die meisten sich zutrauen.
Wo mussten Sie Grenzen erkennen?
Ich bin in allen meinen Tätigkeitsgebieten an Grenzen gestoßen: In der Schule, auf der Uni, im Beruf. Immer wieder kam ich zu dem Punkt: Machst du weiter oder hast du das Limit erreicht? Doch ich habe mir auch immer die Frage gestellt, was zu tun ist, um weiterzukommen. Ich bemerke in unserer Gesellschaft eine Neigung zum Neinsagen. Man muss sich besser angewöhnen, darüber nachdenken, was man tun kann, dass es doch geht. Diese Fähigkeit braucht man im Management.
Welcher Berg war für Sie der schwierigste? Was ist dort passiert?
Zu meinen schwierigsten Routen gehörte die Solda-Führe durch die 1000 Meter hohe Nordwand des Langkofels im Grödnertal. Sie verläuft auf weite Strecken in den oberen Schwierigkeiten des 5. und 6. Grades. Sie erfordert Können, Kraft, Ausdauer und Konzentration. Gerade in dieser Route gab es den einzigen ernsthaften Zwischenfall, den ich in den vielen Jahren erlebte, weil ich um ein Haar vom Steinschlag getroffen worden wäre.
Was ist eine wirksame Führungskraft?
Management heißt im Kern, handeln und Resultate erzielen. Je souveräner ich das Ergebnis erreiche, umso mehr Leichtigkeit kommt hinein. Wer gut trainiert ist, tut sich leicht, den Gipfel zu erreichen. Wer nicht trainiert ist, kommt vielleicht an, aber keuchend und Spaß hat es nicht gemacht. Viele Menschen wählen eine Arbeit danach, ob sie Spaß macht. Es gibt aber nicht viele Arbeiten in unserer Gesellschaft, die auf Dauer Spaß machen. Auch ich habe nicht jeden Tag Spaß an der Arbeit selbst, aber immer Freude am Ergebnis. Man muss ein wenig die Denke verändern und mit den richtigen Methoden, die Leistungsfähigkeiten verbessern.
Von welchen Tools sprechen Sie?
Ich fasse Management sehr breit: Man muss die Dinge zum Funktionieren bringen. Selbstmanagement ist das Spiel das uns lebenstüchtig für die heutige komplexe Gesellschaft macht. Man kann pro Jahr seine Effektivität und die Effizienz um mindestens zehn Prozent verbessern. Hochgerechnet auf 50 Arbeitsjahre sind das 500 Prozent. Wir sind so leistungsfähig und holen nur so wenig heraus.
Sie schreiben, dass das 21. Jahrhundert "mutige und hochriskanten Entscheidungen braucht". Brechen Sie damit nicht ein Grundprinzip des Alpinismus? Die Mutigen sind doch schon alle tot.
Das 21. Jahrhundert stellt immense Herausforderungen. Zu einem hocheffektiven Management gehört es, zwischen richtigen und falschen Risiken zu unterscheiden, zwischen fundierter Urteilskraft und blindem Hasardieren.
Vordenker Der Österreicher Fredmund Malik ist ein renommierter Management-berater. Malik lehrt an der Universität St. Gallen, wo auch das Headquarter seines Management- Zentrums und sein Wohnort ist. Er ist Träger des Ehrenkreuzes der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst und wurde mit dem Heinz-von-Foerster-Preis ausgezeichnet.
Bücher Malik hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u. a. "Führen Leisten Leben", das als eines der 100 besten Management-Bücher aller Zeiten ausgezeichnet wurde.
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