„Die komplette Sicherheit ist eine Illusion“

A Haitian girl stands in a tent camp for people affected by the 2010 earthquake, outside Port-au-Prince August 24, 2012. An estimated 400,000 Haitians affected by the quake are living in precarious tents. Tropical Storm Isaac passed the Dominican Republic and headed toward Haiti on Friday, rumbling slowly west across the Caribbean after unleashing heavy rain on parts of Puerto Rico. REUTERS/Swoan Parker (HAITI - Tags: DISASTER ENVIRONMENT TPX IMAGES OF THE DAY)
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Das junge Team ist fassungslos: Zwei Kolleginnen wurden aus dem kenianischen Flüchtlingslager Dadaab, nahe der somalischen Grenze, von bewaffneten Männern verschleppt. Der Großteil des Ärzte ohne Grenzen-Teams (MSF, Médecins sans Frontières) wird evakuiert. Nicht die Angst um das eigene Leben beschäftigt sie. Die Gedanken gehören den Kolleginnen und den Menschen, die sie zurücklassen. Die ohne sie keine medizinische Versorgung haben, in manchen Fällen ist das ein Todesurteil.

Die Anfangsszenen des Films „Access to the Danger Zone“, der vor kurzem in Österreich Premiere feierte und die Arbeit humanitärer Organisationen in den schlimmsten Krisengebieten zeigt, sind dramatisch. Sie machen deutlich, welchem Risiko sich diese Menschen aussetzen – vor allem bei Einsätzen in Kriegsgebieten. „Komplette Sicherheit ist in Krisengebieten eine Illusion“, heißt es in dem Film.

Die Zahlen können das belegen: Das vergangene Jahrzehnt war das tödlichste in der Geschichte der humanitären Hilfskräfte, 230 Menschen wurden getötet, 150 schwer verletzt.

Bei MSF versucht man, so Österreich-Geschäftsführer Mario Thaler, Mitarbeiter, die zum ersten Mal im Einsatz sind, nicht in die schwierigsten Gebiete zu entsenden. „Wir sind bemüht, sie langsam an den Kontext heranzuführen“.

Der wichtigste Schutz sind die Einhaltung der humanitären Prinzipien: Unabhängigkeit, Neutralität, Menschlichkeit, Unparteilichkeit. Durch die Einhaltung werden sie von allen Konfliktparteien und der Bevölkerung anerkannt. Andrea Reisinger vom Österreichischen Roten Kreuz: „Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Leben bedroht ist. Das Rote Kreuz ist international sehr gut positioniert.“ Reisinger ist krisenerprobt, war in Haiti, in Sri Lanka, 2012 im Libanon. Da war ihr Sohn zwei Jahre alt. „Ich wurde oft darauf angesprochen. Väter werden nie darauf angesprochen. Frauen sind vor Ort wichtig, denn sie können die Bedürfnisse von Frauen besser verstehen.“ Gefahren versucht man zu vermeiden: „Wenn es heißt, wir dürfen die Unterkunft nicht verlassen, haben wir sie nicht verlassen.“

Auch andere Gruppen sind in den Krisengebieten im Einsatz, auch für sie sind Sicherheitsvorkehrungen ein fixer Bestandteil des Alltags, Gefahr latent vorhanden. OMV-Manager Peter Seitinger erzählt: „Es gibt weltweit wunderbare Menschen. Man lernt, dass man nie ein Land nach den Schlagzeilen in den Medien beurteilen darf.“

Meistens kommen die Mitarbeiter unbeschadet zurück. So war es bei den UNO-Blauhelmen, die Anfang März von syrischen Extremisten entführt wurden. Die zwei MSF-Mitarbeiterinnen sind eineinhalb Jahre später noch immer nicht frei.

Name: Andrea Reisinger
Funktion: im Generalsekretariat Strategie- und Organisationsentwicklung/Jugend, Österreichisches Rote Kreuz
Einsatzgebiete: Haiti, Nepal, Sri Lanka, Libanon

Wieso haben Sie sich für Auslandseinsätze beworben?„Weil man vor Ort das Gefühl hat, dass man etwas beitragen kann.“

Wie wird man auf die Gegebenheiten vorbereitet? „Erfüllt man die Voraussetzungen, muss man Online-Kurse zu Sicherheitsvorkehrung und der Rotkreuzbewegung absolvieren. Danach wird man für spezifische Stellen rekrutiert und bekommt eine einwöchige generelle Ausbildung und spezifische Trainings gemäß den Aufgaben.“

Konnten Sie sich beim Haiti-Einsatz vorstellen, was Sie erwartet? „Nein. Am Dienstag war das Erdbeben, am Mittwoch habe ich mich gemeldet, am Donnerstag war das Briefing, am Freitag saßen wir im Flugzeug. “

Wie kann man sich Ihre Arbeit vor Ort vorstellen? „Es war ein schwieriger Einsatz, weil die Infrastruktur zerstört war. Wir durften aufgrund der Einsturzgefahr nicht in Hotels schlafen, waren in einer Lagerhalle untergebracht. Meine Aufgabe war, das Österreichische Rote Kreuz zu vertreten, zu koordinieren.“

Blenden Sie die Gefahren vor Ort aus? „Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Leben bedroht ist. Das Rote Kreuz ist international so gut positioniert und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ist sehr gut über die Lage vor Ort informiert.“

Name: Georg Pferschy
Funktion: Adjutant und Offizier, Österreichisches Bundesheer
Einsatzgebiete: Golanhöhen, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Libanon.

Wieso gehen Sie auf Auslandseinsätze? „Aus Interesse am Beruf, an fremden Ländern und anderen Kulturen. Außerdem wollte ich nie beruflich vor Soldaten über Dinge referieren, die ich nicht selbst erlebt habe. Und es ist ein finanzieller Anreiz.“

Wie werden Sie auf die Gegebenheiten vor Ort vorbereitet? „Wir verfügen in Österreich über Erfahrungen seit dem ersten Feldspital im Kongo 1960. Die Vorbereitung dauert im Schnitt zwischen sechs Wochen und zwei Monaten. Man wird medizinisch gecheckt, erhält eine militärische Grundausbildung, lernt über Land und Leute. Für Soldaten gibt es dann eine spezifische Ausbildung. Wir haben auch fixe Unterrichtseinheiten mit dem Heerespsychologen.“

Sie waren vor einem Jahr für sieben Monate im Libanon. Was hat Sie am meisten überrascht? „Wir waren 39 Nationen, die in kurzer Zeit schnell zusammengefunden haben. Man muss schnell Brücken schlagen, wenn man bestehen will. Und das Klima und der Regen im Winter – als würde es einen Lichtschalter für Regen geben.“

Wie kann man sich Ihre Arbeit vor Ort vorstellen? „Im Libanon war ich Kommandant – Chef von mehr als 150 Soldaten – mit dem Auftrag, für alle UNO-Soldaten im Südlibanon die Transporte durchzuführen.“

Wie geht man vor Ort mit den Gegebenheiten um? „Wir sind immer wachsam, gerade als Kommandant muss man die Soldaten vor Leid und Gefahr bewahren.“

Was lernt man bei solchen Einsätzen?„Dass es uns zu Hause sehr gut geht. Dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die in den widrigsten und schwierigsten Umständen das Ja zum Leben nicht verlernen. Dass es zwischen Religionen, Kulturen und Hautfarben keine Grenzen geben muss. Und, dass durch Zusammenhalt und mit Herz, Hirn und Humor schwierigste Dinge durchwegs zu bewerkstelligen sind.“

Name: Peter Seitinger
Funktion: General Manager Pakistan
Einsatzland: Pakistan

Wieso sind Sie ins Ausland gegangen? „Ich war immer sehr neugierig – ein Grund, warum ein steirischer Bergbauernbub in Leoben Erdölwesen studiert.“

Wie lief die Vorbereitung? „Ich war von 2004 bis 2007 für die Region Mittlerer Osten, Australien, Neuseeland verantwortlich und war regelmäßig in Pakistan. Auch beim großen Erdbeben 2005. Ich war schon vorher drei Mal auf Auslandseinsatz (Vietnam, Libyen, Albanien) und deshalb vorbereitet auf andere Kulturen. An einem Seminar mit Fokus Pakistan habe ich zusammen mit meiner Frau trotzdem teilgenommen.“

Was hat Sie vor Ort am meisten überrascht? „Die hohe Professionalität in meinem Team. Der Teamgeist. Die Offenheit der Pakistani mir gegenüber, die Toleranz, aber auch die enormen Gegensätze von Reich und Arm, oder Stadt und Land.“

Wie kann man sich Ihre Arbeit vor Ort vorstellen? „Ich arbeite mit einem sehr gut ausgebildeten, professionellen Team. Von den rund 700 Mitarbeitern sind fünf Expats.“

Wie geht man mit den Gegebenheiten um, blendet man Gefahren aus? „Die Gefahren werden genau analysiert, um sie dann entsprechend zu reduzieren. Die Beachtung aller Sicherheitsregeln ist wesentlich und wird von allen eingefordert – in Islamabad, Karachi, oder bei Feldbesuchen.“

Was lernt man bei solchen Einsätzen? „Das es weltweit wunderbare Menschen gibt, nicht nur für die Arbeit, sondern auch für die freie Zeit. Dass man nie ein Land nach den Schlagzeilen in den Medien beurteilen darf. Und dass sehr viele Wege zum Ziel führen, wenn man sich nur entsprechend darum bemüht.“

Wie war das Nach-Hause-Kommen? „Das Nach-Hause-Kommen ist oft am schwierigsten. Weil die persönlichen Erwartungen sehr hoch sind – von beiden Seiten. Man stellt aber sehr rasch fest, dass die eigenen Erfahrungen nur dann interessant sind, wenn sich eine witzige Geschichte daran knüpft. Die Familienangehörigen und Freunde bewegen sich auch weiter und man kann die Bindung verlieren. Für mich vielleicht der wichtigste Grund, wieder nach Österreich zu kommen.“

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