Die Einzigen: Über Minderheiten im Job

Als Frau in einer Männerdomäne: Druckerin Mariella Platzer
Wie es ist? Darüber erzählen eine Druckerin, ein Tagesvater, ein 79-jähriger Jungunternehmer und Österreichs einziger Drehorgelbauer.

Quoten, Inklusion und Diversität stehen weit oben auf der Hitliste der politischen Forderungen. Viel wird geforscht und geredet über Minderheiten in Jobs. Wir haben vier Menschen getroffen, die es in ihren Jobs sind: eine Frau in der Mänerdomäne, einen Mann im Frauenberuf, einen Gründer im Pensionsalter und einen Mann, der als einziger in Österreich seinen Beruf ausübt:

Allein unter Männern

Druckerin Mariella Platzer behauptet sich zwischen echten Kerlen und schweren Maschinen

Die Einzigen: Über Minderheiten im Job

Ganz in ihrem Element: Mariella Platzer, 32, zwischen zwei Drucktürmen

Die Begeisterung für ihre Berufswahl hielt sich bei Mariella Platzers Eltern in Grenzen: „Kind, warum musst du denn ausgerechnet so was lernen? Warum kannst du nicht ins Büro gehen?“, fragten sie ihre jugendliche Tochter. Statt im Friseursalon oder hinter der Hotelrezeption sah die sich zwischen großen Maschinen in einer Werkhalle – und entschied sich für eine Ausbildung zur Rollenoffsetdruckerin.

Mit Erfolg: Heute ist sie 32 und als Projektleiterin der Druckerei-Servicegesellschaft S.E.M. für mehr als 29 Mitarbeiter an zwei Standorten zuständig. „Im Ausbildungsbetrieb war ich die einzige Frau, in der Berufsschule gab es noch ein weiteres Mädel“, erzählt sie.

Die Arbeit in einer männerdominierten Arbeitswelt sei ihr nie schwergefallen – aber mit Sprüchen müsse man schon umgehen können. „Der Umgangston unter den Männern ist etwas rauer“, sagt sie lachend. Ob ihr das Probleme bereite? „Das geht schon, sonst wäre ich nicht hier.“

Allein unter Männern? "Das ist eine Typenfrage"

Im Gegenteil – allein unter Männern sei es viel entspannter als unter Frauen, meint Platzer. „Frauen neigen dazu, zickig zu sein, zu lästern, Dinge hintenrum zu klären. Das gibt es bei Männern auch, aber es ist insgesamt entspannter.“ Weibliche Kolleginnen vermisst sie jedenfalls nicht. „Das ist eine Typfrage“, meint Platzer. „Ich kann Themen auch gut mit männlichen Kollegen besprechen.“

Die Reaktionen auf die Frau in der Männerwelt fielen unterschiedlich aus, erzählt Mariella Platzer. „Viele nehmen es sehr positiv auf, weil sie sehen, dass ich weiß, was ich tue.“ Es gebe aber auch Menschen, die sich schwer mit einer Frau in der Druckbranche täten. „Da braucht es ein bisschen mehr Überzeugungsarbeit“, sagt sie. „Ich muss nicht um jeden Zentimeter Anerkennung kämpfen, aber doch mehr als männliche Kollegen.“

Akzeptierte Chefin

Heute ist sie als junge Frau auch Vorgesetzte älterer Mitarbeiter. „Da bedarf es viel Feingefühls. Es gibt Leute, die wollen sich von mir nichts sagen lassen, aber die meisten sind unproblematisch.“ In ihren Teams arbeiten Männer unterschiedlichster Nationalitäten zusammen, selbst die aus streng muslimischem Elternhaus würden sie als Chefin akzeptieren, so Platzer.

Nur bei einem Thema würden sich die Mitarbeiter manchmal zieren: Geld. „Wenn es um Finanzen geht, eine Gehaltserhöhung, oder jemand einen Vorschuss braucht, fällt den Männern das Gespräch mit der Chefin schwer“, erzählt sie. „Aber dafür bin ich ja da.“ Ob die Tatsache, dass sie eine Frau ist, bei der Einstellung oder Beförderung eine Rolle gespielt hat? Mariella Platzer ist überzeugt: „Das lag an meiner Kompetenz und nicht an meinem Geschlecht.“

Ein Mann, der seine Frau steht

Mit mehr als 50 Jahren wechselte Michael-Rajiv Shah noch einmal den Beruf: Er ließ sich zum Tagesvater ausbilden

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Erst betreuen, dann aufräumen: Tagesvater Michael-Rajiv Shah im Spielzimmer

Ein Haufen Mini-Hausschuhe liegt in der bunten Plastikkiste neben der Eingangstür, unter der Garderobe stehen rote Kindersessel. Wer Michael-Rajiv Shahs Wohnung in Wien-Döbling betritt, sieht sofort, dass hier mehr als ein Kind ein- und ausgeht. Der 54-Jährige ist Tagesvater – eine Rasselbande von fünf Ein- und Zweijährigen betreut er täglich von morgens bis nachmittags.

Er isst mit den Kindern, spielt und singt, macht mit ihnen oft Ausflüge, legt sie schlafen.  „Am Wochenende verschwinden alle Utensilien, die nach Kleinkindern aussehen“, sagt Shah und lacht. Dann gehört die Wohnung wieder ihm, seiner Frau und seiner elfjährigen Tochter.

"Tagesmutter mit Bart"

Vor einem Jahr hat Michael-Rajiv Shah die Prüfung zum Tagesvater abgelegt – die Urkunde hängt eingerahmt im Flur. Als „Tagesmutter mit Bart“ bezeichnet er sich selbst auf seinem Online-Auftritt. Das sei suchmaschinenoptimiert, erklärt er: „Kaum jemand googelt Tagesvater.“

Hier klingt sein „altes Leben“ an, in dem er als selbstständiger Social-Media-Berater tätig war. Heute ist er beim Verein Eltern für Kinder Österreich angestellt. Für Shah war die Ausbildung zum Tagesvater eine späte Berufung. „Ich musste erst durch das Business-Thema durch, bis ich mit 50 da angekommen bin, wo ich hingehöre.“ Zwei Jahre lang habe er nach einem Beruf gesucht, in dem er seine Fähigkeiten bestmöglich einsetzen kann – und wurde fündig.

Mehr Hochachtung als Unverständnis

In seinem Ausbildungskurs war Shah der einzige Mann, noch gibt es kaum Tagesväter. „Die meisten, die nach meinem Beruf fragen, kommen nicht drauf. Dann sage ich ‚so wie eine Tagesmutter’ und dann fällt der Groschen“, erzählt er. Einem Mann in dieser Branche würde noch mehr auf die Finger geschaut, das hatte er oft gehört. Aber: „Die Reaktionen der Menschen sind sehr positiv.“ Ihm begegnete eher Hochachtung als Unverständnis.

Die Tatsache, dass er ein Mann ist, sei bei den Eltern, die ihre Kinder zu ihm schicken, weder ein Grund für noch gegen ihn, meint er. „Die Leute kommen nicht zu mir, weil sie einen Tagesvater suchen, sondern weil sie eine gute Betreuung ihrer Kinder suchen.“ Für Michael-Rajiv Shah ist sein Beruf „geschlechterneutral“ – er habe sich eben getraut, seine weibliche Seite auszuleben. Für den Tagesvater steht fest: „Jede Frau kann ihren Mann stehen – und jeder Mann seine Frau.“

Vom Pensionisten zum Jungunternehmer

Mit 77 Jahren belebte Wilhelm Kirstein den „Blockmalzmann“ und die dazugehörige Zuckerlproduktion neu – und sucht nun einen Nachfolger

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„Der Blockmalzmann“ steht auf seiner Visitenkarte: Unternehmer Wilhelm Kirstein

Ein glänzender, brauner Bauch wölbt sich zwischen gelenklos gebogenen Armen: der Blockmalzmann. Als Wilhelm Kirstein 2017 vom Pensionisten zum Unternehmer wurde, musste er sich weder um das Produkt noch um die Identifikationsfigur viele Gedanken machen. Sein halbes Leben lang hatte der Wiener auf diesen Moment gewartet – mit 77 Jahren sicherte er sich die Markenrechte für „Kirsteins Blockmalz“ und trat damit in die Fußstapfen seines Großvaters.

1877 legte Ludwig Kirstein die Grundlage für das Familienunternehmen, 1912 entwickelte Emil Kirstein das Rezept für die malzigen Frischmilch- Zuckerl. Emils Sohn, Wilhelm Kirsteins Vater, verkaufte die Fabrik gegen den Willen seines Sohnes in den 1970er-Jahren an die Konkurrenz. Wilhelm, damals Anfang 30, verlässt die Branche, geht seinen eigenen Weg und erarbeitet sich ohne Studium Führungsposten in unterschiedlichen Unternehmen. Doch die Familiengeschichte lässt ihn nicht los.

Mit 77 zum Jungunternehmer

„Ich war ein Großvaterkind, er hat mir die Lebensweisheit beigebracht“, erzählt der heute 79-Jährige: „Tradition ist wichtig, aber blicke immer nach vorn.“ In seiner Pension habe er sich immer geärgert, dass es „dieses schöne österreichische Produkt“ nicht mehr gibt. Denn die Inhaber der Markenrechte brachten keine Kirstein-Blockmalz-Produkte auf den Markt.

Als die Marke lange genug ungenutzt war, ergreift Wilhelm Kirstein die Chance und sichert sich das Markenrecht – inklusive Blockmalzmann-Figur. „Wenn ich nicht das Erbe meines Großvaters antrete, versäume ich etwas“, war Kirstein überzeugt – und wurde mit 77 Jahren zum Jungunternehmer. „Ich habe kein Hobby gebraucht, mir geht es auch nicht ums Geld – ich möchte die Marke bewahren.“

Nachfolger gesucht

Mit dem geheimen Familienrezept in der Hand suchte sich der gelernte Zuckerbäcker einen Produzenten und einen Vertriebspartner, und so gibt es seit einiger Zeit nicht nur Milch-Blockmalz, sondern auch Kräuterbonbons und mit „Dr. Block Power“ Kirsteins Antwort auf Energiedrinks im Süßwaren-Fachhandel – und Ideen habe er noch viele.

Das Weiterleben des Blockmalzmannes ist für Wilhelm Kirstein mehr als die Verbundenheit zur Traditionsmarke. Es ist seine Familiengeschichte, die er weiterschreibt. Doch mit fast 80 Jahren macht er sich Gedanken , wer die Marke nach ihm führen könnte. „In meiner Familie ist keiner in Sicht“, sagt der zweifache Vater. Der größte Wunsch ist für den Jungunternehmer daher: ein Partner oder Nachfolger, der die Blockmalz-Familie weiterleben lässt.

Handwerker mit Sinn für den richtigen Ton

Christian Wittmann, 41, ist Österreichs einziger Drehorgelbauer

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Der Nachbau einer Wurlitzer-Karussellorgel ist Christian Wittmanns Meisterstück

Mehr als 4,5 Millionen Erwerbstätige gibt es in Österreich. Knapp 7.000 davon sind Rechtsanwälte, rund 4.500 Immobilienmakler – doch nur ein einziger ist Drehorgelbauer. Es riecht nach Holz in Christian Wittmanns Werkstatt in Niederösterreich. Vom unbehandelten Nussbaum- oder Birnenholzbrett bis zur fertigen Drehorgel mit Pfeifen, Gehäuse und Balgwerk schafft der Orgelbaumeister hier alles mit der Hand.

„Viele Leute fragen, ob man davon leben kann“, erzählt der 41-Jährige. „Aber es gibt immer etwas zu tun.“ Nach zehn Jahren Selbstständigkeit habe er keine Sorge mehr, dass es kein Geschäft gibt. Konkurrenz hat der Drehorgelbauer keine – die nächsten Kollegen sitzen in Deutschland, wo es auch nur eine Handvoll echte Werkelmacher gibt. Zwischen 5.000 und 30.000 Euro kostet ein Produkt seiner Manufaktur. Die kaufen neben Musikern auch Museen und Sammler. Bis nach Nordamerika hat er seine Instrumente schon verschickt.

Ein Beruf, der vieles vereint

Gelernt hat Christian Wittmann den Orgelbau für große Instrumente in Kirchen. Die spielt er selbst heute nur noch im Ehrenamt – als Organist in drei Pfarren. Doch seit er als Volksschüler einmal auf einem Weihnachtsmarkt die Kurbel eines Leierkastens drehen durfte, haben es ihm die mechanischen Mini-Orgeln angetan. „Der Beruf vereint die Arbeit mit Holz, Metall, Leder, Elektronik“, schwärmt Wittmann und streicht über einen plattenspielerähnlichen Leierkasten, den er zur Restaurierung schon halb auseinandergenommen hat.

Im Nebenraum tickt ununterbrochen eine Stanzmaschine, die dünne Papierrollen mit den für die Instrumente lesbaren Notenlöchern versieht. Auch sie hat Wittmann selbst gebaut, vor 20 Jahren schon. Neben Vengaboys, Wienerliedern und AC/DC  macht er auch individuelle Musikwünsche seiner Kunden drehorgelkompatibel. „Den Traum zur Selbstständigkeit hatte ich immer“, erzählt Christian Wittmann.

Doch die Werkelmacherei ist mehr als nur ein Broterwerb: Jahrzehnte lang gab es in Österreich keine hauptberuflichen Drehorgelbauer, Wittmann hat die Lücke gefüllt. „Mir ist wichtig, die Tradition zu bewahren“, sagt er. Er mag zwar derzeit der einzige Drehorgelbauer im Land sein. Aber: „Ich bin nicht der Erste – und hoffentlich nicht der Letzte.“

Vorreiter statt Außenseiter

Ende Jänner hat die Wirtschaftskammer ihre Lehrlingsstatistik für das vergangene Jahr vorgestellt. Mit Tabellen: nach Bundesländern, nach Sparten, nach Lehrjahren – und nach Geschlecht. Die beliebtesten zehn Berufe werden ausgewiesen, getrennt nach Mädchen und Burschen.

Die Unterscheidung von Männer- und Frauenberufen findet hier ihren Nachwuchs: Mädchen wollen in den Einzelhandel, Büros und Friseursalons, Jungen werden Metall-, Elektro- oder Kraftfahrzeugtechniker. Ein Mann im Kindergarten, eine Frau unter der Auto-Hebebühne, das ist noch immer ein seltener Anblick.

Traditionell finden sich typische Frauenberufe im sozialen Bereich, haben mit Erziehung oder Pflege zu tun. Dringen Männer in diesen Bereich vor, haben sie schnell mit Vorbehalten zu kämpfen; oft ist Sexualität, mögliche Homosexualität oder sogar Pädophilie ein Thema, beispielsweise bei Erziehern. Dabei ist es seit Jahren ein öffentliches Anliegen, Männer in Frauen- und Frauen in Männerjobs zu bekommen. Unzählige Studien, Erhebungen, Umfragen gibt es zu dem Thema, mit Aktionen wie „Girls’ Day“, „Boys’ Day“ und – für die Erwachsenen – der Frauenquote soll gegengesteuert werden.

Einheitliche Belegschaften überwiegen

Das Geschlecht ist nicht der einzige Faktor, der Menschen zu Minderheiten in ihrem Job macht: Auch in Alter, Hautfarbe, Herkunft oder Bildungsstand sind sich Belegschaften oft ähnlich, besonders kleine Unternehmen neigen dazu, einander – oder vielleicht vor allem den Verantwortlichen – ähnliche Menschen einzustellen.

Das sorgt zwar für ein einheitliches Erscheinungsbild und bestenfalls Harmonie im Unternehmen, nicht aber für bessere Geschäftszahlen. Denn homogene Teams verhinderten Ideen und damit Innovation, wie die dänische Wissenschafterin Ana Luiza Burcharth in ihrer Dissertation an der Aarhus School of Business festgestellt hat.

Doch es braucht mehr als Vorzeige-Frauen und Alibi-Andere. In den 1970er-Jahren prägte die Harvard-Soziologin Rosabeth Moss Kanter den Begriff des Tokenismus für die Anstellung von Minderheiten in Unternehmen – unbewusst oder als kalkulierte Symbolpolitik. Das menschliche „token“ als Zeichen, oft in Positionen mit geringen Aufstiegschancen, werde oft kritischer beobachtet als die Mehrheit, fand Kanter heraus.

Minderheit als kritische Masse

Rund 40 Jahre später stellten Forscher des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung fest, dass Personaler die Lebensläufe von Frauen in Bewerbungen bei gleicher Qualifikation deutlich schlechter bewerteten als die von Männern – mit dem Effekt, die Frauen durchschnittlich eine Schulnote herabzustufen. Besonders deutlich war dies bei typischen Männerberufen.

Um etwas verändern zu können, muss die Minderheit zu einer kritischen Masse werden. Wann das der Fall ist, hat eine norwegische Studie in Aufsichtsräten von mehr als 300 Unternehmen untersucht – vor und nach Einführung der Frauenquote 2006. Ihr Ergebnis: Mindestens drei Frauen braucht es, damit deren Ansichten gehört werden. Darunter würden sie sich der Mehrheitskultur anpassen oder einfach überhört.

Abweichler in der Gruppe tun gut

Dabei spielt den zahlenmäßig Unterlegenen ein anderer Effekt in die Hände, der den Gruppenzwang umkehrt: der Minoritätseffekt. Ende der 1980er-Jahre zeigt der rumänisch-französische Sozialpsychologe Serge Moscovici in Experimenten einer Gruppe Bilder in unterschiedlichen Blautönen – und installiert Querulanten, die vehement behaupten, sie seien grün.

Die Abweichler konnten die Gruppe so verunsichern, dass ein Drittel der Teilnehmer meinte, zumindest ein grünes Bild gesehen zu haben. Dieser Effekt trat aber nur auf, wenn der Einzelne nicht mit merkwürdigem Verhalten oder dicken Brillengläsern auftrat. Eine Minderheit kann also sehr wohl wirken – solange sie kompetent erscheint und ihre Meinung deutlich genug äußert.

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