Die 30er nerven

Zwischen Ende 20 und Anfang 40, in der Rush Hour des Lebens, soll alles passieren: Heiraten, Kinder kriegen, sich im Job etablieren – das ist stressig und laugt aus
In keiner Dekade ist die Unzufriedenheit größer – weil alles auf einmal passiert.

Die 30er sollten sich toll anfühlen: Man verdient nach Jahren des Centzählens endlich ausreichend, um in eine schöne, große Wohnung zu ziehen, ausgiebig Urlaub zu machen oder teuren Wein zu trinken. Man wird von Kollegen, Vorgesetzten und Eltern ernst genommen, als erwachsen anerkannt, darf aber ruhig noch verspielt sein, ohne übermäßig peinlich zu wirken. Man hat endlich Ahnung vom Fach, weiß, dass zwischen Theorie und Praxis ein Unterschied besteht, ist beruflich angekommen, darf auch Neues beginnen. Man geht auf Afterworks und nicht auf Studentenpartys, wo nicht weniger Schabernack getrieben wird, doch mit weniger Kopfweh am nächsten Tag.

Gründe, die 30er zu lieben, gibt es viele.

Und mindestens genau so viele, sie zu verfluchen – denn sie sind wahnsinnig dicht. Nicht umsonst wird diese Zeit von Experten "die Rush Hour des Lebens" genannt. Eine Studie, die kürzlich im Journal of Occupational Health Psychology vorgestellt wurde, hat erneut bestätigt: In den 30ern ist die Unzufriedenheit am größten – weil sich nix mehr ausgeht und Kollegen zu Konkurrenten werden. Zwar wurden für besagte Studie "Time Pressure and Coworker Support Mediate the Curvilinear Relationship Between Age and Occupational Well-Being" ausschließlich Menschen aus der Baubranche befragt – 800 an der Zahl – jedoch innerhalb der Branche vom Arbeiter bis zum Büroangestellten.

Es wird kompliziert

Auf Menschen zwischen Ende 20 und Anfang 40 prasselt alles auf einmal ein: Plötzlich werden Kollegen zu Konkurrenten, denn viele wollen weiter nach oben – doch die Luft dort ist dünn wie Pergamentpapier, es gibt nicht viele Führungsjobs. Kollegen unterstützen einander dann immer weniger, so die Studie. Das macht die Stimmung im Büro nicht angenehmer. Wer keine neue Verantwortung bekommt, wird irgendwann mürbe. Auch die Selbstverwirklichung wird in dieser Zeit größer geschrieben. Doch um das Traumhaus zu bauen, braucht es Überstunden. Dann sollen Kinder noch ins Leben passen, ohne dass die Karriere leidet – der Chef soll zufrieden sein und der Nachwuchs glücklich. Irgendetwas bleibt dann zwangsläufig auf der Strecke. Zuallererst die eigene Person: Denn wo als Erstes gespart wird, ist die Zeit, die man sich für sich selbst nimmt. Dadurch kann man die Zeit nicht genießen, sie fühlt sich immer knapp an. Wer die Zeit einholen will, dem läuft sie umso schneller davon.

Es wird besser

Die gute Nachricht: Die Zufriedenheit nimmt mit dem Alter wieder zu. Mitte 40, spätestens, geht es wieder aufwärts. Weil sich Job und Familie langsam eingespielt haben (oder auswachsen), die gemachten Erfahrungen zu mehr Gelassenheit führen, weil sich die Wertigkeiten wieder verschieben: Es geht weniger um Wettbewerb – privat, beruflich. Fehler und Niederlagen werden eher akzeptiert. Kurz vor der Pension soll man sogar so glücklich wie Anfang 20 sein. Das gibt ein wenig Grund zur Freude. Und die Einsicht, dass Zufriedenheit auch eine Frage der Einstellung und der Prioritätensetzung ist. Unzufriedenheit kann ein Motor für Veränderung sein und ein Anzeichen dafür, dass man dringend nachbessern sollte.

Das Beratungsunternehmen AT Kearney widmete eine Ausgabe seiner Magazinreihe 361º der „Rush Hour des Lebens“, also allen Problemen, die Ende 20- bis Anfang 40-Jährige haben. Dort fordert man die Entzerrung dieser stressigen Zeit: „Aus der klassischen Erwerbsbiografie mit initialer Ausbildung und schnellem Aufstieg müssen Berufswege mit hoher Flexibilität für Familienzeit und Weiterbildung werden, die beruflichen Aufstieg in jedem Alter ermöglichen.“ Vor allem für Frauen würde die familienbedingte Unterbrechung des Berufs, einen Karriereknick bedeuten. „Durch Weiterbildung muss die Wiedereingliederung gut ausgebildeter junger Väter und Mütter nach der Elternzeit gelingen.“
Harald Lothaller ist Sozialpsychologe an der Kunstuniversität Graz und formuliert in einem Beitrag für das Institut für Familienforschung, was in der Rush Hour helfen kann: Regelmäßige und von anderen als solche akzeptierte Freizeit. Zeit mit dem Partner. Verständnis, Rücksichtnahme und Akzeptanz im Job und ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem.

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