Der neue Job ist rasch (v)erspielt
Bewerben bei Unilever geht neuerdings ganz leicht: Auf dem Sofa gemütlich machen, App downloaden und schon kann es losgehen. In 20 Minuten sollen sich Bewerber durch zwölf schlicht designte Computerspiele klicken. Motivationsschreiben brauchen sie keines. „Was fühlt die Frau auf dem Bild?“, fragt die App. Oder weist an: „Blasen Sie den Luftballon so weit wie möglich auf.“ Was auf den ersten Blick wenig mit dem künftigen Job als Supply-Chain-Manager oder Marketing-Trainee zu tun hat, ist in Wahrheit ein gefinkelter Test. Hinter vermeintlich banalen Spielen verbirgt sich feinste Neuropsychologie. Intelligenz, Risikofreude, Altruismus: All das wird geprüft, mit den Daten bestehender Mitarbeiter verglichen und von der Software ausgewertet. Die Künstliche Intelligenz (KI), die neue Kollegen einstellt, als Zukunft der Personalrekrutierung?
Der Bewerbungsprozess sei einfacher, unterhaltsamer und schneller geworden, freut man sich bei Unilever. Der Konzern hat das voll digitalisierte Verfahren 2016 auch im deutschen Sprachraum implementiert. „Wir haben vor allem die Zielgruppe der Millennials im Blick. Das Programm soll Vielfalt unter den Bewerbern fördern“, so Amina Niang, Talent Advisor Early Careers für Unilever Deutschland, Österreich und Schweiz.
Vorauswahl trifft Künstliche Intelligenz
Der Vorteil für die Personalabteilung: Sie muss sich nicht durch Hunderte Lebensläufe arbeiten, die offenbar passende Vorauswahl trifft die KI. Das spart Zeit und Geld. Und die KI kann immer mehr. So lässt das amerikanische Unternehmen HireVue Bewerber im Videochat scheinbar belanglose Fragen beantworten. Ein Algorithmus analysiert dabei Sprache, Mimik und Gestik. Bei den Bewerbern kommen die Spiele unterschiedlich gut an. Eine junge Frau, heute Marketing-Trainee bei Unilever, berichtete gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sie habe den Bewerbungsprozess „ungewöhnlich“ gefunden, sich mit der Auswertung ihrer Persönlichkeit aber alles in allem identifizieren können. Auf der Arbeitgeberbewertungs-Plattform Glassdoor zieht ein User, der an dem mehrstufigen Prozess gescheitert war, eine weniger positive Bilanz: „So etwas Unpersönliches habe ich lange nicht erlebt.“ Das Verfahren selektiere aus, ohne Expertise oder Motivation der Bewerber zu berücksichtigen. „Tatsächlich ist diese Vorselektion nur bei einer großen Bewerberzahl sinnvoll, wo es das Unternehmen akzeptiert, dass ein paar gute Kandidaten durch die Lappen gehen“, sagt Silvia Karnitsch, Senior Consultant beim Personalvermittler ISG.
Immerhin: Laut einer Studie der Uni Bamberg hält von tausend befragten Unternehmen jedes Dritte Gamification für eine gute Möglichkeit, die Eignung von Kandidaten zu ermitteln. 68 Prozent sorgen sich allerdings, ob die Spiele von den Bewerbern selbst absolviert werden. Tatsächlich gaben sieben Prozent der Jobsuchenden an, bei solchen Spielen schon einmal geschummelt zu haben. Und jeder Zweite glaubt, dass selbstlernende Algorithmen Datenmissbrauch begünstigen.
"Ein Offenbarungseid"
Datenschutzexperte und Präsident des Bürgerrechte-Vereins Quintessenz, Georg Markus Kainz, teilt diese Sorge: „Das Spiel ist ein Offenbarungseid.“ Die Daten seien sensibel, in falschen Händen könnten sie missbraucht werden. Er warnt vor Profiling. Über die Apps könnten Firmen etwa ermitteln, ob das Handy des Bewerbers alt oder neu, teuer oder billig ist. Ein Grund, weshalb neue Datenschutzgesetze Profiling einschränken. Bedenken anderer Art hat Personalberaterin Karnitsch: Inwieweit von Ballonspielen auf die reale Risikobereitschaft einer Führungskraft geschlossen werden könne, ist für sie fraglich. Und sie gibt zu bedenken, dass die Computertests manche Bewerber, etwa Ältere oder Menschen mit fremder Muttersprache, benachteiligen können. Wird der Algorithmus zudem mit homogenen Daten bestehender Mitarbeiter gefüttert, reduziere das Diversität.
Sepp Hochreiter, KI-Experte an der Uni Linz, bestätigt: „KI übernimmt die Fehler der Menschen, von denen sie lernt.“ Im Klartext: Speisen Programmierer unbewusst ihre eigenen Vorurteile etwa gegenüber Frauen oder ethnischen Gruppen in den Algorithmus, kann dieser ungewollt rassistisch oder sexistisch werden. „Programme scheitern, wenn die Datenbasis ungenügend ist.“ Karnitsch ist sich sicher, dass die KI menschliche Interaktion beim Bewerben nicht ersetzen können wird: „Tendenziell haben wir am heimischen Arbeitsmarkt Fachkräftemangel, also nicht zu viele, sondern zu wenig geeignete Bewerber. Wir Berater sind gefordert, auch jene Kandidaten zu finden, die im klassischen Sinn vielleicht nicht zur Stelle passen, sie in der Praxis aber gut füllen.“ Spiele, wie den Code-Cracker von Jaguar Land Rover (siehe rechts), bewertet Karnitsch daher positiv: „Wenn sie gut gemacht sind, ist das ein tolles Personal-Marketingtool.“ Der Nachteil: Es kostet in dieser Form viel Geld. Selbst bei Vorauswahl via Spiel sind erfahrene Recruitingprofis letztlich also unersetzbar. Es braucht empathische Menschen – ganz besonders da, wo individueller Teamfit gefragt ist.
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