Schriftsprache hat einen Ton, den man herauslesen und auch fühlen kann. Wenn man den Ton nicht zu beherrschen weiß, könnte der Leser sich – statt auf den tatsächlichen Inhalt – auf den unbeabsichtigten Ton konzentrieren. Den richtigen Ton anzuschlagen, damit zwischen den Zeilen kein Missverständnis oder gar Streit entsteht, sei also empfehlenswert, raten die Experten. Insbesondere im beruflichen Kontext.
Jürgen Spitzmüller ist Linguist, beschäftigt sich mit der Anwendung von Sprache und unterrichtet an der Universität Wien. Er sieht in der Thematik eine Metapher: „Der Ton ist das Gewand des Textes und sollte, um guten Eindruck zu hinterlassen, sorgfältig gewählt werden.“
„Eure Hochehrwürdigste …“
und dann noch eine Seite Abstand zwischen Anrede und Nachricht: Heute skurril, vor ein paar Hundert Jahren schriftliche Etikette. Je höher die Person, an die man schreibt, desto mehr Leerraum brauchte es. Das ist heute natürlich veraltet. Aber Spitzmüller leitet daraus eine goldene Regel ab, die noch relevant ist: „Man sollte sich vorab genau überlegen, mit wem man spricht und was man möchte“, so der Linguist. „Denn welchen Ton man wählt oder für welchen Schreibstil man sich entscheidet, hängt vom Adressaten ab.“ Die Sprache würden wir dann immer für den jeweiligen Kontext angepasst, auswählen.
„Einen universellen Leitfadengibt es nicht“
Stattdessen gibt es Erwartungen. Bedient man sie, ist man auf der sicheren Seite. Das erkennt man beispielsweise beim förmlichen Schriftverkehr. In diesem Kontext entscheidet man sich meist für eine höfliche Sprache, mit einer Anrede und einem „Sie“ statt einem „Du“. Rechtschreibung spiele hier ebenfalls mit, man bemühe sich nämlich um einen „fehlerfreien“ Text. Doch auch das hänge vom Kontext ab.
Im Privaten zum Beispiel oder konkreter auf sozialen Medien, sei Rechtschreibung öfter Nebensache geworden. Wenn man sich da etwa an die Regeln der Interpunktion hält, „könnte es sogar komisch aussehen“, sagt Spitzmüller. Die richtige Emoji-Setzung sei mancherorts wichtiger. Je nach Person und Alter wird darauf geachtet, das richtige Bildchen zu versenden. Punkt und Beistrich fallen fast ganz weg.
Emojis übernehmen diese Funktion
Ein Punkt am Ende eines Satzes könne hier vielleicht sogar als negativ bewertet werden. Aus Texten lese man nämlich laut dem Linguisten Absichten und Einstellungen heraus: „Formulierungen spielen dabei eine große Rolle und je nach persönlicher Erfahrung können Beistriche oder Wortwahl ausschlaggebend sein.“
Wie lang muss man sich kennen, um flapsig werden zu dürfen?
Wie schnell ist man per du? Die Antwort sei tatsächlich sehr individuell und gehöre zum komplexen „Kommunikationstanz“ dazu. „Kommunikation wird dann kompliziert, wenn man sich gegenseitig einschätzen muss.“ Wie viel darf man sagen, was sollte man riskieren, damit man nicht langweilig wirkt? Die Entscheidung liegt schlussendlich bei jedem selbst: Bleibt man bei der „Mode von der Stange“ und hält sich strikt an die vorgegebenen Etiketten oder zieht man die roten Glitzer-Lack-Schuhe an?
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