Das Leben ist gefährlich

Das Leben ist gefährlich
Judit Havasi kam als Studentin nach Österreich – Ihr Weg führte bis in den Vorstand.

Das Studentenleben war auch in Wien nicht wahnsinnig rosig. Judit Havasi war 20, Jus-Studentin, erst kurz in Wien und hatte Probleme mit dem Wiener Dialekt des Herrn Professor. Gemischt mit Latein muss es für die Ungarin wie Esperanto geklungen haben.

Sie hatte damals zwei Möglichkeiten: Sehr viel lernen oder zurück nach Budapest fahren und als Verkäuferin mit Deutschkenntnissen Geld verdienen. Sie ging zurück nach Budapest – am 8. Dezember 2000. Aber mit Doktortitel.

Es soll Familienfrauen geben, sorgsam, verlässlich, sanft, und auf der anderen Seite Karrierefrauen, die zielstrebig und egoistisch aufs Vorankommen drängen. Zur Positionierung lässt sich Havasi nicht zwingen. Sie bringt ihre zwei Söhne um acht Uhr in den Betriebskindergarten, fährt dann in ihr Büro im Ringturm. Sie grüßt die Kollegen mit ebenso sanfter Stimme wie ihre Kinder: „Guten Morgen.“ Der Ton ist hier bestimmender. Sie bedankt sich für den Kaffee: „Danke Gabi, bist ein Schatz“. Sie sagt, sie liebe die Arbeit. Es fällt leicht, das zu glauben. Nur wenn sie Besprechungen hat, schließt sie die Bürotür. Auf einem Schild steht: Judit Havasi, Vorstand. Als Ungarin und Frau ist sie in dieser Position in zweierlei Art eine Seltenheit in Österreich.
Vor wenigen Wochen wurde sie von Gertrude

Tumpel-Gugerell, Grande Dame im Finanzsektor, für die Zeit zur „Heldin von morgen“ ernannt.

Am schwarzen Brett 2005 wurde sie in einer ungarischen Tochtergesellschaft der Wiener Städtischen, der Union Biztosító, in den Vorstand berufen. Judit Havasi bewarb sich 2000 auf eine Anzeige, die ihr am schwarzen Brett im Adolf-Schärf-Studentenwohnheim auffiel. Um die Tochtergesellschaft in Ungarn aufzubauen, suche man Mitarbeiter mit Kenntnissen in Ostsprachen. Bald darauf, an einem Samstag, traf sie Günter Geyer, den ehemaligen großen Chef der Vienna Insurance Group und seine Gattin auf einen Kaffee. Die ehemalige Barriere, ihre Sprache, sollte ihr Bonus werden, ihr den imposanten Aufstieg bescheren. Den Migrationshintergrund habe sie seither fast nie zu spüren bekommen, weil die Österreicher Ungarn mögen.

Ohne Risiko

Als sich der erste Sohn ankündigte, besprach Havasi ihre mögliche weitere Karriere mit Günter Geyer. Sie wurde nach Wien ins Headquarter in den Ringturm geholt. Seit 2009 ist sie dort im Vorstand. Wenn Havasi ihr Büro betritt, geht sie als erstes zum Schrank. Sie zieht ihren Mantel aus und die schwarzen Lederstiefel, steht in Strümpfen am Boden, ehe sie in schwarze Pumps schlüpft. Keine Frau steht gerne den ganzen Tag in Stiefeln. Tage, die von Terminen, Besprechungen und eMails dominiert sind. Meist geht sie um 18 Uhr nach Hause, kümmert sich um die Familie. Ihr Mann unterstützt sie. Familie und Job müssen viele Österreicherinnen irgendwie bewerkstelligen – oft mit weniger Anerkennung.

Aber Havasi trägt viel Verantwortung, soll das Bestehen der Firma langfristig sichern. Risiko heißt ihr Geschäft. Versicherungen wollen überhaupt alle Risiken für alle Menschen übernehmen. Das Leben ist bekanntlich furchtbar gefährlich. Judit Havasi ist für jeden möglichen Fall versichert und denkt wenig an die Zukunft. Keine Zeit. Jeden Morgen steht sie um 5 Uhr 30 auf, um Essen für die Kinder zuzubereiten, weil sie eine Ernährungskrankheit haben. Heute werden sie Gemüsesuppe mit Nudeln und Spaghetti mit Tomatensauce essen, zur Jause ein Käsebrot. Mehr als den Job liebt Havasi nur die Familie.

„Ich habe oft nachgedacht, wieso ich erfolgreich bin. Die Rahmenbedingungen waren passend“, sagt sie. Aber ohne sich dafür zu entschuldigen. Sie blickt geradeaus, blinzelt nicht, wie es Menschen oft tun, wenn sie das Gefühl haben, sich rechtfertigen zu müssen. „Ich glaube, wer nichts kann, wird am zweiten Tag enttarnt.“ Sie glaubt an Lösungen. Nicht an Quoten. Man müsse an der Basis ansetzen. Damit Karrieren wie ihre nicht per Zufall passieren.

Kurz gefragt

Als Kind wollte ich ... ... Schauspielerin werden.
Erfolg ist für mich ... ... Freude an der Arbeit und Work-Life-Balance.
Die größte Herausforderung ... ... die Work-Life-Balance.
Ein Fehler ... ... kann passieren. Für mich ist aber sehr wichtig, wie er ausgebessert wird.
Mein Führungsstil ist ... ... kommunikativ.
Mein Buch... ... zurzeit: Rafik Schami, „Eine Hand voller Sterne“.
Mein Luxus ... ... ein „ruhiger Kaffee“ um 5:30 Uhr, jeden Tag.

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