Das erste IT-Girl revolutionierte die Branche
Stephanie Shirley ist viel mehr, als ihr Ehrentitel "Dame" vermuten lässt. Die Britin gründete ein IT-Unternehmen, als Computer-Codes noch per Fernschreiber in Lochstreifen gestanzt wurden. Als Fünfjährige landete die Deutsche mit österreichischen Wurzeln auf der Flucht vor den Nazis in London. In einer puritanischen Gesellschaft, in der Mädchen neben Hausfrau und Mutter maximal Sekretärin werden durften, gründete Stephanie Shirley ihre Software-Firma F International Group. F stand für: feministisch, flexibel, Freelancertum. Shirley holte Frauen ins Unternehmen, die von zu Hause aus Codes für die Programme schrieben – bis der Anti-Discrimination Act auch Männer im Unternehmen vorschrieb. 1993 zog sie sich als drittreichste Frau Englands zurück. Als Mutter eines autistischen Sohnes engagierte sie sich für die Autismusforschung, spendete bis 2010 50 Millionen britische Pfund für wohltätige Zwecke. Vergangenen Montag war sie beim Wiener Stadtgespräch der Arbeiterkammer zu Gast.
KURIER: Sie begannen Anfang der 1950er in der Datenverarbeitung bei der Post, studierten nebenbei Mathematik. Wie kamen Sie zu diesem ungewöhnlichen Berufsweg?
Stephanie Shirley: Ich ging in eine katholische Mädchenschule, wo einzig Biologie als Naturwissenschaft für Mädchen infrage kam. Aber ich liebte Mathematik und war so gut darin, dass ich mit zwölf an die Jungenschule wechseln durfte. Es war entsetzlich, die Jungs pfiffen mir hinterher. Dann wurden Computer immer wichtiger – und Mathematiker wurden benötigt.
Der Sexismus setzte sich im Berufsleben fort. Auch im ersten Job?
Nicht als Junior-Assistentin. Ich war jung, attraktiv. Die Männer trugen mein Equipment. Erst als ich Forschungsassistentin werden wollte, begann der Sexismus. Und es gab damals im Gehaltsschema eine Spalte für Frauen und eine für Männer.
Wie kamen Sie auf die Idee,1962 Ihre eigene Firma zu gründen?
Die gläserne Decke blockierte mich. In einem Meeting brachte ich Vorschläge fürs Marketing, ich bekam die Antwort: "Sie haben hier nichts zu sagen, Sie sind Technikerin." Computer öffneten Türen, ich wollte da durchgehen.
Sie gründeten mit sechs Pfund.
Und hatte null Ahnung, wie man eine Firma führt. Ich war frisch verheiratet und dachte, wenn es schiefgeht, haben wir das Gehalt meines Mannes.
Wie reagierte man auf Sie?
Viele lachten mich aus. Ich sagte ihnen, ihr werdet schon sehen. Ich änderte meinen Namen in den Geschäftsbriefen auf Steve. Das Vortäuschen war nötig, um überhaupt einen Termin bei Kunden zu bekommen. Dann ging die Tür auf und die Geschäftspartner schauten mal, als sie Stephanie sahen. Aber im Gespräch bekam ich das hin. Mein Mann unterstützte mich sehr. Ich rate den Frauen: Sucht euch euren Mann gut aus.
Was machte Sie so selbstbewusst?
Ich glaube nicht, dass ich selbstbewusst war. Aber ich wollte ohne gläserne Decke arbeiten. Dann wollte ich, dass mein Unternehmen für andere Frauen attraktiv wird. Ich dachte, Frauen sollten alle Möglichkeiten haben. Viele hatten Kinder, schrieben für mich von zu Hause aus die Codes. Das war revolutionär. Aber 1975 mussten wir das ändern und Männer reinlassen. Damals arbeiteten 400 Frauen für mich.
Wie haben Männer die Unternehmenskultur verändert?
Die ersten Männer waren schwul (lacht). Es dauerte, aber wir wurden eine Familie. Die Mitarbeiter teilten sich Arbeitsplätze oder arbeiteten von zu Hause aus – sehr flexibel. Es ging darum, Job und Familie zu vereinbaren.
Wurde Ihnen je Druck gemacht, aufzuhören?
Viele wären darüber erfreut gewesen. In den 70ern gingen wir durch eine schwere Rezession in England, es war fürchterlich. Ich begann wieder selbst zu verkaufen, zu tippen.
Ihr Führungsstil ist sehr modern – ist er weiblich?
Ich denke ja. Ich habe immer versucht zu delegieren und meine Mitarbeiter zu ermutigen, ihnen zu vertrauen und mit ihnen im Team zu arbeiten. Der damals vorherrschende Führungsstil kam aus dem Militär – command and control.
Wie vereinbarten Sie als Mutter eines kleinen autistischen Sohnes Beruf und Familie?
Er brauchte viel Aufmerksamkeit. Aber die Zeit mit ihm war für mich ein Ausgleich von der Arbeit und umgekehrt.
Sie sagen, man sieht die Erfolge, aber selten das Scheitern.
Ich bin oft gescheitert. Meine Haltung war: Fang von Neuem an, mach weiter. Das habe ich von meinem Pflegevater.
In Ihrer Biografie "Let IT go" propagieren Sie, Materielles loszulassen. Sie haben einen Großteil Ihres Vermögens gespendet.
Aufzuhören, von materialistischen Dingen getrieben zu sein, machte mich frei. Ich möchte, dass alle Frauen so ein freies Leben haben, wie ich es hatte.
Was raten Sie jungen Frauen?
Mache eine gute Ausbildung, finde etwas, das dich interessiert und tu es einfach.
Dame Stephanie Shirley flüchtete als Kind vor den Nazis nach London. Als junge Frau begann sie bei der Post in der Datenverarbeitung, studierte nebenbei Mathematik, gründete 1957 die British Computer Society mit. In der Firma Computer Developments Limited blieb ihr der Aufstieg verwehrt. 1962 gründete sie F International Group (später Xansa). 1993 zog sie sich als drittreichste Frau Englands zurück und beteiligte die Mitarbeiter am Firmenkapital. Sie gründete eine Schule für Autisten, eine Stiftung und spendete 50 Millionen Pfund für wohltätige Zwecke. 2012 erschien ihre Biografie„Let IT Go“.
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