Das Dilemma der Mütter

Das Dilemma der Mütter
Sarah Fischer liebt ihren Job und bedauert ihr Muttersein. In "Die Mutterglück-Lüge" übt sie Kritik an der Gesellschaft.

KURIER: Sie schreiben, Sie bereuen das Muttersein. Warum?

Sarah Fischer: Das stimmt. Ich habe geschrieben, ich bereue meine Mutterschaft. Als ich schwanger war, habe ich mir vorgenommen, dass ich meine Tochter so erziehen werde, wie ich denke. Ich dachte, ich werde so weiterarbeiten können wie bisher und sie wird mitlaufen. Mir war damals nicht bewusst, dass sich die Gesellschaft erlaubt, Regeln aufzustellen, wie sich eine Mutter zu benehmen hat.

Welche Regeln meinen Sie?

Als Mutter soll man verzichten lernen. Eine Mutter darf keine Ansprüche stellen, muss sich und ihre Bedürfnisse immer hinter dem Kind anstellen. Man gilt sofort als Rabenmutter, wenn man sagt, man ist als Mutter nicht immer glücklich. Auch ich dachte, ich muss diesem Mutterbild entsprechen. Für die Frau ändert sich mit Kind fast alles. Aber nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Wir Frauen müssen sagen dürfen, was uns stört. Wir haben ja auch noch ein anderes Leben außer das als Mutter. Wir geben unser Hirn ja nicht bei der Geburt ab.

Das Dilemma der Mütter
Regretting Motherhood, Sarah Fischer
Sie haben noch wenige Wochen vor der Geburt Vorträge gehalten und sich – so der Eindruck – keine Sekunde länger als nötig mit dem Muttersein und Arbeit beschäftigt. Wie lange ging der Vorsatz gut, dass sich nichts ändern wird?

Ich habe das Muttersein auf mich zukommen lassen. Aber mir wurde oft prophezeit, wenn du ein Kind hast, läuft nichts mehr glatt. Ich verstand das nicht, bin dann aber hart in der Realität angekommen.

Wieso?

Bist du schwanger, hat die Gesellschaft sofort das Gefühl, sich einmischen zu müssen. Dir greifen wildfremde Leute einfach so auf den Bauch, fragen, ob es ein Bub oder ein Mädchen wird, ob du stillen wirst, wie lange du in Karenz gehst. Die Mutterschaft wird zum Allgemeingut. Und egal, was du sagst, es ist falsch. Will man Vollzeit arbeiten gehen, gilt man als Rabenmutter, will man lange in Karenz gehen, liegt man irgendjemandem auf der Tasche.

Welches Kinderbetreuungsmodell befürworten Sie?

Ich finde, jeder sollte sein Modell leben dürfen, so wie er will. Ich wollte einfach meinen Beruf, der mir sehr großen Spaß macht, weiter ausführen wie bisher. Ich war fast 40 und wollte mich auch nicht mehr selbstverwirklichen. Aber: Warum soll eine Frau total glücklich sein, wenn sie 24 Stunden mit einem Kleinkind zusammen ist, das noch nicht sprechen kann? Und warum darf sie nicht sagen, dass ihr da Ansprache fehlt? Mutterglück allein ist kein Glücksgarant. Und wer als Mutter nicht überglücklich ist, ist nicht automatisch eine Egoistin. Ich prangere das Mutterbild an und sage das laut auf die Gefahr hin, dann zu hören, ich sei undankbar.

Sie sind Reisejournalistin und betreuen Fernsehteams im Ausland, haben sich einen Ruf als Mongolei-Expertin aufgebaut und halten viele Vorträge. Wann sind Sie wieder in den Job eingestiegen?

Ich bin sofort wieder eingestiegen – mein Mann hat mir den Rücken freigehalten. Er ist zu vielen Vorträgen mitgekommen und hat auf unsere Tochter aufgepasst. Natürlich hat auch sie mir oft Grenzen aufgezeigt. Ich habe meinen Job mittlerweile um 40 Prozent heruntergestrichen. Aber ich bin selbstständig und arbeite jetzt eigentlich normal Vollzeit.

Sie schreiben, dass Ihnen Ihre finanzielle Unabhängigkeit wichtig war. Auch wenn Ihr Mann mehr verdiente, haben Sie sich die Kosten 50:50 geteilt.

Freundinnen haben mich deswegen oft gefragt, ob ich noch ganz dicht bin – sie konnten das nicht verstehen. Ich hatte dann 2014 ein Burn-out und durfte drei Monate lang nicht arbeiten. Ich habe in dieser Zeit natürlich auch kein Geld verdient und musste Schulden bei meinem Mann machen. Mittlerweile teilen wir die Kosten nicht mehr ganz 50:50. Manchmal beneide ich die Mütter, die in ihrer Rolle zu 100 Prozent aufgehen, die kein Problem mit dieser finanziellen Abhängigkeit haben. Ich habe ständig das Gefühl, ich muss mich vierteilen.

Sie schreiben, die grundsätzlichen Voraussetzungen fehlen, dass Kinder gut möglich sind. Welche sind das?

Dass nach wie vor der Mann den Löwenanteil verdient, dass nicht genug Krippen und Kindergartenplätze vorhanden sind, dass sie zu kurze Öffnungszeiten haben, dass die letzte Besprechung zu spät angesetzt wird – es gibt so viele Punkte, wo es Eltern schwer gemacht wird. Dazu gibt es viel Literatur.

Stillen gilt als gut fürs Baby. Doch das Stillen passt nicht zum modernen Arbeitsalltag. Was ist der Ausweg?

Etwa Kinderbetreuungseinrichtungen im Unternehmen? Ich habe als Selbstständige überall gestillt, bei Vorträgen, bei Signierstunden – das Publikum fand das eigentlich immer lustig. Aber es gab sicher auch genug kritische Stimmen.

Früher waren Frauen am Feld arbeiten und haben die Kinder zwischendurch gekriegt. Wird heute zu viel Tamtam ums Kinderkriegen gemacht?

Ich bin viel gereist – ich war in 170 Ländern – und ich bin drei Monate mit Nomaden durch die Mongolei gezogen. Ich habe gesehen, wie natürlich die Kinder dort aufgezogen werden. Dort ist das Überleben das Wichtigste und die Kinder sind trotz aller Widrigkeiten glücklich. Ich dachte, ich mache das bei uns genauso wie sie dort. Doch bei uns herrschen andere Bedingungen.

Warum hat die Gesellschaft kein Interesse an produktiven Frauen?

Das ist die Frage. Warum sind wir nicht so weit zu sehen, dass Mütter produktive Arbeitskräfte sind, die auch die Wirtschaft ankurbeln? Ich bin keine Politikerin, keine Ahnung, was da alles dahintersteckt.

Wer erhält den Müttermythos aufrecht: Frauen selbst, unsere Mütter, die Männer?

Ich weiß es nicht. Ich finde nur diese Art Mutterterror unerträglich. Mütter kriegen sich ständig in die Haare: Die Vollzeit-Mütter sind gegen die Vollzeit-Arbeitenden, die Bio-Mütter gegen die Supermarkt-Mütter und so weiter. Vielleicht muss man sich gegenseitig abwerten, um sich selbst aufzuwerten?

Sie schreiben: Hätten Männer die Verantwortung für die Kinderbetreuung, gäbe es in jedem Betrieb einen Kindergarten. Das hieße: Hätten Männer die Verantwortung, würden sie sich freispielen.

Ich weiß nur, wenn der Mann auf Dienstreise geht, wird er nicht gefragt, wer sich um die Kleine kümmert. Wenn ich drei Tage bei einem Dreh bin, zerreiße ich mich zwischen Job und Kind. Für Männer verändert sich als Vater nichts. Die haben ein tolles Kind, einen tollen Job, warum sollen sie sich beschweren?

"Aber du bist die Mutter" – wie kann man diesem biologische Argument begegnen?

Wir Frauen übernehmen diese gesellschaftlichen Anforderungen ja auch bereitwillig. Von Anfang an spüren wir uns tiefer verantwortlich, weil wir die Kinder unter dem Herzen tragen. Und dann kommt die Gesellschaft und macht noch mehr Druck. Die meisten Mütter fressen das in sich hinein und lassen den Gedanken, als Mutter nicht immer überglücklich zu sein, noch nicht einmal vor sich selbst zu, weil das so ein riesen Tabu ist. Ich versuche, für diese Frauen eine Lanze brechen.

Ist Ihr Versuch, glücklich im Job und als Mutter zu sein, gescheitert?

Ich liebe meine Tochter und meinen Beruf. Aber das Mutterbild sollte hinterfragt werden. Ich habe gemerkt, dass die Vereinbarkeit schwierig werden kann, wenn man nicht so stabil aufgestellt ist wie ich. Es könnte viel leichter sein, wenn wir offen darüber reden würden.

Wie wird Ihre heute dreijährige Tochter reagieren, wenn sie Ihr Buch mal in die Hände bekommt?

Sie wird sich hoffentlich denken, ich habe eine mutige Mama. Ich habe das Buch meiner Tochter gewidmet. Ich hoffe, dass sie einmal andere Rahmenbedingungen vorfindet und dass sich das Mutterbild, bis sie selbst Kinder bekommt, geändert hat.

INFO Das Buch "Die Mutterglück-Lüge. Regretting Motherhood – warum ich lieber Vater geworden wäre", erscheint am 8. Februar, im Ludwig Verlag, München, um 17,50 €.

Frauen waren in den Unternehmen immer schon unterrepräsentiert – daran wird sich auch in den kommenden Jahren nichts ändern. Auch 2025 werden nur 37 Prozent der Fach- und Managementpositionen von Frauen besetzt sein, blickt der aktuelle Mercer-Report „When Women Thrive“ in die Zukunft. Das bedeutet Stillstand – denn es entspricht laut Report 2015.

Durchschnittlich sind der Studie nach 40 Prozent der Gesamtbelegschaft eines Unternehmens weiblich. Schaut man jedoch in der Hierarchie weiter nach oben, nimmt der Frauenanteil mit jeder Stufe ab. Im Management liegt er bei 33 Prozent, im Senior-Management bei 26 Prozent und auf Ebene der Executives bei 20 Prozent. Und obwohl 50 Prozent mehr Frauen als Männer auf Vorstandsposten berufen werden, verlassen sie diese Positionen zu 30 Prozent häufiger wieder. „Die bislang verfolgten Maßnahmen zur Förderung von Frauen in Unternehmen reichen offensichtlich nicht aus. Aus ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten ist das unverantwortlich“, so Achim Lüder, Geschäftsführer von Mercer in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Starke Rollenbilder

Manuela Vollmann ist Geschäftsführerin vom Frauenförderzentrum abz*austria, einem Non-Profit-Unternehmen. Das Thema Frauen und Chancengleichheit beschäftigte sie bereits in ihrer Diplomarbeit „Der Mythos von der geschlechtsneutralen Chancengleichheit.“ Eben diese Chancengleichheit ist laut Vollmann noch immer ein Märchen. „Hinzu kommt, dass dieses Thema in manchen Kreisen bereits als mühsam angesehen wird.“
Als Ursachen für die schleppende Entwicklung sieht Vollmann, die starken Rollenstereotype in europäischen Ländern. „Es gibt genaue Vorstellungen, wie ein Mädchen zu sein hat, wann man eine gute Mutter, wann ein guter Vater ist, wann man als Frau erfolgreich ist, wann als Mann.“ Als zweiten Grund führt sie an, dass es an Vorbildern fehle. Drittens würde das Thema Gender im Bildungssystem zu kurz kommen.

Welche Maßnahmen laut Manuela Vollmann helfen würden: „Unternehmen müssen Strukturen für die Vereinbarkeit aufbauen. Allein wegen der demografischen Entwicklung müssen sie das ernst nehmen, eine Vision haben, Maßnahmen setzen und evaluieren.“ Zu den Maßnahmen zählt sie ein gutes Auszeit- und Karrieremanagement, wie neue Formen von Führung. „Ich spreche von Führung in Teilzeit oder Jobsharing – ein Führungsposten in 30 Stunden funktioniert auch gut. Damit würde man auch Männer ansprechen. Man müsste für alle Mitarbeiter neue Arbeitszeitmodelle öffnen – auch um diese für Weiterbildung zu nützen, nicht nur für die Pflege und Kinderbetreuung.“

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