Coaching, wenn alles schläft
Ich laufe zwei Mal am Therapiezentrum Gersthof vorbei. Erstens, weil mein Handy-Akku leer ist und ich mir nicht merken will, was mir Google vorgibt. Zweitens, weil es stockdunkel ist und ich den Eingang zum Zentrum nicht sehen kann. Niemand auf der Straße, den ich fragen könnte. Dann finde ich das Schild doch. Und läute.
Die zweite Tür im ersten Stock geht automatisch auf. Dahinter: Erwin Hemetsberger. Er sieht aus wie auf seinem Internet-Foto. Hemd, Brille, er hatte mal mehr Haare. Hemetsberger begrüßt mich und fragt: „Stört es Sie, wenn Sie die Schuhe ausziehen?“ Mich nicht. Hausschlapfen sind zu Hause. Zu Hause sind Freunde. Hausschlapfen sind auch entwaffnend, merke ich.
Wir sitzen einander in weißen Fauteuils gegenüber. Nichts Überraschendes im Raum: ein Flipchart, Bilder an den Wänden, eine Matratze mit vielen Pölstern für Kinder. Ich sitze weit vorne aufrecht auf dem Polstermöbel und frage nach dem Sinn von Late-Night-Coaching. Fallen die Barrieren spätabends ob der Müdigkeit leichter? Erwin Hemetsbergers Antwort ist pragmatischer: Menschen in Führungspositionen – oder jene, die in solche kommen wollen – arbeiten hart und können oft erst nach der Arbeit. Das wisse er aus eigener Erfahrung. Deshalb das Angebot zum Late-Night-Coaching. Hemetsberger spricht die Sprache der Wirtschaft, weil er selbst jahrelang Teil davon war. Bis er genug hatte von Machtkämpfen und dem steifen bürokratischen Umfeld. An zwei Wirtschaftsstudien hing er die Ausbildung zum systemischen Coach, derzeit ist er in Ausbildung zum Psychotherapeuten. Wie sein Coaching funktioniert, will ich wissen. „Es gibt keine Standardlösung“, sagt er. Unbefriedigende Antwort. Man müsse zuhören und herausfiltern, was das Thema und das Ziel sei. Kurz darauf rede ich über mich. Wie konnte das passieren? Ich fühle mich eingelullt. Da kann ich auch gleich weiterreden, denke ich. Lehne mich zurück und rede.
Mitten im Coaching
Erwin Hemetsberger macht sich Notizen in ein weißes Heft. Als ich ihn dann frage, was die Lösung sei, resümiert er meine Erzählungen, fragt mich, ob er alles richtig verstanden habe. Antwort gibt er keine. Kurz darauf stelle ich Figuren auf ein Holzbrett. Obwohl alle ident sind, trägt jedes runde Holzmännchen für mich das Gesicht einer meiner Ressort-Kolleginnen: Eine ist Sandra Baierl, eine Nicole Thurn, eine Magdalena Vachova. Ich schiebe die Figuren herum, bis sie für mich richtig stehen. Der Coach analysiert, fragt mich, wieso sie stehen wie sie stehen. Er resümiert, greift sich ans Kinn. Ich soll um den Tisch gehen und die Perspektive ändern. Von links oben sieht die Situation anders aus – so wollte ich das nicht. Ich muss umstellen.
Was nun die Lösung ist, will ich wissen. Es kann ja nicht sein, dass ich hier alles selber machen muss. Die müsse ich selber finden, sagt er. „Wofür kriegen Sie dann bezahlt?“, frage ich. „Fürs Fragenstellen und Zuhören. Genau so wie Sie“, antwortet er. Und gibt mir Zettel. Ich frage Hemetsberger, wie viele Übungen ihm denn zur Verfügung stehen. „Unzählige“, sagt er. Auf die Zettel soll ich in einem Satz und positiv formuliert meine Ziele schreiben. Ich habe drei Ziele, also will ich drei Zettel. Er stellt wieder Fragen. Ich antworte. So geht das noch eine halbe Stunde lang.
Um 23 Uhr sind wir fertig und ich hatte durch Hemetsbergers Zurückhaltung und seine Fragen tatsächlich einen erhellenden AHA-Effekt. Die Holzfiguren sind wieder geordnet in ihren Kojen, meine drei Zettel stecke ich in die Tasche.
Draußen ist es noch dunkler. Ich bin müde. Nachtarbeit ist anstrengend.
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